Das menschliche Leben ist einmalig – Sterben auch

Thema Sterbehilfe: Franz Müntefering zu Gast in der Evangelischen Akademie Villigst


Franz Müntefering (Bundesminister a.D., rechts) diskutiert mit Kai Gehring (MdB, Bündnis 90/Die GRÜNEN). Foto: EKvW

SCHWERTE/WESTFALEN - Die Beihilfe zur Selbsttötung ist und bleibt für Franz Müntefering ein Tabu. Nicht, dass er nicht darüber reden kann oder will. Ganz im Gegenteil: Immer wieder mischt er sich in die gesellschaftliche Debatte ein, erzählt von persönlichen Erfahrungen, dem Tod seiner Frau sowie seiner Eltern.

Der frühere Bundesminister hält flammende Plädoyers für mehr Mitmenschlichkeit und gegen die Einsamkeit am Sterbebett, für eine bessere Hospiz- und Palliativversorgung und gegen tödliche Medikamentencocktails. So auch am Donnerstag (30.4.) in der Evangelischen Akademie Villigst – als Referent auf der Tagung „Würde, Selbstbestimmung, Sorgekultur. Den gesellschaftlichen Streit um die Sterbehilfe konstruktiv führen“.

„Die größte Krankheit ist die Einsamkeit von Menschen“, so Müntefering. Nicht körperliche Leiden seien die häufigste Ursache von Suizidgedanken, sondern seelische. Er wehrt sich gegen die Legalisierung von organisierten Sterbehilfevereinen, befürchtet einen Dammbruch. Hat Sorge, dass Alte und Kranke dadurch eher in den Suizid getrieben denn davor bewahrt würden. Früher sei das Sterben Teil des Lebens gewesen – heute werde es immer mehr aus der Gesellschaft verdrängt. Faktoren dafür gebe es viele: Hightech-Medizin, demografischer Wandel, unverbindlichere Familienbande. Aber: „Man muss auch Sterben zulassen!“, so der passionierte Sozialdemokrat. Ebenso die eigene Hilfsbedürftigkeit. Denn es sei „nicht menschenunwürdig, wenn du da liegst und dir andere Menschen helfen müssen“.

Selbsttötung als Ausdruck von Selbstbestimmung ist für Müntefering eine „abstruse Art von Freiheitsdenken“, ohne Rücksicht auf Freunde und Verwandte. Die persönliche Freiheit endet für ihn dort, wo sie die Grenzen der anderen verletzt. Ein gesetzlicher Rechtsanspruch auf ärztlich assistierten Suizid ist für ihn undenkbar, niemand könne die dafür notwendigen Kategorien juristisch festlegen: „Das menschliche Leben ist ein Unikat. Und das Sterben ist es auch!“ Schon heute ist die Hospizarbeit für Müntefering „eine der schönsten und größten Bürgerbewegungen, die wir haben“. Aber auch die sei noch ausbaufähig. Und darum steht der flächendeckende Ausbau der Hospizarbeit und Palliativmedizin auf seiner Prioritätenliste ganz weit oben.

Kai Gehring (MdB) ist wissenschaftspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die GRÜNEN. Sein Argument: „Der Mensch ist Souverän seines eigenen Lebens. Für mich zählt nur seine persönliche Definition von Würde. Und das Recht auf Selbstbestimmung umfasst auch das Sterben.“ Die Gefahr eines Dammbruchs sieht er nicht. Im Gegenteil: Strafbarkeit würde nur die Tabuisierung vergrößern, nicht die vorbeugende Hilfe. Da seien vielmehr „ärztliche Achtsamkeit und gesellschaftliche Wachsamkeit“ gefragt. Wenn es aber um Fürsorge im Alter und sozialpolitische Strukturen geht, sind die beiden Politiker gar nicht weit voneinander entfernt. Gehring fordert eine umfassende Reform des Pflegesystems: „Nur so lässt sich Würde schützen und Sorgekultur stärken.“ Sein Fazit: „Wir brauchen mehr Fürsorge und weniger Strafrecht!“

Zum Hintergrund

Was ist, wenn ein Mensch an einer unheilbaren Erkrankung leidet, qualvolle Schmerzen hat und sterben will? Darf ihm sein Arzt dann ein tödlich wirkendes Medikament zur Verfügung stellen oder sogar selbst spritzen? Was ist mit den Angehörigen, die um den assistierten Suizid gebeten werden? Und was mit Vereinen, die einen Kranken ein tödliches Medikament vermitteln? Kaum ein Thema wird in der Gesellschaft derzeit so heftig diskutiert wie die politische Frage um eine neu geregelte Sterbehilfe bzw. assistierte Selbsttötung.

Grundlage sind die fünf am 13. November 2014 im Bundestag vorgestellten – zum Teil fraktionsübergreifenden – Positionspapiere. Sie reichen von der Forderung nach einem kategorischen Verbot der organisierten Hilfe zur Selbsttötung bis zur Zulassung von Sterbehilfevereinen (unter Auflagen). Eine Entscheidung wird für Anfang November 2015 erwartet.

In einem ersten Schritt hat das Bundeskabinett bereits am 29. April den Entwurf für ein neues Hospiz- und Palliativgesetz verabschiedet, das künftig die bessere Betreuung von Schwerstkranken und Sterbenden sichern soll, sei es zu Hause, in Pflegeheimen oder in Krankenhäusern. Ziel ist die bundesweite flächendeckende Hospiz- und Palliativversorgung.

Interessante Links

•   Bundestagsdebatte vom 13.11.2014 - die fünf Positionspapiere
•   Ärzteblatt: Bundeskabinett verabschiedet neues Hospiz- und Palliativgesetz
•   Diakonie magazin: Schwerpunkt-Thema "Sterbebegleitung"
•   Präses Annette Kurschus / Landessynode 2014
•   „Sterbebegleitung statt aktiver Sterbehilfe“, EKD und Deutsche Bischofskonferenz
•   Süddeutsche Zeitung vom 3.1.2014: Gastbeitrag von Franz Müntefering

Pressemeldung der EKvW, 30. April 2015