Wie erkennt man Reformierte?

Merkmale reformierter Gemeinden

Innenansicht St. Martha in Nürnberg: keine Kreuze, schlichte Inneneinrichtung © Georg Rieger

Evangelisch-Reformierte sind in vielen Regionen Deutschlands in der Minderheit. Häufig hören sie deshalb die Frage: Was unterscheidet euch von anderen?

Betritt man eine reformierte Kirche, fällt als erstes deren Schlichtheit auf: Kein Altar, kein Kreuz, keine Bilder, keine Kerzen. Viele Menschen empfinden diese Schlichtheit in unserer bilderreichen Zeit als wohltuend. Aber es gibt noch andere gute Gründe: Altäre sind Opfertische. Doch das alle Menschen versöhnende Opfer geschah am Kreuz von Golgatha und hat alle Altäre überflüssig gemacht. Anstelle eines Altars steht bei uns ein Abendmahlstisch, auf dem eine aufgeschlagene Bibel liegt. Um sie versammelt sich die Gemeinde, denn Gottes Wort ist ihre Mitte (weswegen die Pastorin, der Pastor immer hinter dem Tisch steht und damit einen Kreis um die Bibel andeutet).

Kein Kreuz, keine Bilder, keine Kerzen

Die Reformierten haben das nach biblischer Zählung zweite Gebot beibehalten: Du sollst dir kein Bildnis machen noch irgend ein Gleichnis ... Bete sie nicht an und diene ihnen nicht. Darum gibt es bei uns kein Kreuz, keine Bilder, keine Kerzen als Abbilder oder Symbole. Lediglich als Dekoration sind solche Gegenstände gelegentlich in reformierten Kirchen anzutreffen; sie haben keine liturgische Funktion.

Eine Kirche, ein Gottesdienstraum ist für Reformierte ein Ort wie jeder andere und kein Ort besonderer Heiligkeit – jeder Teil dieser Erde ist unserm Gott heilig, und deshalb kennen wir auch keine gesonderten „heiligen Orte“ (um die Kriege geführt werden könnten). In unseren Gottesdiensträumen reden und lachen wir miteinander wie überall sonst auch. Der Schlichtheit unserer Kirchen entspricht die Liturgie: Unsere Gottesdienste dienen dem Lob Gottes und der Vergewisserung im Glauben, und beides geschieht gemeinschaftlich mit anderen. Der ganze Gottesdienst wird von der Kanzel aus geleitet – in vielen reformierten Kanzeln gibt es deshalb Sitze, um sich während der Gesänge hinsetzen zu können. Die Gemeinde bleibt während des ganzen Gottesdienstes sitzen, steht lediglich zur Segensbitte am Ende des Gottesdienstes auf. Unsere Eingangsliturgie bereitet auf die Predigt vor, abschließendes Gebet und Segensbitte leiten in den Alltag über. Hier gilt es, den Glauben umzusetzen – auch durch Übernahme politischer Verantwortung.

Psalmen singen

Eine unserer Besonderheiten ist das Singen von Psalmen – der ganze alttestamentliche Psalter findet sich – in Reim und Vers gebracht – im ersten Teil unseres Gesangbuches und wird weltweit von allen Reformierten gesungen. Hier stehen wir in der Tradition des Gottesvolkes Israel und singen seine Lieder zur Ehre unseres gemeinsamen Gottes. Der zweite Teil unseres Gesangbuches entspricht dem Evangelischen Gesangbuch. Unseren Glauben bekennen wir mit Frage und Antwort Eins des Heidelberger Katechismus; das sogenannte Apostolische Glaubensbekenntnis wird meistens nur zur Taufe und Konfirmation gesprochen. Den Heidelberger Katechismus hat übrigens – typisch reformiert – ein Dreiergremium erarbeitet.

Dass wir „Unser Vater ...“ beten statt „Vater unser ...“ entspricht einfach dem normalen Sprachgebrauch – eine besondere „sakrale“ Sprache kennen wir nicht. Die Schlichtheit unserer Liturgie macht es kirchenfernen Menschen leicht, unsere Gottesdienste mitzufeiern. Zum Abschluss des Gottesdienstes bitten wir um Gottes Segen, der Segen wird nicht erteilt. Denn nach unserem Verständnis sind Pastorinnen und Pastoren ganz „normale“ Gemeindeglieder, die lediglich „zur Wahrnehmung ihres Dienstes vom Broterwerb freigestellt“ sind – traditionell durch die Gemeinde, inzwischen durch ihr Gehalt aus der Kirchensteuer. Deshalb sprechen wir auch nicht vom Pfarramt, sondern vom Pfarrdienst - und lieber von Pastoren (Hirten) als von Pfarrern (Pfarrherren).

Sehr reformiert ist es, wenn die Gemeinde sich zum Abendmahl um den Tisch setzt – wie beim Essen und Trinken eigentlich üblich. Vor den Einsetzungsworten erfolgt eine „Belehrung,“ und dann reichen wir einander Brot und Wein - empfangen es also nicht einzeln von der Pastorin, dem Pastoren (die nach unserem Verständnis ja keine besondere Würde oder Weihe haben). Unserem symbolischen Verständnis von Brot und Wein entsprechend gibt es bei uns beim Abendmahl weder eine geweihte Hostie noch eine Oblate, sondern einfach ein Stück Brot und einen Schluck Rotwein. Denn nach reformiertem Verständnis sind Brot und Wein „Zeichen“ für Fleisch und Blut Christi, der nicht in Brot und Wein, sondern „im Geiste“ und in der Gemeinschaft gegenwärtig ist.

Von unten nach oben statt Hierarchie

Die Verfassungen reformierter Kirchen sind „Rätesysteme,“ deren oberstes Gremium die Gemeindeversammlung ist. Diese wählt sich ihr Presbyterium (Ältestenrat) als Gemeindeleitung, wählt auch ihre Pastorin, ihren Pastoren. Das Presbyterium delegiert Mitglieder in die Kreissynode, die sich wieder einen Rat wählt und Mitglieder in die Landessynode delegiert. Es ist reformierter Grundsatz, dass die Kreissynode nur solche Dinge regelt, die die Gemeinden nicht regeln können; die Landessynode bearbeitet entsprechend den unerledigten Rest. Es wird also nicht von „oben“ nach „unten“ angeordnet, sondern von „unten“ nach „oben“ beauftragt. Dieses heute sogenannte „Subsidiaritätsdprinzip“ – u. a. 1571 auf der Emder Synode festgeschrieben – wurde später vom Staat übernommen und gilt noch heute z. B. in der Sozialgesetzgebung. Ihm entspricht auch der „bedingte Vorrang der Freien Wohlfahrtspflege vor der staatlichen.“

Aus der „Confessio Gallicana“ von 1559 stammt der Grundsatz, dass „kein Mensch über andere Menschen, keine Gemeinde über andere Gemeinden herrschen oder den Anschein von Herrschaft erwecken darf“ – denn jeder Versuch von Menschen, über andere Menschen herrschen zu wollen, verstößt gegen den Herrschaftsanspruch Gottes. Dieser Grundsatz verhindert, dass ein einzelner sich eine Machtposition aufbauen könnte, denn es sind immer nur gemeinsame Entscheidungen möglich; die Pastorin, der Pastor unterliegt der Entscheidungshoheit der Gemeinde und ihres Presbyteriums.

Das reformierte „Rätesystem“ und die nicht vorhandene Sonderstellung der Pastorin, des Pastors bringen es mit sich, dass den anderswo sogenannten „Laien“ die gleiche Bedeutung zukommt wie den Theologinnen und Theologen. Daraus ist eine lange und gute Tradition ehrenamtlicher Betätigungen erwachsen: Gemeindeglieder übernehmen eigenständig und verantwortlich Aufgaben der Gemeindeleitung und des Gemeindelebens. Verkündigung, Seelsorge, Lehre und Diakonie sind Aufgaben der Gemeinde und stehen gleichrangig nebeneinander. Denn entsprechend dem Aufbau unseres Heidelberger Katechismus gilt für uns alle: Wir leben in „Dankbarkeit“ für die „Erlösung“ aus dem „Elend“ – zur Ehre unseres Gottes.


Paul Kluge