Calvin und die Frage nach dem Eigentum

Die Gaben Gottes „frei und gütig“ mit anderen teilen

Ein Artikel aus dem Evangelischen Soziallexikon zu Calvins Auslegung von Apostelgeschichte 4,34: „... denn wer von ihnen Äcker oder Häuser besaß, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte.“

Darf ein Christ privates Eigentum besitzen?

Was antwortet Calvin auf diese urchristliche Frage?

Wie Luther und die lutherischen Bekenntnisse (CA Art. XVI und Konkordienformel Art. 12-13) hat auch Calvin (1509-1564) (und die ref. Bekenntnisschriften) es für ein natürliches Recht des Menschen gehalten, Eigentum zu besitzen. So wendet sich Calvin etwa in der Auslegung von Apg. 4,34 gegen die Meinung der Wiedertäufer, die aus der Haltung der Urgemeinde die »wahnsinnige Folgerung ziehen, daß Privatbesitz unter Christen unerlaubt sei«. Vielmehr ist das Eigentum ein »durch Gottes Güte und zu unserem Besten« gegebenes Leben, über das der Mensch einmal Rechenschaft ablegen muß. Deshalb warnt Calvin vor sinnlosem Luxus. Er ist freilich nicht der Meinung, »daß man das äußere Gut nur insoweit gebrauchen dürfe, als es die unbedingte Notwendigkeit erfordert«. Die Güter der Erde sind vielmehr auch zur Freude gegeben. So lehnt Calvin jede unnatürliche Engherzigkeit ab – aber zugleich mahnt er zu »Enthaltsamkeit, Nüchternheit, Mäßigkeit und Selbstbescheidung« im Gebrauch des Eigentums und warnt vor »stolzem Überfluß, Prahlerei und eitlem Wesen«. Vor allem aber gilt, daß jede Verwendung unserer Güter in der Liebe geschehen muß, daß man die Gaben Gottes »frei und gütig« mit anderen teilt, ja das »Eigene dem Nächsten unterordnet« und des Nächsten Nutzen fördert. Das Almosen als verdienstliche Leistung und den Bettel hat Calvin ebenso abgelehnt wie Luther. Statt dessen hat er in den reformierten Kirchen durch das Amt der Diakonen für die Durchführung einer geordneten Armenpflege gesorgt.

Die irdischen Güter sind uns dazu gegeben, daß wir daraus den Schöpfer erkennen und seine Freundlichkeit mit Danksagung beantworten. Der Gläubige darf im irdischen Besitz den Segen Gottes erkennen und soll sich durch ihn anleiten lassen, freudiger dem himmlischen Erbe zuzueilen. Er soll sich aber nicht durch ihn in das Erdenwesen verstricken lassen. Deshalb mahnt Calvin zu einer bescheidenen Lebensführung, »daß wir unseren Verhältnissen entsprechend von unserer Hände Arbeit leben«. Das Beispiel Abrahams zeigt, daß man nicht alles eigene Gut wegwerfen muß, um Gott nachfolgen zu können. Die Armut kann dem Menschen mehr Hindernis auf dem Weg zum Himmelreich bereiten als der Reichtum (Calvin zu 1. Mose 13,1). Und wenn den Frommen nicht immer irdisches Glück zuteil wird, so sollen sie daraus erkennen, daß der Segen Gottes deshalb ausgeblieben ist, »weil sie ihn durch eigene Schuld abgewehrt« haben (zu Psalm 128,2-3). So wird der irdische Segen zu einer Bestätigung der Erwählung Gottes, sein Fehlen zu einem Anlaß, seiner eigenen Fehler eingedenk zu werden. Aber während Calvin (Institutio III 24,4-5) ausdrücklich betont, daß wir die Gewißheit unserer Erwählung nicht in uns selbst, sondern nur in Christus finden können, ist im späteren Calvinismus manchmal die Meinung entstanden, der Christ könne aus dem äußeren Erfolg seiner Erwählung gewiß werden.

Aus: Hanns Meyer, Artikel »Eigentum im AT, NT, bei den Kirchenvätern, Luther und Calvin«, in: Evangelisches Soziallexikon, hrsg. v. Friedrich Karrenberg, Stuttgart 1954, S. 279f.