Ostermarsch 2012

Rede von Dekanin Ursula Schoen in Frankfurt a.M.

"Die Ostermarschbewegung hat sich seit ihrer Entstehung um Unabhängigkeit und Überparteilichkeit bemüht. Sie beweist, dass politisch, kulturelle und religiöse Differenzen zurücktreten, wenn es um das gemeinsame Ziel einer gewaltfreien Welt geht. Sie ist in ihrer Organisation und ihrer Entscheidungskultur ein Beispiel dafür, wie verschiedene Interessensgruppen einer Gesellschaft für ein verbindendes Anliegen eintreten können. Sie ist zugleich selbst ein Ort, an dem eine „Kultur des Friedens“ eingeübt und gelebt wird."

Ursula Schoen, Dekanin im Dekanat Frankfurt Mitte-Ost und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen Frankfurt, eröffnete die Liste der RednerInnen bei der Abschlussveranstaltung des diesjährigen Ostermarsches auf dem Frankfurter Römerberg.
Ihre Rede im Wortlaut:

Ich begrüße Sie herzlich auf dem Römerberg in Frankfurt!
Die Wahrheit stirbt schon vor dem Krieg! Dieser provozierende Satz steht als Motto im Zentrum des Ostermarschs 2012. – Damit kommen alle die Faktoren in den Blick, die im Vorfeld von Kriegen eine wesentliche Rolle spielen: Mangelhafte und irreführende öffentliche Information, keine Offenlegung wirtschaftlicher und politischer Interessen, Verschleierung von Waffenhandel und kriegstechnisch relevanter Forschung, Steuerung von Massen durch den Aufbau von Feindbildern. - Wo Aufklärung fehlt, wo Lüge herrscht, da werden die Prozesse demokratischer Willensbildung außer Kraft gesetzt – da werden zivilgesellschaftliche Bemühungen um ein Miteinander in gegenseitiger Achtung und Solidarität unterlaufen!

Vor 10 Tagen bin ich mit einer kleinen Delegation aus Frankfurt nach Weißrussland nach Minsk gereist, um einen Stein zur Erinnerung der 1000 aus Frankfurt deportierten jüdischen Bürger und Bürgerinnen der Öffentlichkeit zu übergeben. Die gnadenlose Vernichtung dieser Menschen im Herbst 1941 ist nur ein winziger Bruchteil der Gräueltaten, die unter der deutschen Besatzung zwischen 1941 und 1943 in Weißrussland geschehen sind. Die systematische Ermordung von über 2 Millionen Zivilpersonen in dieser Zeit beruhte auf der Menschen verachtenden Einteilung in „rassisch minderwertige“ und „rassisch hochwertige“ Völker – auf unverhohlenem „Rassismus“!

Unter völlig anderen Vorzeichen sind wir in Deutschland heute wieder mit rassistischen Strömungen in unserer Gesellschaft konfrontiert. Strömungen, die nicht das „wahre“ Gesicht von Menschen im Blick hat, sondern auf schematischen und ausgrenzenden Urteilen über Gruppen von Menschen basieren. Wahrheit ist niemals handlich verpackt zu haben, sondern sie fordert – wie alle Konfliktbearbeitung - die Einübung von Toleranz und gegenseitigem Respekt. Sie braucht Mut und Geduld, um immer wieder neu anzusetzen. Der Feind der Wahrheit ist nicht allein die (bewusste) Lüge, sondern die Verweigerung von Begegnung, von Dialog, von gesellschaftlicher Teilhabe und fördernder Einbeziehung in gesellschaftliches Miteinander. Dies wird weltweit in religiösen, politischen und sozialen Konfliktfeldern deutlich.

Frieden, als die große Hoffung auf ein Leben ohne Gewalt, ist darum untrennbar mit der Suche nach Gerechtigkeit verbunden. So haben die Christen von Juni 2011 auf der Abschlusskonferenz der Dekade zur Überwindung von Gewalt in Jamaica formuliert:  „Gerechter Friede lädt uns ein, den vor uns liegenden Weg gemeinsam mit anderen zu gehen und uns zu verpflichten, eine Kultur des Friedens aufzubauen“
Wir Christinnen und Christen hier in Frankfurt sehen in der Förderung von interreligiöser Begegnung einen Beitrag zu einer solchen „Kultur des Friedens. Gespräche, in denen die Wahrheit nicht über den anderen vorweg genommen sondern gemeinsam gesucht wird. Wir wissen uns darin gestützt von Vertretern und Vertreterinnen vieler anderer Religionsgemeinschaften.

Die Ostermarschbewegung hat sich seit ihrer Entstehung um Unabhängigkeit und Überparteilichkeit bemüht. Sie beweist, dass politisch, kulturelle und religiöse Differenzen zurücktreten, wenn es um das gemeinsame Ziel einer gewaltfreien Welt geht. Sie ist in ihrer Organisation und ihrer Entscheidungskultur ein Beispiel dafür, wie verschiedene Interessensgruppen einer Gesellschaft für ein verbindendes Anliegen eintreten können. Sie ist zugleich selbst ein Ort, an dem eine „Kultur des Friedens“ eingeübt und gelebt wird.
Ich danke allen, die vielfach schon seit Jahrzehnten dieser Bewegung Gewicht und Stimme gegeben haben. Uns allen wünsche ich, dass wir ein Zeit erleben werden, in der - wie es in Psalm 85 - heißt: Frieden und Gerechtigkeit sich küssen!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit


Dr. Ursula Schoen, Dekanin im Ev. Dekanat Frankfurt Mitte-Ost, April 2012