Mehr als nur ein Turm

Wie es zum Streit um die Garnisonkirche kam


"Geschichte erinnern - Verantwortung lernen - Versöhnung leben". Unter der Losung soll die neu errichtete Garnisonkirche sich künftig mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzen.

Seit Oktober 2017 laufen die Bauarbeiten zur Wiedererrichtung der Garnisonkirche zu Potsam. Schon zum Start der Arbeiten am Reformationstag kam es zu Protesten. Selbst nach Baubeginn ist das Projekt umstritten. Wie ein Kirchturm zum Politikum wurde.

Zwischen dem Stadtkanal und der Bundesstraße zwei in Potsdam röhren Bagger. Der Platz ist umzäunt. Ein Container mit Fenster gewährt Einblick hinter die Fassaden: Drinnen, zwischen Betonrohren und Wellblechhütten, entstehen in diesen Monaten die Mauern eines der wohl umstrittensten Bauprojekte Potsdams: der Garnisonkirche. Geplant ist der Wiederaufbau des historischen Gebäudes, die Fassaden sollen nach Fertigstellung nahezu identisch aussehen. Eine Baugenehmigung liegt der Stiftung Garnisonkirche seit 2013 vor. Die Predigt zum Baustart im Oktober 2017 hielt der Kuratoriumsvorsitzende Wolfgang Huber. Schirmherr ist Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Doch

Die evangelische Martin-Niemöller-Stiftung kritisierte in einem Gutachten das Nutzungskonzept als ungeeignet. Die Links-Partei suchte die Ko-Finanzierung durch Bundesmittel per Antrag zu verhindern. Die Martin-Niemöller-Stiftung protestierte noch im Februar 2018 gegen einen einminütigen Spot für die Garnisonkirche, den das ZDF an einem Sonntag direkt vor den „heute“-Nachrichten gezeigt hatte. „Christen brauchen keine Garnisonkirche“, erklärt eine Initiative aus Bürgern und Gemeindemitgliedern. Die Initiative drängt zu wissenschaftlicher Aufarbeitung und Vorlage eines konkreten Nutzungskonzepts.

Friedensarbeit und Garnisonkirche - passt das zusammen?

Eine nicht unkomplizierte Aufgabe - die Garnisonkirche durchlebte eine wechselhafte Geschichte, die dem Gebäude eine extrem mehrdeutige Symbolik verlieh:

  • Den Auftrag zur Errichtung der Garnisonkirche (Garnison = militärische Einheit) erließ Friedrich Wilhelm I. im frühen 18. Jahrhundert. Er und Sohn Friedrich II. ("der Große") wurden in der Gruft bestattet. Die Kirche wurde damit zu einer Kultstätte preußischer Herrschaft. Selbst Zar Alexander und Napoleon besuchten die Grabstätten.
  • Für die Geschichte der Zusammenarbeit evangelischer Kirchen spielt der Ort eine besondere Rolle. Reformierte und Lutheraner feierten hier 1817 zum 300-jährigen Reformationsjubiläum erstmals gemeinsam Gottesdienst. Der Ort markiert damit den Zusammenschluss zur Union evangelischer Kirchen.
  • Gleichzeitig steht die Garnisonkirche für eines der dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte: Im März 1933 fand hier die Eröffnungsfeier des neu gewählten Reichstages statt. Die Kirche steht als Schauplatz damit in direkter Verbindung mit dem "Tag von Potsdam" - und damit der sogenannten "Machtergreifung" des NS-Regimes.

Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte sich die Frage nach dem weiteren Umgang mit dem Gebäude. Während eines Luftangriffs auf Potsdam im Jahr 1945 war die Kirche von innen ausgebrannt. Die Mauern aber blieben erhalten. Mitglieder der Zivilgemeinde nutzten die Ruinen im Turmbereich für Gottesdienste. 1949 erfolgte eine Umbenennung in Heilig-Kreuz-Kirche. 1968 ließ die SED-Regierung die Mauern allerdings komplett sprengen. Erst 2011 entstand im hinteren Bereich des Geländes eine provisorische Kapelle, die sogenannte Nagel-Kreuz-Kapelle. Die Räumlichkeiten werden seitdem für Gottesdienste und Workshops genutzt. Die 2008 gegründete Stiftung Garnisonkirche will das historische Kirchengebäude nun komplett wieder aufbauen. Es gehe um die „Heilung einer offenen Wunde im Stadtbild Potsdams“, außerdem den „christlichen Auftrag, Botschafter der Versöhnung an Christi statt“, so heißt es in der Begründung.

Die Stiftung Garnisonkirche plant laut Satzung einen „Denkmal- und Erinnerungsort“ der „Versöhnung“ zu schaffen. „Weil die Kirche diese Geschichte hat wollen wir sie wieder aufbauen“, sagt Cornelia Radeke-Engst, Pfarrerin der Nagelkreuzkapelle. Sie verweist auf das die enge Bindung an das Nagelkreuz-Projekt von Coventry: Nach Zerstörung der Kathedrale im Zweiten Weltkrieg vergibt die Gemeinde symbolisch ein Kreuz an befreundete Nagelkreuzzentren. So auch an die Nagelkreuz-Kapelle in Potsdam. Kritiker zweifeln an Umsetzung. „Man kann nicht einen Panzer bauen und Friedensarbeit drin machen“, sagt Hildegard Rugenstein, reformierte Theologin der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO).

Doku-Tipp: "Der Turmbau zu Potsdam" (3Sat / 30. September 2017)

Bis 2020 soll der Rohbau des Turmes stehen. 88 Meter und 365 Stufen hoch. Und damit höher als beinahe sämtliche Häuser Potsdams. Nicht nur die Prominenz des Gebäudes im Potsdamer Stadtbild stößt auf Kritik. Strittig ist außerdem die Form des Wiederaufbaus. Geplant ist eine originalgetreue Nachbildung der barocken Turmfassade. Dazu gehören auch Reliefs und Skulpturen in Form von Trophäen. Die Stiftung plant allerdings die Jahreszahl an der Fassade auszutauschen: Die Zahl 2020, geplantes Jahr der Wiedereröffnung, soll an den zeitlichen Wandel und die heutige Funktion der Garnisonkirche als Ort der Versöhnung erinnern.

Gegner des Wiederaufbaus kritisieren, dass die neue Nutzung des Gebäudes damit trotzdem für Passanten von außen kaum sichtbar ist. Die Initiative „Christen brauchen keine Garnisonkirche“ forderte deshalb eine „architektonische Auseinandersetzungmit den „geschichtlichen Brüchen“ der Garnisonkirche. Mitglieder der Stiftung dagegen verteidigen den Wiederaufbau als notwendig, um der historischen Bedeutung des Geländes gerecht zu werden. „Gerade weil wir das Gebäude wieder aufbauen und nicht irgendeinen fremden Betonklotz dort hinstellen, ist die Kirche in der Diskussion“, sagt Wieland Eschenburg, Sprecher der Stiftung Garnisonkirche. „Wenn die Besucher das Gebäude betreten, erleben sie hinter der Fassade eine völlig andere Welt.“

Permanente Ausstellung und Seminarräume geplant

Im Turm soll eine Ausstellung auf 300 Quadratmeter Fläche über die Geschichte der Garnisonkirche informieren. Geplant sind außerdem eine Seminaretage für Gruppenbesucher wie Schulklassen, eine eigene Bibliothek und eine Aussichtsplattform. Schon jetzt finden Veranstaltungen und Workshops in der provisorischen Kapelle statt. Ein genaues Programm steht bislang allerdings noch nicht. Vertreter der Initiative „Christen brauchen keine Garnisonkirche“ bemängeln deshalb Rückstände in der konzeptionellen Arbeit: „Erst jetzt kommt die Frage auf: Was könnten wir mit dieser Kirche machen?“ so Uta Brux, Sprecherin der Initiative. „Dabei müsste man doch umgekehrt vorgehen: Was wollen wir inhaltlich und konzeptionell erreichen? Erst dann kann man sich auch Gedanken darüber machen, wie sich das architektonisch umsetzen lässt.“ Radeke-Engst betonte, dass bereits jetzt im provisorischen Kirchengebäude interreligiöse Workshops in Zusammenarbeit mit jüdischer und muslimischer Gemeinde stattfinden: „Der Ort bietet die Möglichkeit zur Friedensarbeit.“

Die Kosten für den ersten Bauabschnitt belaufen sich auf 26,1 Millionen Euro. Davon kommen zwölf Millionen Euro aus Fördermitteln des Bundes. Die Synode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz bewilligte ein zinsloses Darlehen in Höhe von 3,2 Millionen Euro. Bis 2020 muss der Rohbau fertiggestellt sein und eine bauordnungsrechtliche Abnahme erfolgen. Laut Eschenburg, Stiftung Garnisonkirche, sei es darum „zwingend“ gewesen noch 2017 mit den Bauarbeiten zu beginnen. Die Finanzierung weiterer Bauabschnitte inklusive Fassadenschmuck ist bislang noch nicht gesichert. Die Stiftung hofft auf Spenden und Eintrittserlöse. Für eine Neuerrichtung des Kirchenschiffs liegen bislang nach Informationen von reformiert-info.de bislang noch keine detaillierten Pläne vor.


Isabel Metzger

Im Oktober 2017 startete der Wiederaufbau des historischen Gebäudes. Das Projekt ist höchst umstritten. Was ist Ihre Meinung zu dem Thema?
Die wichtigsten Daten von der Gründung bis heute

Das Foto vom Handschlag Hitlers mit Reichspräsident Hindenburg gehört zu den Symbolbildern des Nationalsozialismus. Die Begegnung fand 1933 in Potsdam statt, unmittelbar nach dem Festakt in der Garnisonkirche. Der sogenannte 'Tag von Potsdam' führt deshalb bis heute zu vehementer Kritik am Wiederaufbau des Gebäudes. 'Man kann nicht einen Panzer bauen und Friedensarbeit drin machen', sagt etwa Hildegard Rugenstein, reformierte Theologin der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). Befürworter verweisen dagegen auf die mehr als 300-jährige Geschichte. Dazu kommt der Garnisonkirche für die Kooperation evangelischer Kirchen eine besondere historische Bedeutung zu.
Interview mit der Initiative 'Christen brauchen keine Garnisonkiche'

Bis Herbst 2018 sammelten Teilnehmer der Initiative Stimmen gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche zu Potsdam. 'Wir wollen dem Eindruck entgegentreten, alle Christinnen und Christen würden dem Vorhaben einhellig zustimmen" heißt es in einem offiziellen Statement. reformiert-info.de sprach mit zwei Akteuren der Initiative, Hans Misselwitz und Uta Brux. Im Interview erklären sie, welche Alternative sie sich wünschen.
Ein umstrittenes Bauprojekt

Seit Oktober 2017 laufen Bauarbeiten zur Errichtung der Garnisonkirche zu Potsdam. Bis 2020 soll die Turmmauer des historischen Gebäudes in weiten nahezu originalgetreu wiederaufgebaut werden. Doch gegen das Projekt erhebt sich vehemente Kritik. Als Schauplatz für den sogenannten 'Tag von Potsdam' im März 1933 ist die Kirche eng verbunden mit NS-Regime. Wie kann Friedensarbeit hier funktionieren?