Militärbischof Dutzmann: mehr Soldaten am Hindukusch nicht sinnvoll

Martin Dutzmann im Interview auf SWR2

Der evangelische Militärbischof Martin Dutzmann verlangt eine Wende zum Zivilen im deutschen Afghanistan-Engagement. Im Interview mit dem Südwestrundfunk (SWR) am 26. November sagte Dutzmann, er glaube, es wäre „eher nicht“ sinnvoll, noch mehr Soldaten an den Hindukusch zu schicken.

Die Lage der Zivilbevölkerung habe sich in Afghanistan trotz des Militäreinsatzes dramatisch verschlechtert. Auch die seelischen Probleme der Bundeswehrangehörigen hätten sich „ganz massiv verändert“ , beklagte der Militärbischof . Sorge bereitet ihm der Anstieg der sogenannten posttraumatischen Belastungsstörungen. Die Soldaten müssten ständig damit rechnen „töten zu müssen“, weil sie „real bedroht“ seien.

Martin Dutzmann, Militärbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland,
im Gespräch mit Rudolf Geissler
am 26. November auf SWR2

Geissler: Der Bundestag berät heute über die Auslandseinsätze der Bundeswehr, über eine weitere Verlängerung auch des Mandats für das Engagement in Afghanistan, das ja inzwischen viele Fragezeichen aufwirft, z.B. hinter der Zahl der sogenannten posttraumatischen Belastungsstörungen bei deutschen Soldaten. Die ist enorm gestiegen, um 50% innerhalb eines Jahres. Ist die Seelsorge überfordert oder wie erklären Sie sich das?

Dutzmann: Die Seelsorge ist in besonderer Weise herausgefordert damit. Diese Sorge, die Siegerade artikulieren, die teilen wir natürlich und die Seelsorge ist in sofern besonders herausgefordert, als dass sie erkennen muss oder die Seelsorger und Seelsorgerinnen erkennen müssen, wann ein Mensch, der sich Rat suchend an sie wendet, eine posttraumatische Belastungsstörung hat, und wann dieser Mensch also in ärztliche Behandlung zu überweisen ist.

Geissler: Wenn Sie mal an die Anfänge des Afghanistan-Einsatzes zurück denken: Sind die Probleme, mit denen die Soldaten auf ihre Militärpfarrer zukommen, die gleichen geblieben oder hat sich da was verändert?

Dutzmann: Nein, das hat sich ganz massiv verändert nach meiner Wahrnehmung. Also inzwischen spricht ja auch der Bundesverteidigungsminister, der neue, von kriegsähnlichen Zuständen, was ich auch seit geraumer Zeit tue, seit meinem Besuch dort. Das heißt, die Soldaten mindestens in Kundus fühlen sich bedroht, sie sind real bedroht. Einige haben töten müssen, sie müssen ständig gewärtig sein, töten zu müssen. Das sind natürlich die Fragen, die in besonderer Weise jetzt auch unsere Seelsorger und Seelsorgerinnen beschäftigen und natürlich nehmen auch die Partnerschaftsfragen zu. Also wenn jemand zum dritten Mal in den Einsatz geht, dann ist natürlich auch klar, dass eine Partnerschaft das sehr belastet.

Geissler: Seit Beginn des Afghanistan-Engagements ist die Haltung der Deutschen, der Zivilbevölkerung sozusagen, immer ablehnend gewesen diesem Einsatz gegenüber. Zwei Drittel der Befragten sagen regelmäßig dazu Nein. Wie wirkt das auf die Truppe und in der Truppe?

Dutzmann: Also auf die Truppe wirkt etwas anderes noch. Nämlich das, was der Bundespräsident mal als kollektives oder freundliches Desinteresse beschrieben hat. Also, diese Meinung zum Afghanistan-Einsatz wird geäußert, wenn die Menschen gefragt werden. Ansonsten interessieren sie sich eigentlich relativ wenig. Und das belastet die Soldatinnen und Soldaten in der Tat sehr, weil sie sagen, wir sind im Auftrag dieser Gesellschaft und dieses Staates unterwegs, wir haben die politische Entscheidung nicht zu verantworten und wir erwarten eigentlich, dass diese Gesellschaft sich für uns interessiert.

Geissler: Wie gehen Sie denn mit dieser Diskrepanz um in Ihren Beratungen?

Dutzmann: Zunächst mal signalisiere ich ihnen, dass mindestens ihre Kirche sich sehr für das interessiert, was sie tun und dass wir im Gespräch bleiben. Und dass ihre Kirche auch den gesellschaftlichen Diskurs mit voran bringt.

Geissler: Was muss denn passieren, um beides zur Deckung zu bringen, die Haltung der Bevölkerung und das militärische Engagement?

Dutzmann: Also, es muss nach meiner Auffassung eine deutliche Erhöhung des zivilen Anteils unseres Einsatzes in Afghanistan erfolgen. Und vor allen Dingen eine deutlich bessere Koordination zwischen den zivilen Aktionen einerseits und zwischen Zivil und Militär andererseits.

Geissler: Inzwischen wird ja über Abzug und Exitstrategie durchaus schon gesprochen, allerdings schließt der Verteidigungsminister zugleich nicht aus, dass das deutsche Kontingent in Afghanistan noch einmal erhöht werden könnte. Passt das zusammen, ist das zu vermitteln in Ihren Augen?

Dutzmann: Also ich kann das militärisch nicht beurteilen, ob eine Erhöhung der Zahl der Soldaten sinnvoll ist. Ich glaube es eher nicht. Dass der Minister von einer Exitstrategie redet, halte ich für überfällig, denn es ist ethisch geboten, dass wenn ein Staat Gewalt anwendet, wenn er Soldaten schickt, er auch weiß, wie er diese Soldaten wieder zurück bekommt.

Geissler: Wenn es um die Zielvorstellung des Einsatzes geht, ist das ja auch nicht so klar. Ihr katholischer Kollege Mixa, der katholische Militärbischof etwa sagt den Soldaten - im Juni nach einem Anschlag hat er das so formuliert: der Weg in eine globale Welt, in der alle Menschen in Respekt vor einander lebten sei „oft nur unter der Anwendung von Gewalt und Waffen möglich“. Ist damit auch Ihre Position umschrieben?

Dutzmann: Also ich würde die Schwerpunkte anders setzen. Die Friedensdenkschrift der evangelischen Kirche in Deutschland sagt: Anzustreben ist ein gerechter Friede. In diesem Zusammenhang kann es als ultima ratio, als alleraller äußerste Möglichkeit notwendig sein, Gewalt anzudrohen und anzuwenden. Das wäre meine Position.

Geissler: Die Entwicklungsorganisationen, genauer gesagt der Verband Entwicklungspolitik der deutschen Nichtregierungsorganisationen wehrt sich vehement gegen eine militärische Verstärkung in Afghanistan und sagt: trotz des internationalen Militäreinsatzes habe sich die Situation der afghanischen Bevölkerung dramatisch verschlechtert. Ist das ein falscher Befund in Ihren Augen?

Dutzmann: Nein, ich vermute, die haben recht. Also das, was ich habe sehen können, sicher eine eingeschränkte Sicht, bei meinem Besuch der Soldaten in Afghanistan im Mai, deckt sich damit.

Quelle: http://www.swr.de

Weitere Meldungen aus der Evangelischen Militärseelsorge >>>


Barbara Schenck