Der Heidelberger Katechismus (1563)

Warum Friedrich III. einen Katechismus in Auftrag gab

Der "Vater des Katechismus": Kurfürst Friedrich III der Kurpfalz © Wikicommons/Immanuel Giel

Der moderate, auf Ausgleich bedachte Katechismus ist bis heute Bekenntnis der weltweiten Reformierten. Er versank nicht in der Mottenkiste des geschichtlichen Erbes.

In zwei Jahren wird der Heidelberger Katechismus 450 Jahre jung. Jung?! Ganz schön alt! Nun, ob „jung“ oder „alt“, das ist bekanntlich relativ. Man sagt: „Jemand ist so alt, wie er sich fühlt.“ Und so lange der Heidelberger Katechismus noch in den Gemeinden lebt, ist er nicht „alt“. Hat er noch eine Existenzberechtigung, dann hat er sich wacker gehalten. „Rüstig“ würde man sagen angesichts seines Geburtsjahres von 1563. Aber ja, es mag sein, dass er hier und dort längst gestorben ist. Für viele Reformierte hat er möglicherweise seine Bedeutung verloren.

Dabei verstand der Heidelberger Katechismus sich ursprünglich nicht einmal als „reformiertes“ Bekenntnis. Eigentlich wollte er vermitteln zwischen Genf und Wittenberg, zwischen der deutschen (von Luther geprägten) Reformation und der Schweizer Reformation (rund um Zwingli, Calvin und Bullinger). Dass ein solcher moderater, auf Ausgleich bedachter Katechismus zu dem Bekenntnis der weltweiten Reformierten geworden ist, macht ihn in der Reihe der protestantischen Bekenntnisschriften zu einem Schatz, der trotz aller Unkenrufe eben doch bis heute nicht vergraben und begraben wurde. Die Ursachen liegen in seiner Entstehungsgeschichte.

Wir schreiben das Jahr 1559. Der Wittelsbacher Friedrich beerbt als Friedrich III die Kurpfalz. Er galt als eifriger Anhänger der Reformation und erhielt – nomen est omen – bald den Beinamen „Fritz der Fromme“. Zu seiner Zeit spaltete sich bereits das evangelische Lager in sich unversöhnlich gegenüberstehende Anhänger von Martin Luther auf der einen und Johannes Calvin auf der anderen Seite. Friedrich hielt nichts von diesem Lagerdenken und schrieb am 14.9.1563 an Kollegenfürsten in Württemberg, Veldenz und Baden: „… und erkennen Gott lob, dass wir Christen sind, auf Christi Namen getauft und nicht auf Zwingli, Calvin, Luther und anderer, wie sie heißen mögen.“ Das hat der „Fromme Fritz“ also bei Paulus gelernt, der den Streit in Korinth anprangert (1.Kor.1,11), nur dass damals die Grupperungen sich um Gestalten wie Paulus, Apollos oder Petrus (Kephas) scharten.

Friedrich war ein gebeuteltes Kind. Er übernahm die Kurpfalz, jenes Gebiet rund um Heidelberg, das bereits mehrfach das Bekenntnis wechselte. Sein Vorvorgänger, Friedrich II, führte 1545 die Reformation ein. Wenig später aber wurde die Kurpfalz 1548 durch den „geharnischten“ Reichstag zu Augsburg gezwungen, diese Reformation wieder rückgängig zu machen. 1555 schlossen evangelische und katholische Regenten – wiederum in Augsburg – den „Religionsfrieden“. Es galt die Formel: Cuius regio, eius religio. Frei übersetzt: wer regiert, bestimmt das Bekenntnis. Schon ein Jahr später galt 1556 durch Erlass des inzwischen neuen Kurfürsten Ottheinrich wieder die evangelische Konfession, wie sie im Augsburger Bekenntnis von Martin Luther formuliert wurde.

Der Fürst holte daraufhin Theologen an seine Heidelberger Universität, die in der zweiten Generation sich als Sachwalter Martin Luthers verstanden und – dies galt auch für andere lutherisch gewordene Länder – keine anderen Strömungen der Reformation duldeten. Da der Religionsfriede auf protestantischer Seite lediglich für Anhänger des von Luther verfassten „Augsburger Bekenntnisses“ galt, wurden Kontakte in die Schweiz mehr und mehr unterbunden. Der von Calvin geprägte reformierte Protestantismus war in Deutschland auf dem Rückzug.

Und doch gab es Kontakte zu den schweizer Reformierten – und bald etablierten sich auch einflussreiche reformiert gesinnte Persönlichkeiten etwa im Umfeld der Heidelberger Regierung. Als Ottheinrich 1559 kinderlos starb, wurde Friedrich III neuer Kurfürst und schon ein  Jahr später „outete“ er sich als Anhänger der „reformierten“ Reformation. Er stärkte dadurch die Positionen jener Personen, die in Politik, Kirche und Wissenschaft wichtige Ämter inne hatten und nun auch unverblümt die – im Augsburger Religionsfrieden nicht vorgesehene – Gleichberechtigung der Reformierten mit den Lutheranern forderten.

Gerade erst zwei Jahre als Kurfürst im Amt führte Friedrich III im Dezember 1561 erstmals das Abendmahl nach reformiertem Brauch ein: mit Brotbrechen statt der üblichen Oblaten. Führende lutherische Theologen verließen die Kurpfalz und wurden durch Anhänger des Johannes Calvin (Genf) und Heinrich Bullinger (Zürich) ersetzt. So kamen auch Caspar Olevian und Zacharias Ursin als Dozenten nach Heidelberg – und Bullinger höchstpersönlich wurde zu einem wichtigen Berater des Kurfürsten etwa in der Neuordnung der Kirche.

Ein eigener Katechismus als politischer Schachzug

Nach dem wiederholten Konfessionswechsel – erst katholisch, 1545 lutherisch, 1548 katholisch, 1556 lutherisch, inzwischen eher reformiert – musste eine Klärung her, was denn nun zu glauben ist.

Lange Zeit galten zwei jungen Theologen, Olevian und Ursinus, als die Hauptverfasser dieser vom Kurfürsten in Auftrag gegebenen Kommissionsarbeit. Caspar Olevian studierte zunächst in Frankreich Rechtswissenschaft und lernte über die aufblühende Hugenottenbewegung die Lehren Calvins kennen und schätzen. Es folgte ein Theologiestudium in der Schweiz bei u.a. Calvin und Bullinger. Nach Trier zurückgekehrt begann er dort eine Reformation, die jedoch unterbunden wurde, so dass Olevian einem Ruf des Kurfürsten nach Heidelberg  folgte.

Zacharius Ursinus dagegen war ein Schüler Melanchtons in Wittenberg und in der „deutschen Reformation“ aufgewachsen. Eine Studienreise führte ihn u.a. zu Calvin nach Genf. Daraufhin wurde er zunächst Lehrer in seiner Heimatstadt Breslau, bis Friedrich III auch ihn nach Heidelberg an die Universität berief. Inzwischen geht die Forschung davon aus, dass Ursinus der hauptverantwortliche Verfasser war, Olevian dagegen lediglich als Mitglied der Kommission in Erscheinung trat – aber mit dem Ergebnis eher unzufrieden war.

Die Motive, einen Katechismus herauszugeben, hat der Kurfürst in seinem Vorwort zur ersten Auflage selber beschrieben. Ein Land könne nur regiert werden, wenn das Volk über Bildung und ethische Orientierung verfügt. Die Lehrer benötigten somit, wenn man so will, ein aktualisiertes Unterrichtsbuch für die Jugend. Friedrich III begründet die Herausgabe also mit innenpolitischen Zielsetzungen: seine Untertanen zu einen und sie fit zu machen für den Alltag, sie in Fragen des Glaubens und der Lebensausrichtung zu fördern und zu fordern.

Was der „Fromme Fritz“ aber verschweigt, wiegt viel schwerer. Der Kurfürst musste beachten, dass der Augsburger Religionsfriede nicht die Anhänger Calvins und die Reformation schweizer Prägung anerkennt. Einen bereits bestehenden Katechismus wie den aus Genf hätte er niemals einführen dürfen, denn die Kurpfalz hätte damit alle Reichsstände gegen sich aufgebracht. Somit benötigte Heidelberg einen neuen, einen „Heidelberger“ Katechismus. Dieser Katechismus mied – im Gegensatz zu den damaligen theologischen Streitigkeiten – jede Schärfe gegen lutherische Positionen. Umstrittene Themen wie Prädestination (Vorherbestimmung) oder Kirchenzucht fehlen ebenso wie eine deutlichere Positionierung gegen die lutherische Abendmahlslehre. Da kam dem Text offensichtlich zugute, dass Ursinus als eigentlicher Verfasser früher einmal in der lutherischen Hochburg Wittenberg bei Melanchthon studierte.

Friedrich III wollte mit diesem Katechismus also jenen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen, die sich inzwischen als lutherische Fürsten gegen ihn als „Ausreißer aus den eigenen Reihen“ formierten. Den außenpolitischen Druck konnte der Kurfürst abwehren. Und doch war es allen offenbar, dass in der Kurpfalz die Reformierten erstmals in Deutschland Fuß fassten.

Das Bekenntnis, das in Heidelberg entstanden ist, hat aufgrund der Erfordernisse und Rücksichtnahmen eine wichtige Prägung erhalten: solide in der Aussage, mit – auf Betreiben des Kurfürsten – biblischen Belegstellen bespickt, wegweisend in seiner Klarheit. Auch deswegen ist dieses Werk trotz seiner spröden Sprache und seines hohen Alters nicht wirklich gestorben. Der Katechismus hat sich im gewissen Sinn als unverwüstlich erwiesen und schon damals eine einmalige Resonanz gefunden bei den verschiedensten Gruppierungen, die in diesem Jahrhundert des Aufbruchs, der Befreiung und der Neuorientierung auf eine handliche Anleitung warteten: ob in Frankreich oder den Niederlanden, in Ungarn oder Schottland, im Rheinland oder der Grafschaft Bentheim. Mit der Synode von Dordrecht (1618/19) wurde der Heidelberger Katechismus für die „reformierte Welt“ zur wichtigsten Bekenntnisschrift und kam mit den Missionaren nach Amerika, Afrika und Indonesien. Und manche entdecken auch heute wieder, wie lebendig Totgesagte sein können.

Literatur:

Andreas Mühling, "Der Heidelberger Katechismus im 16. Jahrhundert - Entstehung, Zielsetzung, Rezeption", Monatshefte für evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes, Bd. 58, 2009, S.1ff

Mit freundlicher Genehmigung übernommen von http://altreformiert.de/


Fritz Baarlink