Johannes Calvins Haltung gegenüber dem Judentum

Erkenntnisse der Studie „Kirche und Israel“ (2001) der reformatorischen Kirchen Europas

Johannes Calvin nutzte jüdische Kommentare für seine Auslegung des Alten Testaments, übernahm aber trotzdem die antijudaistische Rede von „den Juden“ als „Lügnern“ und „Verfälschern der Schrift“.

Mit der Studie „Kirche und Israel“ legten die reformatorischen Kirchen Europas erstmals einen gemeinsamen theologischen Beitrag zum Verhältnis von Christen und Juden vor. Die 5. Vollversammlung der Leuenberger Kirchengemeinschaft in Belfast machte sich den Text am 24. Juni 2001 einstimmig „zu eigen“.

In einem Kapitel „zur geschichtlichen Entwicklung der Abgrenzung zwischen Kirche und Israel“ ist die „Haltung der Reformatoren gegenüber dem Judentum“ kurz skizziert.

Hier der Abschnitt zu Johannes Calvin sowie dem Straßburger Reformator Wolfgang Capito, dem Basler Theologieprofessor Martin Borrhaus und dem in Basel lebenden Humanisten Sebastian Castellio:

„Auch Johannes Calvin sprach von den Juden als von Aufschneidern, Lügnern und Verfälschern der Schrift und nannte sie habgierig. Da er überwiegend in Regionen wirkte, in denen schon seit mehreren Jahrzehnten nur noch wenige Juden lebten, sah er das Verhältnis zum Judentum nicht als eine vordringliche Frage an. Dennoch disputierte er nach eigenem Zeugnis öfter mit Juden, und für die Auslegung des Alten Testaments nahm er auch zahlreiche jüdische Kommentare zur Kenntnis. Da er die Annahme zurückwies, alle alttestamentlichen Aussagen seien allein auf Christus hin zu deuten, wurde er als „Calvinus Judaizans“ bezeichnet. In einer um 1555 verfaßten Schrift setzte er sich intensiv mit jüdischen Disputationsargumenten des Mittelalters auseinander.

Calvin beschreibt den dem Volk Israel gewährten ‘Alten Bund’ oft als nahezu identisch mit dem in Christus allen Menschen gewährten ‘Neuen Bund’; Unterschiede zwischen beiden seien eher gradueller, nicht grundsätzlicher Art: Der neue Bund hebt den alten Bund nicht auf, sondern beide sind derselbe eine Gnadenbund in zwei unterschiedlichen Austeilungen. Da auch „der Menschen Treulosigkeit“ den Gottesbund „nicht ins Wanken“ bringen könne, nähmen „die Juden als die Erstgeborenen der Familie Gottes den ersten Platz“ ein, doch könnten sie aus der Perspektive des Christusbekenntnisses nur als „Abtrünnige“ wahrgenommen werden. So spricht auch Calvin davon, daß die Kirche „an die Stelle der Juden gerückt“ und das Judentum also eigentlich eine Größe der Vergangenheit sei. Vor allem in seinen späten Predigten ist Calvins Haltung gegenüber dem Judentum von Ablehnung und Polemik bestimmt: Weil die Juden das Heil in Jesus Christus zurückgewiesen haben, seien sie mit Blindheit und Verderben geschlagen. Gleichzeitig sprach er aber auch davon, es gebe im jüdischen Volk einen Rest Erwählter, um derentwillen man die Juden nicht verachten oder gar mißhandeln dürfe.

Nur wenige Anhänger der Reformation nahmen eine konsequent judenfreundliche Haltung ein. Zu ihnen gehörten der Straßburger Reformator Wolfgang Capito und der Basler Theologieprofessor Martin Borrhaus. Sie glaubten an eine endzeitliche Bekehrung ganz Israels und verlangten von den Christen einen freundlichen Umgang mit den Juden. Der ebenfalls in Basel lebende christliche Humanist Sebastian Castellio forderte sogar bereits ausdrücklich religiöse Toleranz.“

Quelle: Leuenberger Texte, Heft 6: Kirche und Israel (2001)


Barbara Schenck
Gemeinschaftsbindung durch kirchliche Grundrechte

Synodal-presbyteriales Prinzip - Gleichstellung der Ämter in der Kirche - freie Pfarrwahl - Gemeindeprinzip - eine Synode, kein Kirchenparlament: wichtige Akzente reformierten Kirchenrechts, dargestellt anhand eines Artikels von Arno Schilberg.