Auweia, Herr Röser,

da ist Ihnen ja ein feiner journalistischer Ausrutscher passiert.

Eine wohlformulierte Replik auf den Leitartikel in "Christ in der Gegenwart" über den Kapitalismus und die Calvinisten - von Dr. Gudrun Kuhn, Nürnberg

Ich hätte vom Chefredakteur einer theologischen Fachzeitschrift nicht erwartet, dass er längst ad absurdum geführte Vorurteile über „Calvinisten“ fröhliche Urständ in einem Leitartikel feiern lässt. Die mischt man dann mit einer böswil­li­­gen, dif­fa­mie­ren­den Ironie und hat die wenig informierten Lacher auf seiner Seite: „Aus reiner Gnade, vom puren Nichtstun“ könnten sich die Milliardäre „als besonders Auserwählte Got­tes,  als seine Lieblingskinder betrachten“, schreiben Sie. Wer so etwas glaubt? Die Cal­­vi­nis­ten natürlich. Und was den Kapitalismus angeht, sind die jetzt offenbar unser Unglück! „Komplexitätsreduktionsmafia“ nennt der (reformierte!) Theo­­­lo­ge Klaas Huizing Leute eines solchen Reflexions- und Argumen­tations­ni­veaus, wie Sie es hier an den Tag legen.

Wenn Sie schon weder Johannes Calvin noch Max Weber gelesen haben, sollten Sie wenigstens jemand fragen, der etwas davon versteht.

Mehreres ist Ihnen entgangen.

Max Weber versucht ein Bezugssystem zwischen Bewusstsein und Sein (also zwi­schen Konfession und Organisation des Wirtschaftslebens) zu be­schreiben, von einem quasi automatischen Kausalitätszusammenhang spricht er als ernst zu neh­men­der historischer Soziologe an keiner Stelle. Seine Methode war aber ohnehin be­reits zur Entstehungszeit der Aufsätze zum „Geist des Kapitalismus“ um 1900 um­strit­ten und ent­spricht nicht den Prämissen von Religionssoziologen des 20. Jahr­hun­derts wie bei­spielsweise Luhmann oder Luckmann, ganz abgesehen von einer mar­xis­tisch orientierten Soziologie. Umstritten ist im übrigen auch We­bers  Be­griff der „in­­nerweltliche Askese“. Er fungiert allerdings – weit mehr als Hin­weise auf die re­for­mier­te Gna­denlehre – als Erklärungsmuster für den Erfolg der ka­pitalistischen Wirt­schafts­­form. Im Gegensatz zu Journalisten, die Max Weber ohne wirk­liche Kennt­nis­se anführen, unterscheidet dieser sehr genau zwischen der Theo­lo­gie Calvins und einer – diese missdeutenden – Weiterführung in Kreisen englischer Protestanten des 17. Jahrhunderts. Noch genauer unterscheidet er davon die sä­ku­la­re Erwerbs- und Ar­­beitsmoral, für die ein Name wie Benjamin Franklin steht.

Insgesamt passt Max Weber seine Überlegungen in seine Grundidee von der „Ent­zau­berung der Welt“ durch „Rationalisierung“ ein. Und da kommt dem Katholizismus eben im Unterschied zum Protestantismus eine von der geschichtlichen Entwicklung über­holte Rolle zu, denn „die Aus­schal­tung der Magie als Heilsmittel war in der ka­tho­­­lischen Frömmigkeit nicht zu den Konsequenzen durchgeführt, wie in der pu­ri­ta­ni­schen (und vor ihr nur in der jüdischen) Religiosität“. (Religion und Gesellschaft, FfM 2002, S.105) Allerdings darf zur Ehrenrettung des Katholizismus zu­ge­ge­ben wer­den, dass „die Askese des calvinistischen Protestantismus mit den rationalen Formen des ka­tholischen Ordenslebens“ (113) durchaus Gemeinsamkeiten hat. Na so was? Viel­leicht den Anteil an der Forcierung der Produktivkräfte … Schlecht weg kommen da lediglich die „so oft in Trunk und Rohheit versunkenen lutherischen“ Fürstenhöfe. Dieser „Unterschied“ im Vergleich mit den reformierten sei „den Zeitgenossen so auffällig“ gewesen. (116) Wie sich in diesen Zusammenhang die von Ihnen  apo­stro­phier­ten Großkapitalisten, die – ich muss es in seiner ganzen Ungeheuerlichkeit noch einmal wiederholen – „aus reiner Gnade, vom puren Nichtstun leben können“ ein­fü­gen, lässt sich beim besten Willen nicht mehr mit Max Weber begründen. Da für Ca­l­vi­nisten der „paulinische Satz: Wer nicht arbeitet, soll nicht essen“ be­din­gungs­los und für jedermann“ gelte, sei „Arbeitsunlust Symp­tom fehlenden Gnadenstands.“ (153). Ob in dieser Weberschen Engführung der Lehre „Von des Menschen Dankbarkeit“, nach der jemand, der sich auf Gottes Gnade verlässt, aus purer Dankbarkeit Werke zur Ehre Gottes tut, nun die ‚protestantische‘ Akkumulation von Kapital bewiesen werden kann oder nicht, können wir getrost auf sich beruhen lassen. Zumindest sollte der einstmals fromme und ge­wis­­­­senhafte  Unternehmer, der seine Gewinne re­in­ves­tiert hat – wie es immer noch jeder fromme und gewissenhafte Moslem tun muss, wenn er ins Paradies kommen will – nicht mit dem Wallstreet-Schmarotzer von heute in einen Topf geworfen wer­den. So viel Differenzierungswillen sollte ein frommer und gewissenhafter ka­tho­li­scher Journalist auch besitzen.

Ich empfehle Ihnen daher,  baldmöglichst – aus reiner gläubiger Dankbarkeit und nicht um des guten Werkes willen – den Abonnenten von CIG, zu denen auch ich bekennende Reformierte gehöre, einen Hinweis zu geben auf die hervorragenden Informationsseiten von www.reformiert-info.de. Vielleicht kann ich dann einen der dortigen Redakteure überreden, Sie von der Seite der „peinlichsten Fehlurteile über Calvin“ wieder zu streichen, auf der Ihr Artikel an prominenter Stelle prangt.

Was noch?

Fratri in Christo gratia et pax!

 


Dr. Gudrun Kuhn
Peinliche Fehlurteile: Der Chefredakteur der Wochenzeitschrift »Christ in der Gegenwart« behauptet, dass im »Calvinismus aus der Theologie der totalen Armut vor Gottes Gnade eine Theologie des Reichtums an irdischen Gütern« wurde.

 

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