Wachsende Zahl von Abschiebungen, wachsende Aufgabe Abschiebungsmonitoring

Jahresbericht Abschiebungsbeobachtung 2015


Abschiebung so human wie möglich: Kirchenrat Nikodemus (v.l.), Abschiebebeobachterin Höhne, Polizeidirektor Peltzer und Ministerialdirigent Schnieder.

Evangelische Kirche und Diakonie fordern ein erweitertes, juristisch abgesichertes "Abschiebungsmonitoring". Freiwillige Abschiebebeobachtung soll durch ein Monitoring auf Basis der EU-Rückführungsrichtlinie ersetzt werden, so kirchliche Fachleute bei der Vorstellung des Jahresberichts 2015 der Abschiebungsbeobachtung in NRW.

Wir kommen sehr gut ohne gesetzliche Regelungen aus“, erklärte dagegen Ministerialdirigent Burkhard Schnieder, Abteilungsleiter im Ministerium für Inneres und Kommunales in Nordrhein-Westfalen. Die EU-Richtlinie verlange nur irgendein Monitoring, gesetzgeberische Maßnahmen könnten womöglich auf ein Ombudsmann-Modell zurückfallen. Dagegen sei NRW „schon sehr weit“, so Schnieder.

Die vor rund 15 Jahren am Flughafen Düsseldorf International als Modellprojekt gestartete unabhängige Abschiebungsbeobachtung habe "echte Pionierarbeit" geleistet. Die begleitende Arbeit im Forum Flughäfen in NRW (FFiNW) sei eine "Erfolgsgeschichte", die zu mehr Transparenz geführt habe und "wenig Raum für Verdächtigungen" lasse, so Kirchenrat Rafael Nikodemus, Moderator des FFiNW und Dezernent der Evangelischen Kirche im Rheinland für Flüchtlings- und Migrationsfragen. 

Ähnlich äußerte sich Dalia Höhne M.A., seit 2012 die NRW-Abschiebebeobachterin, vor allem am Düsseldorfer Flughafen, ab und an auch in Köln/Bonn. In ihren Worten ist das NRW-Modell, einst "Vorreitermodell", heute im Europavergleich "weit zurückgefallen". Kirchenrat Nikodemus ergänzte, dass die unabhängigen Abschiebebeobachter vor allem in der Schweiz und in Luxemburg deutlich mehr Kompetenzen haben. Er nannte die einst vorbildliche Abschiebungsbeobachtung in NRW im europäischen Vergleich "überholt" und forderte eine Erweiterung der Kompetenzen und der Ausstattung.

Aus Sicht von Dalia Höhne sollte die Abschiebungsbeobachtung unter anderem zeitlich ausgedehnt werden, also bereits bei der Abholung in der Unterkunft beginnen, von dort kenne sie Berichte von groben Behandlungen, könne das aber nicht verifizieren, so die Abschiebebeobachterin. Nötig sei auch die Ausdehnung der Beobachtung auf die Zeit während des Fluges an Bord. Höhne: „Das ganze Prozedere muss betrachtet werden.“

Insgesamt hat Dalia Höhne im vergangenen Jahr 224 Rückführungsmaßnahmen beobachtet – 185 Einzel- und 39 Sammelabschiebungen, letztere zumeist in den Kosovo, nach Albanien, Serbien und Mazedonien. Sie habe „keine unverhältnismäßig groben Behandlungen“ zu berichten, erklärte die Abschiebebeobachterin. Für problematisch hält sie aber den Umgang der Behörden mit kranken Menschen, etwa wenn es um die Ausstellung von Flugtauglichkeitsbescheinigungen oder die Versorgung mit Medikamenten ging. Schwierig seien oft Familientrennungen und die uneinheitlichen Regelungen beim Handgeld. Manche Menschen würden völlig mittellos abgeschoben, kritisierte Dalia Höhne.

Im FFiNW arbeiten Behördenvertreter aus NRW-Innenministerium, Bundespolizei und Ausländerbehörden sowie Vertreterinnen bzw. Vertreter von Kirchen und Nichtregierungsorganisationen zusammen, stellen sich der Aufgabe eines möglichst humanitären Vollzugs der Flugabschiebung. „Hier stehen Behörden nicht auf der Anklagebank“, wie Schnieder sagte. Die Freiwillige Abschiebungsbeobachtung und die Arbeit im Forum sorge für Transparenz und für Sensibilisierung aller Mitarbeitenden, sie diene dem Motto „keine Abschiebung um jeden Preis“.

Dass es ungewöhnlich ist, wenn staatliche Stellen durch NGO’s beobachtet werden, betonte Polizeidirektor Udo Peltzer, der Leiter der Bundespolizeiinspektion Flughafen Düsseldorf. Die Abschiebungsbeobachtung sei ein wichtiges Instrument, verhindere Papierkriege oder das Austragen von Streitereien über die Medien.

Keine Abschiebung um jeden Preis: Für Peltzer gehört dazu im weiten Sinn, dass Beamtinnen und Beamte nur freiwillig in diesen Dienst kommen und dass sie geschult werden. Sein positives Fazit: Heute sei die Abschiebebeobachterin allen Kolleginnen und Kollegen bekannt und werde respektiert. Aus ursprünglicher Skepsis sei Normalität geworden, „die wir sehr begrüßen“.

Jenseits des Dissenses in der Frage, ob eine gesetzliche Regelung für die Abschiebungsbeobachtung nötig ist: Die Beteiligten wissen, dass Abschiebungen für Betroffene wie Beamte belastend sind. Und sie wissen um die steigenden Abschiebezahlen: Sie lagen 2014 in NRW bei 2.929 und verdoppelten sich 2015 nahezu auf 4.395. Im ersten Quartal 2016 wurden bereits 1.324 Menschen aus NRW abgeschoben.

Der Druck abzuschieben sei sehr hoch, erläuterte Kirchenrat Nikodemus, rein quantitativ stiegen die Herausforderungen. Hinzu kommen aus seiner Sicht die im Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz beschlossene Nichtankündigung von Abschiebungen und die im Asylpaket II vereinfachte Abschiebung von Kranken.

Kirchenrat Nikodemus wies außerdem darauf hin, dass das FFiNW und die NRW-Abschiebungsbeobachtung nicht für politische Bewertungen zuständig sind. Daher werde das „Ob“ von Abschiebungen im Forum nicht diskutiert. Er wolle aber zumindest erwähnen, so Nikodemus, dass Kirchen und Wohlfahrtsverbände die neuen restriktiven Asylpakete sehr stark kritisieren.

Quelle: ekir.de / neu / 09.05.2016