09 – Holzwege: die Gefahr der Erstarrung

Der reformierte Blick auf die Bilder. Gedanken zu einer theologischen Ästhetik. Teil IX

Von Andreas Mertin

Der reformierte Blick auf die Bilder, so hatten wir in der letzten Folge gesehen, führt dazu, die Versammlungsräume bewusst von Kultbildern und auch von Bildern an sich freizuhalten. Das schärft die Sinne für die Wahrnehmung von Bildern und Inszenierungen außerhalb dieses Raumes. Dabei zeigt sich allerdings oft auch eine problematische Schattenseite: die Gefahr, dass nicht nur Kultbilder, sondern Bilder an sich als problematisch oder gar zu verwerfen angesehen werden.

Aus dem biblischen Du sollst Dir kein Kultbild machen wird dann schnell Du sollst Dir (überhaupt) kein Bildnis machen. Nicht nur in der Außenwahrnehmung wird den Reformierten diese Haltung unterstellt; auch binnenperspektivisch wird das Kultbildverbot allzu oft im Sinne eines allgemeinen Bilderverbots oder doch einer allgemeinen Bilderkritik überstrapaziert. So wird dann das 2. Gebot auch gegen die moderne Bilderwelt (Bilderflut) in Anschlag gebracht oder auf die Bilder in unserem Kopf, also auf unsere Imaginationen bezogen. Manchmal wird es auch auf sprachliche Phänomene, also etwa Metaphern und Sinnbilder angewendet. Sicher kann man derartige kritische Transformationen vornehmen, aber meines Erachtens vergibt man damit Chancen, die in einer besonnenen Beerbung des Kultbildverbotes liegen könnten.

So wird bei der ersten Variante dieses Holzweges aus dem ursprünglichen Kultbildverbot ein zunächst kulturkritisches, dann aber oft sogar kulturpessimistisches Argument gegen Bildlichkeit an sich, so als ob das Wort Gottes eine derartige Präfigurierung der Sprache beinhalte, die Bilder ausschlösse. Dagegen wollte das 2. Gebot eigentlich in der Sache gerade die menschliche Kultur (und damit auch die Bilder) fördern und bewahren, indem es sie von religiösem Missbrauch befreite. Dass Menschen vielfältig und vielfältige Bilder produzieren, wird ja weder in der Bibel noch in der Theologie der Reformation gegen sie verwendet, sondern gerade im positiven Sinne der Beförderung der menschlichen Möglichkeiten genutzt. Unterbunden werden sollte nur der Versuch, die Bilder im vorgeblichen Interesse der Religion zu vereindeutigen (= sie auf eine kultische Bedeutung festzulegen) und damit für den Kultgebrauch zu fixieren. Im engeren Sinne ist das 2. Gebot daher nicht nur ein Kultbildverbot, sondern auch ein Bildergebot, das besagt: Nutzt den Reichtum der Bilder und legt sie nicht (kultisch) fest. Das ist die Botschaft, die hier zu vernehmen ist. Nicht Bilder, sondern ihre Fixierungen (auf Kult, Verehrung, Anbetung) sind verboten. Der Künstler Anselm Kiefer hat ganz in diesem Sinne vor Jahren in einer Rede vor der Knesseth in Jerusalem gesagt: „Zwei Dinge waren bei meinen Arbeiten wichtig: zunächst der Satz - 'du sollst dir kein Bild machen', nicht als Verbot, sondern als Mahnung, dass es eigentlich unmöglich ist, ein Bild zu machen, und als Auftrag: gerade weil es eigentlich unmöglich ist, es dennoch zu tun. ... Das Bild lässt im Scheitern (und es scheitert immer) die Größe dessen aufleuchten, das es nicht erreichen kann ... Das zweite, das mir als Künstler immer bewusst ist: die Trennung ... Ich rede von ... den zwei Hälften eines Bildes, das nie mehr eins werden kann“. In diesem Sinne ist und bleibt auch die Kunst – und wahrlich nicht erst die moderne Kunst – tatsächlich immer auch eine Reaktion auf das 2. Gebot in seiner doppelten Bedeutung: als Kultbildverbot und profanes Bildergebot. Es gibt also keinen Grund, sich infolge des Zweiten Gebotes skeptisch zur Bildlichkeit der Kunst zu äußern.

Und auch die Bilderflut in der Gegenwart bedarf anderer kritischer Argumente als das 2. Gebot, sie ist im Wesentlichen anthropologisch zu erörtern. Das biblische Bilderverbot auf die überschäumende Fülle an Bildern zu beziehen, mag zwar naheliegend erscheinen, verfehlt aber dessen theologischen Glutkern. Ob die Menge an Bildern, die heute täglich auf uns einschießt, förderlich ist, kann man mit guten Gründen bezweifeln. Aber das sollte man dann auch mit diesen kulturellen bzw. anthropologischen Gründen tun und nicht das 2. Gebot dazu missbrauchen. Das wäre theologisch kurzschlüssig.

Lots Frau wird zur Salzsäule, Mosaik, Monreale 12. Jh.

Der zweite Holzweg, das Bilderverbot auf die Bilder in unserem Kopf zu beziehen, ist besonders populär geworden, seitdem der einschlägige Text von Max Frisch zum klassischen Schultext und damit allgemeinbildend geworden ist. Frisch macht dabei einen poetischen Gebrauch von der Formulierung des biblischen Bilderverbots und beschreibt das „Bildnis“ als Festlegung (bzw. Fixierung im Sinne eines Fotos), wogegen er die lebendige Beziehung zwischen Menschen setzt, ihre Dynamik und Entwicklungsfähigkeit. „Erstarrt zu einem Bild“ – das kann man so sehen (analog zur Salzsäule von Lots Frau aufgrund ihres Blicks zurück), aber eben auch mit Gründen bezweifeln, weil der zugrunde gelegte Begriff des Bildes doch ein sehr enger ist. Der kritische Ansatz des Bilderverbots ging ja gerade von der nicht zu begrenzenden Multiperspektivität der Bilder aus, also von ihrer konstitutiven Variabilität und Dynamik. Das läuft der Aussage von Frisch zuwider. Aber es gibt natürlich den Gedanken, dass die Bilder unserer Erkenntnis im Wege stehen. Die Aufklärung hat den Gedanken vorangetrieben, Wahrheit sei bilderlos und es gelte, die Macht der Bilder zu brechen. Aber dieser Gedanke ist selbst ein ebenso mythisches wie gefährliches Bild wie Theodor W. Adorno in den „Minima Moralia“ schreibt: „Der objektiven Tendenz der Aufklärung, die Macht aller Bilder über die Menschen zu tilgen, entspricht kein subjektiver Fortschritt des aufgeklärten Denkens zur Bilderlosigkeit. Indem der Bildersturm nach den metaphysischen Ideen unaufhaltsam die ehedem als rational verstandenen, die eigentlich gedachten Begriffe demoliert, geht das von Aufklärung entbundene und gegen Denken geimpfte Denken in zweite Bildlichkeit, eine bilderlose und befangene, über.“

Der dritte mögliche Holzweg, die Beerbung des Bilderverbots im Sinne der Kritik von Sprachbildern, kommt oft dort zur Geltung, wo bestimmte sprachliche Fixierungen beobachtet werden. Etwa in der Gottesbilderdiskussion, wenn bestimmte Bilder auf Gott als alten Mann bzw. überhaupt als Mann kritisiert werden. Der Fixierung auf das männliche Gottesbild wird dann mit dem 2. Gebot entgegengetreten. Dabei ist das zu Kritisierende aber nicht, dass ein Sprachbild verwendet wird, sondern dass es ein unzutreffendes bzw. unzureichendes ist. Deshalb ist die sinnvolle Therapie gegen die Verengung auf ein Sprachbild die bewusste Variabilität von Sprachbildern. Es geht also nicht zuletzt darum, von den Bildern zu lernen, dass es eine Chance und Bereicherung sein kann, mehr als nur eine Verstehensmöglichkeit wahrzunehmen.

In der nächsten Folge: GeistesGegenwart – Zeitgenössische Kunst in reformierter Perspektive.

Weitere Informationen

Zur konstitutiven Variabilität von Bild/Kunst und biblischem Text vgl. Ebach, Jürgen (2014): Menschensohn. Eine biblische Wortverbindung, ins Gespräch gebracht mit Sigmar Polkes Glasfenster „Der Menschensohn“ oder: Warum mehr als eine Verstehensmöglichkeit „schriftgemäß“ ist. In: tà katoptrizómena - Magazin für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik, Jg. 16, H. 91. Online unter http://www.theomag.de/91/je1.htm.


Andreas Mertin, 6. April 2015