Ein Stück vom Himmel

Predigt zu Matthäus 17,1-9

von Martin Braukmann, Oberfischbach im Eröffnungsgottesdienst zum Kreisposaunenfest 2011

Herr, wir bitten dich um deinen Geist, dass du….

Liebe versammelte Festgemeinde zum diesjährigen Kreisposaunenfest. Ich grüße euch alle ganz herzlich, und ich wünsche uns allen, dass sich doch das ereignen möge, was das Leitthema des diesjährigen Kreisposaunenfestes in Aussicht stellt: dass wir ein Stück vom Himmel erfahren.

Auch wenn das Thema Himmel in den früheren Zeiten des Siegerländer Pietismus mit Sicherheit einen ganz anderen Stellenwert gehabt hat als heute, so behaupte ich doch, dass noch immer eine ganz tiefe Sehnsucht in uns steckt, den Himmel zu erleben, oder doch wenigsten ein Stück vom Himmel auf Erden.

Im Nachdenken darüber, was denn den Himmel oder die Sehnsucht nach dem Himmel ausmacht, bin ich auf ganz unterschiedliche Zusammenhänge gestoßen. So habe ich mich gefragt: Martin, wo ist dir dieses Thema begegnet? In ein paar kurzen Schlaglichtern möchte ich das benennen.  

Da ist zunächst der Film: Wie im Himmel. Das Stück: Gabriellas song haben wir vor einigen Wochen beim Konzert des PC Niederndorf gehört und es wird auch morgen wieder bei der Festveranstaltung zu hören sein. Der Film erzählt die Geschichte des  international erfolgreicher schwedischen Dirigenten Daniel Daréus. Quasi auf dem Höhepunkt seiner Karriere erleidet er einen Herzinfarkt. Dieser Bruch bewegt ihn, an den Ort seiner Kindheit, das nordschwedische Ljusåker zurückzukehren. Dahin, wo er als Kind gequält und gepeinigt worden ist. Zunächst widerwillig übernimmt er die vakante Kantorenstelle der Gemeinde. Der anfangs kleine und schlechte Chor wächst und wächst. Das besondere seiner Chorarbeit liegt wohl darin, dass jeder Sänger seinen eigenen Zugang zur Musik und den Tönen finden soll. Und nur da, wo jeder seinen Ton gefunden hat, fängt die Musik an zu klingen.

Im Verlauf des Filmes werden ganz viele kleine Zwischengeschichten erzählt, davon, wie das Leben so spielt, und wie auch hinter manch geordneter Fassade sich mancher Irrweg verbirgt. In diesem Durcheinander der vielfältigen Verletzungen, Irrungen, Wirrungen und der Sehnsucht nach Liebe bildet das Singen des Chores eine kleine Insel. Denn da kann ja endlich jeder seinen Ton suchen.

Während eines Gesangswettstreites in Salzburg erleidet Daniel einen weiteren Herzinfarkt. Er schleppt sich in die Toilette des Gebäudes, stürzt taumelnd mit dem Kopf gegen den Heizkörper und bricht verletzt zusammen. Der Chor fängt schließlich an zu improvisieren, und Daniel hört über Lautsprecher den Gesang seines Chors, der die anderen Chöre so sehr in seinen Bann zieht, dass sie aufstehen und mitsingen. Daniel liegt blutend in der Toilette und hört, dass der Gesang die Menschen erreicht und verbindet. Der Film endet, nachdem Daniel aufgehört hat zu atmen.

Mein zweiter Zugang zum Thema ist der Film »Ein Stück Himmel«, der die zerstörte Kindheit des jüdischen Mädchens Nina im von Deutschen besetzten Polen der Jahre zwischen 1939 und 1945 beschreibt. Am Anfang ist Nina ein verwöhntes neunjähriges Kind, die einzige Tochter eines wohlhabenden jüdischen Mühlenbesitzers im polnischen Calisz. Am Ende ist sie ein entwurzelter, 15-jähriger Teenager, zusammen mit ihrem Onkel die einzige Überlebende ihrer Familie. Dazwischen liegen die Flucht vor dem deutschen Polenfeldzug, die Vertreibung ins Warschauer Ghetto, das Untertauchen in einer „arischen Familie und das Verstecken in katholischen Klöstern. Am Ende kehrt sie in ein Leben zurück, in dem ihr selbst das Vertraute fremd geworden ist. Eine Schlüsselszene des Filmes ist, wo sie mitten in größter Bedrängnis durch ein Dachfenster schaut und sieht, wie sich die Wolken lichten und ein Stück blauer Himmel als Zeichen der Hoffnung sich über ihr auftut.

Ein dritter Begegnungspunkt mit dem Thema ist für mich immer wieder die Frage von Kindern danach, wo denn etwa der verstorbene Opa oder die Oma sei. Und dann die Antwort der Eltern darauf, dass er oder sie im Himmel ist.

Ich habe mich gefragt, was in diesen unterschiedlichen Zugängen und Begegnungen denn das Einende ist. Was ist denn wie im Himmel? Oder wie ist das, ein Stück des Himmels zu erleben? Die Sehnsucht nach dem Himmel, oder danach, ein Stück des Himmels zu erleben hat für mich mit der Sehnsucht nach Leben zu tun. Diese Sehnsucht nach dem Leben korrespondiert zugleich mit der Erfahrung, dass das Leben hier auf der Erde letztendlich immer eine gebrochene Erfahrung von Leben ist. Das oftmals schmerzhafte Erleben und Erleiden des Fragmentarischen, Gebrochenen, Unvollkommenen des Lebens, vergrößert nur die Sehnsucht danach, dass es da doch noch viel mehr geben muss. Dass da doch noch viel mehr Leben ins Leben kommen muss.

Eben diese Erwartung verbinden wir mit der Erfahrung eines himmlischen Erlebnisses: dass sich der Himmel über uns auftut. Dass wir einen geöffneten Himmel sehen und erfahren. Das wir eben dies aber mit dem Himmel verbinden, macht mir zugleich deutlich, dass uns das Leben unverfügbar ist. Der offene Himmel ereignet sich über mir. Das geschieht einfach an mir, aber ich kann es nicht beeinflussen, ich kann es nicht erzwingen. Ich kann es nur erhoffen und da, wo es geschieht, in Dankbarkeit empfangen, annehmen und genießen.

In diesem Sinne ist die biblische Erzählung von der Verklärung Jesu eine exemplarische Geschichte von der Erfahrung eines geöffneten Himmels. Der offene Himmel wird verortet; bekommt einen Namen: Jesus. Ich lese Matthäus 17, 1-9:
1 Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg.2 Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. 3 Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. 4 Petrus aber fing an und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. 5 Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! 6 Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr. 7 Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! 8 Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. 9 Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.

In Jesus tut sich uns der Himmel auf. Jesus wird in seiner Herrlichkeit eingerahmt von Mose, der den Anfang des Gottesbundes mit Israel markiert und Elia, der die Endzeit im göttlichen Handeln mit seinem Volk anzeigt. So wird Jesus durch diese Vision für seine Jünger und für uns alle hervorgehoben als der Inbegriff des göttlichen Bundes mit Israel (Jesaja 42, 6), als der Bringer und Mittelpunkt der Heilszeit, der zugleich als das "Licht der Heiden" (Jesaja 42, 6), ja als das "Licht der Welt" (Johannes 10, 12) der ganzen Menschheit, also auch uns allen, zugute kommt!

Für Mose und Elia gab kein Grab. Und diesen Männern ohne Grab wird Jesus gleichgestellt. Hier findet sich ein ganz deutlicher Hinweis auf Ostern. An dieser Stelle sieht Petrus voreilig schon die Erfüllung des Geschehens auf dem Berg, ja der ganzen Geschichte, die er mit Jesus bis dahin erlebt hat: sein Meister wird unter die höchsten Repräsentanten der jüdischen Glaubensgeschichte gerechnet. Und er fühlt sich so wohl dabei, dass er diesen harmonischen Zustand gar nicht mehr verlassen möchte. Er will sich einrichten, drei Hütten bauen. Petrus will die Erfahrung des offenen Himmels festmachen, konservieren; quasi eine Himmels-Flat-Rate buchen.

Und schon zieht sich der offene Himmel ein wenig zu. Es ergeht das Wort des Vaters: der fallende Vorhang. Eine Wolke: wieder ein Bild der Verhüllung und gleichzeitigen Erscheinung Gottes zu den Menschen aus dem Alten Testament. Der Vater spricht den Satz, den wir aus der Taufgeschichte Jesu kennen: "Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe." Der Satz, den Jesus hörte, als ihm damals der Himmel geöffnet wurde für seinen Auftrag hier auf Erden. Mit einem kleinen, aber entscheidenden Zusatz diesmal, nämlich: "den sollt ihr hören!" "Den sollt ihr hören!" - die Kernaussage dieser ganzen Geschichte.

Der offene Himmel wird verortet, angebunden, in die Zeit gebracht im Hören des Wortes Gottes. Im Hören darauf, wie Jesus von Gott spricht. Mitten in aller Gebrochenheit des Lebens, in allem Vorläufigen, Unfertigen, Unhimmlischen, tut sich ein deutlicher Lebensüberhang vor uns auf, der nicht geschluckt, vertrieben und totgeschwiegen werden kann von dem, was scheinbar die Macht hat im Leben. 

Der offene Himmel wird angebunden an das Kreuz Jesu. Da, wo die Welt sich verfinstert, reißt es zugleich den Himmel auf. Wo Himmel und Erde unendlich weit entfernt und getrennt erscheinen, kommen sie sich zugleich doch nahe. Und insofern ist die Rede vom offenen Himmel und die Sehnsucht danach eben nicht an faszinierende und schöne Momente unseres Leben gebunden, sondern der offene Himmel kann sich sogar in den schwärzesten Momenten unseres Lebens ereignen; ja vielleicht gerade dann.

Aus dem Staunen und aus der Verzückung ruft Jesus seine Jünger wieder zurück auf den Boden, auf die Erde. Sein Weg endet noch nicht da oben auf dem Berg, seine Geschichte ist noch nicht zu Ende.

Die besonderen Erfahrungen der Gottesnähe sind kein Dauerzustand. Jesus schickt seine Jünger wieder hinab von der Höhe der Verklärung. Nun sind sie gerüstet und gestärkt, auf Christus zu trauen, auf ihn zu hören und bei ihm zu bleiben, auch in Zeiten, die nichts mehr von dem hellen Licht auf dem Berg an sich haben. Es bleibt nicht beim Schauen, der Glaube wird nicht überflüssig. Und darum ist es notwendig, bestimmte Ereignisse, die wohl jeder einmal dankbar erlebte, im Dank und in der Erinnerung festzuhalten. Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat, heißt es im 103. Psalm. Vergiss nicht die lichten Zeiten des Glaubens, wenn dann ganz andere Umstände und Nöte dir zu schaffen machen!

Wie ist es mit unserem Stück vom Himmel, das wir erlebt haben? Wie stehen wir zu diesem Christus, der vielleicht vor einiger Zeit sehr licht und deutlich in unser Leben getreten und dann doch wieder so leise und verborgen aus unserem Alltag zurückgetreten ist. Hören wir noch auf ihn, lesen wir in der Schrift, die von ihm zeugt, um gerade auch dadurch wieder mehr Nähe und Gewissheit zu erhalten? Gott gebe uns seinen Heiligen Geist, damit wir in hellen und auch in dunklen Stunden ihm die Treue halten und wir auch dann, wenn unser Haus, diese Hütte zerbrochen wird, einen Bau haben, von Gott erbaut, ein Haus, das ewig ist. Aber das ist dann ein Haus und keine Hütte. Und das bauen nicht wir, sondern Gott. Und da ist dann wirklich gut sein! Gott möge es schenken, dass diese gute Nachricht das Kreisposaunenfest 2011 bestimmt. Denn wenn wir das erfahren und glauben, dass uns in Jesus das Leben begegnet, dann nehmen wir ein Stück offenen Himmels mit in unseren Alltag. Das schenke uns Gott. Amen

Und der Friede Gottes…

Pfarrer Martin Braukmann, Oberfischbach

(Die Predigt wurde in der ev. Johanneskirche in Oberfischbach gehalten am Eröffnungsabend (16.07.2011) des Siegerländer Kreisposaunenfestes. Predigtbezüge zu Mt 17,1-9 aus der Predigtliteratur kann ich leider keinem Verfasser mehr zuordnen).


Martin Braukmann, Pfr.
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