König Salomo als Erfinder der Nachhaltigkeit

Ein zeitgenössischer Midrasch zum internationalen Jahr der Wälder 2011, zur Schöpfungszeit, vorgestellt von Barbara Schenck

Die „Nachhaltigkeit“ ist in aller Munde, sei's im Nachdenken über Natur und Umwelt, über Wirtschaften in Krisenzeiten oder im Verlagswesen. Und „Nachhaltigkeit“ ist auch ein Wort der Theologie.

„Nachhaltig“, dieses „früher eher unauffällige Beiwort“ klebt als „Qualitätsausweis an allem, was einen Qualitätsausweis benötigt“ und hat das Potential, „ökologisch“ als „Allzweck-Gutvokabel“ abzulösen, konstatierte das „Lexikon der Sprachverirrungen“ bereits im Jahr 2007. Diese „Allzweck-Gutvokabel“ stammt, daran wird im internationalen Jahr der Wälder 2011 (www.wald2011.de) gern erinnert, aus der Forstwirtschaft. Die kursächsische Forstordnung formulierte 1560 erstmals das „Prinzip der Nachhaltigkeit“, nicht mehr Holz zu benutzen, als in den Wäldern auf Dauern nachwachsen kann. Der Forstwirt Hans Carl von Carlowitz prägte Anfang des 18. Jahrhunderts den Begriff Nachhaltigkeit und beschrieb das Dreieck von ökologischem Gleichgewicht, ökonomischer Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit.
„Urtexte“ in der Kulturgeschichte des Begriffs Nachhaltigkeit entdeckt Ulrich Grober aber auch im frommen Lobpreis auf den Schöpfergott. In seinem Sonnengesang betet Franz von Assisi 1279:
„Gelobt seist du, mein Herr, durch Bruder Wind und durch Luft und Wolken und heiteren Himmel und jegliches Wetter, durch das du deinen Geschöpfen den Unterhalt gibst.“
„Unterhalt“, im altitalienischen Original „sustentamento“, also Halt oder auch Nachhalt, steht am Anfang des kulturgeschichtliches Weges zum englischen „sustainability“.

Lange bevor Franz von Assis im Eichenwald am Monte Subasino meditierte, sprach König Salomo mit den Zedern des Libanon:
„Und er sprach von den Bäumen: von der Zeder, die auf dem Libanon steht, bis zum Ysop, der aus der Mauer wächst. Und er sprach vom Vieh und von den Vögeln und von den Kriechtieren und von den Fischen.“ (1. Könige 5,13, Zürcher Bibel)

Die hebräischen Worte für „sprechen von“ lassen sich auch übersetzen als „sprechen mit“ (vgl. Jeremia 6,10). Mit anderen Worten: König Salomo beherrschte die Sprache der Bäume und unterhielt sich mit Tieren.

Einen „ökologischen Midrasch“, eine „nachhaltige Auslegung“ zu diesen Bibelversen erzählt Matt Biers-Ariel, Autor und Dozent am Hebrew Union College. Seine Geschichte „Solomon and the Trees“ (Salomo und die Bäume) will jüdische Kinder inspirieren, am jährlich zu Beginn des Frühjahrs gefeierten Neujahrsfest der Bäume, hebräisch Tu be Schewat, Bäume zu pflanzen, wie es mittlerweile im Staat Israel zur Tradition geworden ist.

Salomon und die Bäume

Der moderne Midrasch „Salomon und die Bäume“ sei an dieser Stelle in Kürze nacherzählt – als Geschichte zur Schöpfungszeit im Jahr der Wälder:
Der weise König Salomo zog als junger Prinz die Gesellschaft der friedvollen Bäume dem geschäftigen Leben in der Stadt vor. Er ging oft in den Wald und lernte die Sprache der Tiere. Salomo liebte den Wald und der Wald liebte ihn („Solomon loved the forest, and the forest loved him“). Zu Beginn des Frühjahrs lauschte Salomo, an seinen Lieblingsbaum gelehnt, wie das Wasser aus seinen Wurzeln in die durstigen Äste emporstieg. Das war für ihn die schönste Musik.
Als Salomo König wurde, baute er als erstes den Tempel in Jerusalem. Pausenlos war er beschäftigt, musste überall anwesend sein, sich mit seinen Beratern besprechen und Entscheidungen treffen. Zeit, seinen geliebten Wald zu besuchen, blieb dem König nicht. In den ersten Frühlingstagen jedoch wurde Salomos Sehnsucht nach Bäumen und Tieren übermächtig.
Im Schein des Vollmonds macht der König sich auf den Weg. Er nähert sich dem Wald. Doch was ist geschehen? Kein einziger Vogel begrüßt ihn, keine Eidechse huscht durch die Blätter. Absolute Stille. Und nicht nur die Tiere sind nicht da, auch alle großen Bäume sind weg, nur einige Schößlinge hier und da, sind vom Wald geblieben. Salomo rennt. Sollte auch sein Lieblingsbaum gefällt sein? Er findet den riesigen Stumpf. Sein Freund ist tot, der Wald zerstört. Salomo weint und weint, bis der Ärger seine Augen trocknet. Die, die den Wald zerstört haben, sollen bestraft werden. Die Suche nach den Schuldigen führt den König zum Tempel. Ihn zu erbauen und zu schmücken dient nun das Holz der Bäume. „Wahrlich, die Bäume starben für ein edles Ziel“, muss Salomo eingestehen, erkennt aber auch, dass es nun an ihm ist, den Wald wieder zu beleben. Er sammelt Samen und Zapfen, züchtet Schößlinge in seinem Palastgarten und verpflanzt sie ein Jahr später in den Waldboden.
Fortan pflanzt Salomo an jedem ersten Tag im Frühling weitere Bäume; nach fünf Jahren kommen die Vögel zurück, nach 20 ist ein junger Wald gewachsen.
Das Volk Israel sah, wie sein geliebter König Bäume pflanzte, und fuhr nach seinem Tod damit fort – bis zum heutigen Tag, auf dass die Wälder ewig leben.

Literatur
Biers-Ariel, Matt, Solomon and the Trees, New York 2001.
Grober, Ulrich, Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffs, München 2010.
Krämer, Walter / Kaehlbrandt, Roland, Die Ganzjahrestomate und anderes Plastikdeutsch. Ein Lexikon der Sprachverirrungen, München 2007.
>>> Infos zu Ressourcenschonung und Übernutzung in der Bibel


Barbara Schenck, 19. August 2011