''Der Frieden ist der Ernstfall'' – ein Beitrag zur Afghanistan-Debatte

von Sabine Dreßler

''Müssen wir glauben, dass unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt wird?''

Seit acht Jahren gibt es (wieder) Krieg in Afghanistan, und besonders in den letzten Wochen und Monaten ist dieser Einsatz, an dem die Bundeswehr seit Beginn beteiligt ist, wieder deutlich stärker in das öffentliche Interesse gerückt.

Das hat verschiedene Gründe und allen voran sicherlich diesen: dass immer mehr Soldaten der Bundeswehr in diesen Einsätzen getötet werden, in Auseinandersetzungen, die immer unübersichtlicher werden.
Wegen dieser neuen Unübersichtlichkeit in Afghanistan werden Spitzenbeamte entlassen; ihretwegen muss der Verteidigungsminister sich einem Untersuchungsausschuss des Bundestages stellen, und ihretwegen erleben wir, wie plötzlich ein neuer, jedenfalls für viele Jahrzehnte in Deutschland unüblicher Sprachgebrauch Eingang in unseren Alltag findet:
Wir sprechen von Krieg und wir hören von gefallenen Soldaten. Und scheinbar gewöhnen wir uns daran, als sei eben dies das normale, das unabwendbare, das vorgegebene Schicksal der Welt, in der wir leben.
Ist das tatsächlich so? Müssen Christen und alle Menschen, die dem Auftrag, Frieden zu schaffen, verpflichtet sind, sich an solch ein Schicksal samt seiner Kriegsattribute gewöhnen? Müssen wir glauben, dass unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt wird?
Müssen wir hinnehmen, dass vom Verteidigungsminister noch bei der öffentlichen Trauerfeier für vier Soldaten bereits neue Tote in weiteren militärischen Einsätzen angekündigt werden? Müssen wir uns an Bilder von aufgebahrten Särge mit Stahlhelmen (wieder) gewöhnen?
Müssen wir annehmen, dass die Angehörigen der toten Soldaten das alles akzeptieren? Wer will definieren, was ihnen in ihren Fragen und ihrem Schmerz wirklich helfen kann?

Es ist in der Tat so, dass Afghanistan ein hochexplosiver, lebensgefährlicher Alltag für alle ist, für die Bevölkerung wie für die Soldaten.
Und es ist so, dass Krieg immer Opfer bedeutet, zivile und militärische.
Die Frage ist, wie wir das bewerten:
ob wir uns also daran gewöhnen und dies billigend in Kauf nehmen, sei es aus Überzeugung oder Bündnistreue oder Hilflosigkeit, oder ob wir sagen, dass es, nach christlichem Auftrag, für den Frieden einzustehen, nicht in der Ordnung ist noch der Wille des Schöpfers, dass Menschen in Kriegen ihr Leben lassen.
Ob wir z.B. vielmehr danach fragen, was denn die Alternative für diesen und für andere Kriege ist? Und warum so viel mehr Geld für Aufrüstung aufgewandt wird als für zivile Maßnahmen?

Deutschland ist der Welt drittgrößter Rüstungsexporteur; ein Grund mehr, gerade hier nach einer Alternative zum Krieg zu fragen.

Karl Barth, der große reformierte Theologe des 20. Jahrhunderts, hat festgestellt:
„Es braucht überhaupt keinen Glauben, Verstand und Mut dazu, mit den Wölfen zu heulen: dass der Krieg leider eben doch zur Ordnung der Welt, zum Leben der Geschichte, zum Wesen des Staates gehöre wie der Friede und dass man sich von vornherein auf den Krieg als auf den Ernstfall einzurichten habe. Es braucht aber christlichen Glauben, Verstand und Mut dazu – und dazu ist die christliche Kirche, die christliche Ethik da, solchen zu beweisen – den Völkern und Regierungen zuzurufen, dass umgekehrt der Friede der Ernstfall ist . . .“

Sind wir solchermaßen mutig und in der Lage, unseren Verstand zu gebrauchen und gestehen dem Frieden und nicht dem Krieg den ersten Platz unserer Anstrengungen zu? Auch wenn der „Ernstfall Frieden“ viel komplizierter als der Einsatz von Waffen ist?


Sabine Dreßler, Pfarrerin in Braunschweig
Gemeinden werden gebeten, sich an der Debatte aus christlicher Verantwortung heraus zu beteiligen

In einem offenen Brief an ihre Gemeinden äußert sich die Synode des Synodalverbands Grafschaft Bentheim kritisch zum aktuellen Bundeswehreinsatz in Afghanistan.