Warum haben die Reformierten so viele Bekenntnisse?

Ein Überblick über die wichtigsten Bekenntnisschriften


Heidelberger Katechismus, Druck 1563 (Ausschnitt Deckblatt) © Wikicommons

Weltweit gibt es zahlreiche unterschiedliche reformierte Bekenntnisschriften. An ihrem jeweiligen Ort, in der Sprache ihrer Zeit bekennen Reformierte ihren Glauben. Das reformierte Bekenntnis kennt keinen Stillstand.

Die weltweit am weitesten verbreitete reformierte Bekenntnisschrift ist der Heidelberger Katechismus. Doch ein gemeinsames, weltweit gültiges Bekenntnis für alle Kirchen und Gemeindeglieder gibt es unter Reformierten bis heute nicht. Die Buntheit und ständig weiter wachsende Vielfalt der Bekenntnisschriften wie Katechismen, Thesen, Kirchenordnungen, Glaubens- und Konsenserklärungen zeichnet reformierte Kirchen aus. Darin unterscheiden sie sich von lutherischen Kirchen, denen mit dem Konkordienbuch von 1580 eine fest umrissene Sammlung von Bekenntnisschriften vorliegt.

 

Die Eigenart reformierter Bekenntnissschhriften: Erkenntnis unter Vorbehalt

Der Prozess des Erkennens und des Bekennens im Glauben geht ständig weiter. Im Gespräch innerhalb der einzelnen Kirchen und der Kirchen untereinander zeigt sich immer wieder: Bekenntnistexte sind in den Grenzen menschlicher Erkenntnis verfasst. Vom Wort der Heiligen Schrift geleitet kommen Kirchen, Gemeinden, einzelne Christen ins Gespräch mit dem Bekenntnis. Dabei fragen sie, wo ein Bekenntnis nicht im Einklang steht mit dem in der Bibel bezeugten Wort Gottes, suchen selbst nach Ergänzungen, ja Änderungen und nach dem, was gültig ist und bleibt.

Einen Bekenntnistext zu formulieren und zu bestätigen geschieht nach reformiertem Verständnis stets unter dem Vorbehalt der besseren Einsicht in die Heilige Schrift. Ausdrücklich bekennt dies die Vorrede des Zweiten Helvetischen Bekenntnisses, der Confessio Helvetica Posterior (1566):

"Vor allem aber bezeugen wir, daß wir immer völlig bereit sind, unsere Darlegungen im allgemeinen und im besonderen auf Verlangen ausführlicher zu erläutern, und endlich denen, die uns aus dem Worte Gottes eines Besseren belehren, nicht ohne Danksagung nachzugeben und Folge zu leisten im Herrn, dem Lob und Ehre gebührt."

Unter diesem Vorbehalt erhebt ein Bekenntnis universalen Anspruch, es sagt – wenn auch unausgesprochen: Was wir hier und heute aus der Heiligen Schrift erkannt haben, gilt für alle Glaubenden weltweit. Dabei ist sich das Bekenntnis bewusst, an einem bestimmten Ort in seiner Zeit zu sprechen. "Das Bekenntnis formuliert universal im Bewusstsein der eigenen Partikularität." (Georg Plasger). Formuliert eine reformierte Kirche ihre aus Einsicht in die Heilige Schrift gewonnenen Erkenntnisse als Bekenntnis, erwartet sie Überprüfung und Zustimmung in der weltweiten Kirche. Manches Mal wird diese versagt. Doch auch im Streit um die wahre Lehre ist die Gemeinschaft der Kirchen vorgegeben durch ihr Haupt Jesus Christus.

 

Schutz gegen Ideologie - die Aufgaben eines Bekenntnisses

Drei Aufgaben kommen Bekenntnissen zu: Die nach außen gerichtete Aufgabe, Rechenschaft abzulegen über den eigenen Glauben; die nach innen gerichtete, die Glieder der eigenen Gemeinschaft über ihren Glauben zu unterrichten; und die in beide Richtungen erfolgende Aufgabe, die eigene Erkenntnis im Glauben deutlich von falscher Lehre abzugrenzen. Dafür seien drei Beispiele genannt:

Im Zuge der Reformation waren die evangelischen Christen genötigt, nach außen Rechenschaft über ihren Glauben abzugeben. Auf dem Augsburger Reichstag 1530 legten sie Kaiser Karl V. ihre Bekenntnisse vor: das von Philipp Melanchthon verfasste Augsburger Bekenntnis (Confessio Augustana), ein von Martin Bucer und Wolfgang Capito formuliertes Bekenntnis der vier oberdeutschen Städte Konstanz, Memmingen, Lindau und Straßburg, das Vierstädte-Bekenntnis (Confessio Tetrapolitana) und Zwinglis "Fidei ratio" (Rechenschaft über den Glauben) für Reformierte der Schweiz.

Im Unterschied zu diesen Bekenntnissen richtet sich der Heidelberger Katechismus (1563) vornehmlich nach innen. Er dient noch heute dem Unterricht in Gemeinden und dem Studium von einzelnen.

Eine deutliche Abgrenzung gegenüber der falschen Lehre markierte die Bekennende Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus mit der Barmer Theologischen Erklärung (1934). Den eigenen Glauben zu verantworten, kann zu einer "Kampfansage" gegen eine dem Wort Gottes widersprechende Weltanschauung werden. Das Bekenntnis ist dann die "aufgrund des Lehrganzen getroffene Entscheidung der Kirche, an einem bestimmten Ort den Kampf aufzunehmen" (Dietrich Bonhoeffer). Zu jedem Gespräch mit dem urkundlichen Bekenntnis gehört immer auch das aktuale Bekennen. "Bekenntnis ohne die ihm entsprechende praktische Haltung ist selber schon Bestreitung des Bekenntnisses."(Karl Barth).

 

Bekenntnisse aus verschiedenen Regionen

In einem kurzen und damit auch verkürzendem Überblick seien aus den verschiedenen Regionen jeweils bedeutende Bekenntnisschriften genannt:

 

Schweiz

Die 67 Thesen (oder Artikel) von 1523: Sie werden oft als erstes reformiertes Bekenntnis genannt. Zwingli schrieb sie für die erste Zürcher Disputation.

Die Berner Thesen von 1528: Die Thesen der beiden Prediger Berthold Haller und Franz Kolb waren grundlegend für den Übergang der Stadt Bern in die Reformation.

Die Fidei ratio (Rechenschaft über den Glauben) von 1530: Die von Zwingli für den Augsburger Reichstag verfasste Schrift blieb formal sein "Privatbekenntnis".

Das Basler Bekenntnis von 1534: Dieses Bekenntnis verabschiedete der Rat der Stadt Basel und forderte seine Bürger auf, ihm zuzustimmen. Es blieb bis 1872 in Kraft. In der Nachreformationszeit entwickelte sich in der Schweiz ein Staatskirchentum. Kirchen- und Staatsdiener leisteten in einem Akt ihren Eid auf den Staat und das kirchliche Bekenntnis. Als sich im 19. Jahrhundert eine liberale Politik durchsetzte, wurde der staatliche Zwang, kirchliche Bekenntnisse abzulegen, abgeschafft. Im Zuge der Liberalisierung wurde dann aber auch der innerkirchliche Gebrauch des Katechismus verboten. Ein "wachsendes Bedürfnis nach einer neuen Kultur des Bekennens" diagnostizierte der Zürcher Kirchenrat im Frühjahr 1999 und initiierte eine neue Diskussion um Bekennen und Bekenntnis im reformierten Gottesdienst.

Der Genfer Katechismus von 1542/1545: Die von Calvin verfassten Fragen und Antworten wurden zum bedeutendsten Katechismus der französischsprachigen Schweiz und zum Vorbild für den Heidelberger Katechismus.

Das zweite Helvetische Bekenntnis von 1566 (Confessio Helvetica posterior): Das vom Zürcher Reformator Heinrich Bullinger verfasste Bekenntnis ist das bedeutendste der deutschschweizerischen Reformation. Alle evangelischen Orte der deutschsprachigen Schweiz stimmten ihm zu. Auch in Schottland und Ungarn wurde es übernommen, in Polen 1570 mit leichten Veränderungen unter dem Namen "Konsensus von Sendomir".

 

Deutschland

Das Ostfriesische Bekenntnis von 1528: Diese Schrift ist das erste Bekenntnis in einem deutschen Lande. Es wurde jedoch nicht offiziell von der Obrigkeit eingeführt.

Der Kleine Emder Katechismus von 1554: "Zum Nutzen der Jugend" von Johannes a Lasco geschrieben blieb der Katechismus in Ostfriesland bis ins 20. Jahrhundert hinein in Gebrauch.

Der Heidelberger Katechismus von 1563: Der im Rahmen der neuen Kirchenordnung in der Kurpfalz, dem ersten deutschen reformiertem Territorium, entstandene Katechismus ist bis heute der Katechismus für Reformierte in Deutschland. Als Hauptverfasser gilt Zacharias Ursinus, ein Melanchthonschüler. Wie weit im Einzelnen der Einfluss von Caspar Olevian ging, der maßgeblich an der Neuordnung des pfälzischen Kirchenwesens nach reformiert-calvinistischen Grundsätzen beteiligt war, ist umstritten.

Die Barmer Theologische Erklärung von 1934: Auf der Bekenntnissynode in Wuppertal-Barmen Ende Mai 1934 wurde die Erklärung von Vertretern lutherischer, reformierter und unierter Kirchen verabschiedet. Sie markiert die Geburtsstunde der Bekennenden Kirche und ist eine klare Absage gegenüber dem  Machtanspruch des totalitären nationalsozialistischen Staates.

Heidelberger Katechismus und Barmer Theologische Erklärung sind in der aktuellen "Reformierten Liturgie" sowie im Evangelischen Gesangbuch abgedruckt.

 

Frankreich

Die Confessio Gallicana von 1559/1569: Der auf Calvin zurückgehende Text entstand im Streit um die Erwählungslehre. Auf der heimlichen Nationalsynode in Paris 1559 wurde die Confessio verabschiedet und zehn Jahre später auf der Synode von La Rochelle bestätigt. Die Schrift ist auch bekannt als "Bekenntnis von La Rochelle" oder als "Französisches Bekenntnis".

 

Niederlande

Confessio Belgica von 1561: Das zum Teil auf die Confessio Gallicana zurückgehende Niederländische Bekenntnis wurde auf dem Weseler Konvent 1568 und auf der Emder Synode 1571 als Bekenntnis eingeführt und auf der Dordrechter Synode 1618/19 bestätigt.

Die Dordrechter Canones von 1619: Diese Lehrsätze beendeten einen jahrelangen Streit um die Lehre der Prädestination.

Fundamenten en perspektiven der hervormden kerk (Grundlagen und Perspektiven des Bekennens) 1949: "Im Zusammenhang mit der Arbeit an einer neuen Kirchenordnung der niederländischen reformierten Kirche (hervormde kerk) wurde auch an einem neuen Bekenntnis gearbeitet. 1949 wurde es von der Generalsynode verabschiedet: „Grundlagen und Perspektiven des Bekennens, Beispiel eines erneuerten reformatorischen Bekenntnisses“.

Es soll aber keine Bekenntnisschrift im klassischen Sinn sein, sondern ein aktuelles Zeugnis des Bekennens heute. Schon das ist bemerkenswert, wie auch der Ansatz im Reich Gottes. Auch neue Themen werden verhandelt, wie Geschichte, persönliches Leben, Gegenwart und Zukunft des jüdischen Volkes. Das Bekenntnis erregte nach seinem Erscheinen in Deutschland (spziell in der DDR) großes Aufsehen und wurde in den Pfarrkonventen aufmerksam studiert". (Jürgen Reuter)

 

England und Schottland

Die Confessio Scotica von 1560: Das Schottische Bekenntnis, in nur vier Tagen unter der Leitung von John Knox formuliert, wurde Ausgangspunkt der Schottischen reformierten Kirche (Church of Scotland).

Die Westminster Confession von 1647: Mit der synodalen Verabschiedung dieses Bekenntnisses setzten sich die schottischen Presbyterianer gegenüber den englischen Anglikanern durch. Damit war ihre kirchliche Trennung endgültig. Eine heilsgeschichtlich orientierte Bundestheologie prägt dieses presbyterianische Bekenntnis. Bis heute ist es in vielen angelsächsischen reformierten Kirchen das grundlegende Bekenntnis.

 

Ungarn

Das Ungarische Bekenntnis von 1562: Dieses Bekenntnis, das sich an eine Schrift von Theodor Beza anschloss, blieb nur wenige Jahre in Geltung. Es wurde durch das Zweite Helvetische Bekenntnis abgelöst.

 

USA

Brief Statement of Faith von 1991: Mit diesem neuen Bekenntnis stellt sich die Presbyterian Church (U.S.A.) den Herausforderungen durch die ökologische Krise und durch die Marginalisierung von Frauen in Kirche und Theologie.

 

Südafrika

Das Belhar-Bekenntnis von 1996: Nach der Vereinigung der farbigen Nederduitse Gereformeerde Sendingskerk (NGSK) mit der schwarzen Nederduits Gereformeerde Kerk in Suider Afrika (NGKA) wurde der Text 1994 gemeinsames Bekenntnis der Uniting Reformed Church in Southern Africa (URCSA). Ablehnung und Überwindung der Apartheit wurden zur Bekenntnisfrage.

 

Ökumene in Europa

Die Leuenberger Konkordie von 1973: Auf dem Leuenberg, in einem Tagungshaus südlich von Basel verabschiedeten Vertreter reformierter, lutherischer und unierter Kirchen in Europa die "Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa". In dieser theologischen Erklärung gewähren die unterzeichnenden Kirchen sich Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Die Feier der Sakramente durch Ordinierte wird gegenseitig anerkannt. Erst mit der Leuenberger Konkordie gab es innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland Abendmahlsgemeinschaft zwischen den verschiedenen konfessionellen Mitgliedskirchen.

 

Accra

Auf der 24. Generalversammlung des Reformierten Weltbundes in Accra, Ghana vom 30. Juli bis 13. August 2004 wurde ein "Bekenntnis des Glaubens im Angesicht von wirtschaftlicher Ungerechtigkeit und ökologischer Zerstörung" beschlossen. In seiner Form versteht sich der Text als "Glaubensverpflichtung" (faith commitment), nicht als Bekenntnis (confession) im Sinne eines klassischen Lehrbekenntnisses. Ein solches zu verabschieden sei der Reformierte Weltbund "nicht befugt".

Die Glaubensverpflichtung sagt: "Nein zur gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung, wie sie uns vom globalen neoliberalen Kapitalismus aufgezwungen wird. Nein aber auch zu allen anderen Wirtschaftssystemen, - einschließlich der Modelle absoluter Planwirtschaft, - die Gottes Bund verachten, indem sie die Notleidenden, die Schwächeren und die Schöpfung in ihrer Ganzheit der Fülle des Lebens berauben. Wir weisen jeden Anspruch auf ein wirtschaftliches, politisches und militärisches Imperium zurück, das Gottes Herrschaft über das Leben umzustürzen versucht, und dessen Handeln in Widerspruch zu Gottes gerechter Herrschaft steht."

Dieser "Akt des Bekennens" in "Treue gegenüber dem Bund Gottes" ist unterwegs in reformierten Kirchen weltweit.

 

Literaturtipps:

Reformierte Bekenntnisschriften. Eine Auswahl von den Anfängen bis zur Gegenwart, hrsg. von Georg Plasger und Matthias Freudenberg, Göttingen 2005

Reformiertes Zeugnis heute. Eine Sammlung neuerer Bekenntnistexte aus der reformierten Tradition, hrsg. von Lukas Vischer, Neukirchen-Vluyn 1988


Barbara Schenck