Das gemeinsame Handeln ist normal. Das konfessionelle Eigenleben muss begründet werden.

Professor Reinhard Frieling referierte über die Zukunft der Konfession

Anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten im Allgäu formulierte der ehemalige Direktor des Konfessionskundlichen Instituts der EKD sieben Thesen über die Existenzberechtigung unterschiedlicher Glaubensrichtungen innerhalb des Protestantismus.

Mit Blick auf die Eigenständigkeit der Reformierten innerhalb der Evangelischen Kirchen in Deutschland drehte Frieling den Spieß um: Nicht die Existenz verschiedener Konfessionen sei selbstverständlich, sondern deren Einheit. Ein konfessionelles Eigenleben müsse triftig begründet werden.

Der Ökumeniker nannte die bloße Vernetzung von Gremien und Institutionen „lähmend“. Ein „Diasporakomplex“ der Minderheitskirchen sei in der Zusammenarbeit mit staatlichen und gesellschaftlichen Gruppen ein Hindernis.
Frieling plädierte für eine starke EKD und eine europäische Synode. Auch in der Ökumene mit den Katholiken brauche es längerfristig verbindliche Strukturen.

1. These:

Der gemeinsame christliche Glaube an den dreieinen Gott ist nicht ein Minimalkonsens, sondern ein Fundamentalkonsens, der auch der Christen der anderen Konfessionen grundsätzlich das Heil Gottes verheißt. Salopp formuliert: Mehr als in den Himmel kommen, gibt es nicht.

Charta Oecumenica Nr. 6: „Unsere in Christus begründete Zusammengehörigkeit ist von fundamentaler Bedeutung gegenüber unseren unterschiedlichen theologischen und ethischen Positionen.“

2. These:

Die Konfessionen sind eins im Glauben an die Erlösung durch Jesus Christus, aber theologisch uneins über das, was sie von sich selber glauben: von der Kirche und ihrer Autorität und von den Autoritäten in der Kirche.

Die Konfessionen sind wie theologische Schulen zu bewerten, die von unterschiedlichen soziokulturellen, philosophischen, historischen und ethnischen Voraussetzungen geprägt sind.

3. These:

Die Konfessionen bleiben, aber Verurteilungen unterbleiben. Nicht die Konfessionen müssen abgeschafft, sondern ihre Trennung voneinander muss überwunden werden.

Charta Oecumenica Nr. 3: „Wir verpflichten uns, Selbstgenügsamkeit zu überwinden und Vorurteile zu beseitigen, die Begegnung miteinander zu suchen und füreinander da zu sein.“

4. These:

Quantitative Dialogmethoden sind ökumenische Sackgassen:

­von der eigenen „Fülle der Wahrheit" her bei den anderen vor allem „Defizite“ herauszustellen,

­vom eigenen „Es ist genug zur wahren Einheit“ her bei den anderen vor allem inakzeptable zusätzliche Bedingungen zum Heil festzustellen.

5. These:

Qualitative Dialogmethoden fördern die Ökumene:

­ eine „Hierarchie der Wahrheiten“ zu beachten, je nach der verschiedenen Art ihres Zusammenhangs mit dem Fundament des christlichen Glaubens“ (II. Vat. Konzil, Ökumenismusdekret Nr. 11)

­von der „Mitte der Hl. Schrift“ her Kriterien zu gewinnen für die Erkenntnis der Wahrheit Gottes und der legitimen Vielfalt in der Kirche (Leuenberger Konkordie).

6. These:

Das gemeinsame Handeln ist normal. Das konfessionelle Eigenleben muss begründet werden.

Charta Oecumenica Nr. 4: „Wir verpflichten uns, auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens gemeinsam zu handeln, wo die Voraussetzungen dafür gegeben sind. und nicht Gründe des Glaubens oder größere Zweckmäßigkeit dem entgegenstehen.“

Hier sind zwar noch Bremsen eingebaut, aber solches ökumenische Leben ist eine Umkehrung der bisherigen Realität, wonach das konfessionelle Eigenleben normal ist und die ökumenische Gemeinschaft vom gemeinsamen Gebet über ökumenische Gottesdienste bis hin zur Integration einzelner Arbeitszweige (z.B. Ökumenische Sozialstationen, Kindergärten, Religionsunterricht usw.) begründet werden muss.

Bei der Zusammenarbeit mit staatlichen und gesellschaftlichen Gruppen sind der traditionelle Einfluss der Großkirchen und die Diasporakomplexe der Minderheitskirchen, weniger theologisch-konfessionelle Fragen ein Hindernis für die Zusammenarbeit.

7. These:

Die Kirche Christi braucht auf allen geographischen Ebenen diejenige Gemeinschaftsstruktur, die der Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat an besten dient.

Familie, Ortsgemeinde, Landeskirche/Diözese, Volkskirche/Nationalkirche, Weltbünde/Weltkirche sind mit Vernunft diesem Sinne zu gestalten.

Das Netzwerk von konfessionellen, nationalen und ökumenischen Gremien und Institutionen ist einerseits Ausdruck des Reichtums vieler Charismen, wirkt aber andererseits lähmend und bringt das Evangelium nicht deutlich und effektiv zu Gehör.

In Deutschland brauchen wir die EKD mit einer starken Synode. In Europa plädiere ich für eine „Europäische Evangelische Synode“, die repräsentativer gestaltet ist als die bisherige „Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa“ (GEKE).

Ökumenische Kirchentage sind gut. Auf Dauer sind aber auch Synodale/Konziliare Strukturen ökumenisch unerlässlich.


Georg Rieger