Der Genfer Prozess gegen Servet

Die Anklagepunkte

Häufig ist zu lesen, Michael Servet sei in Genf wegen seiner antitrinitarischen Äußerungen hingerichtet worden. Das ist insofern nicht ganz zutreffend, weil Servet keineswegs 'Antitrinitarier' war, sondern vielmehr eine modalistisch-ökonomische Trinitätslehre vertrat. In der von Nicolas de la Fontaine vertretenen Anklage werden die Vorwürfe detailliert aufgeführt. Verurteilt wurde Servet in Genf, weil seine Ausfälle ge­gen die herrschende Trinitätslehre und die Kin­der­taufe als eine Gefährdung für den Bestand der christli­chen Gesellschaft ein­ge­schätzt wurden.

Michael Servet (1511-1553), spanischer Arzt, Jurist und Religionsphilosoph, wandte sich gegen die herkömmliche Auffassung der Trinität und geriet so in Gegensatz zu Katholiken wie Protestanten. Als er 1553 sein lange vorbereitetes Werk »Christianismi Restitutio« (bewusst gegen Calvins »lnstitutio« formuliert) anonym in Lyon veröffentlichte, wurde er von der römischen Inquisition zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Es gelang ihm jedoch zu fliehen, und er wandte sich nach Genf, wo er dann wegen Verbreitung schwerer Irrlehren angeklagt wurde. Calvin selbst verfasste für den Ankläger Nikolaus de la Fontaine, seinen Sekretär, in 38 Sätzen die Klageschrift. Nachdem Gutachten der reformierten Städte Basel, Bern, Schaffhausen und Zürich eingeholt worden waren, die einstimmig auf schuldig lauteten, verurteilte ihn der Genfer Rat zum Feuertod, der am 27. Oktober 1553 vollzogen wurde.

Nikolaus de la Fontaine, der als Kläger gegen Michael Servet aufgetreten ist und aus diesem Grund vor Gericht erschienen ist, bringt vor:

1. Erstens, dass jener [Servet], der vor vierundzwanzig Jahren begonnen habe, die Kirchen in Deutschland mit seinen Irrtümern und Irrlehren zu verwirren, verurteilt worden sei und sich durch die Flucht der ihm zugedachten Strafe entzogen habe.
2. Ebenso, dasss er etwa zu dieser Zeit ein abscheuliches Buch [De Trinitatis erroribus libri VII. Hagenau 1531] gedruckt habe, von dem viele Menschen angesteckt worden seien.
3. Ebenso, dass er seitdem nicht nachgelassen habe, mit allen Mitteln, über die er habe verfügen können, sein Gift auszustreuen, sowohl in seinen Erklärungen zur Bibel als auch in seinen Erläuterungen zu Ptolemäus.
4. Ebenso, dasss er später heimlich ein anderes Buch [Christianismi Restitutio. Vienne 1553] gedruckt habe, das zahllose Gotteslästerungen enthalte.
5. Ebenso, dass er als Gefangener der Stadt Vienne1, obwohl er sah, dass man ihn, wenn er widerrufe, in Gnaden aufnehmen wollte, Mittel fand, aus dem Gefängnis zu entfliehen.
6. Fordert genannter Nikolaus, dass der genannte Servet zu all diesen Punkten befragt werde.
7. Und da dieser Ausflüchte suchen könnte und behaupten, dass seine Blasphemien und Häresien nichts als gute Lehre seien, nennt der erwähnte Nikolaus einige Artikel, zu denen der genannte Häretiker befragt werden solle.
8. Nämlich: ob er nicht geschrieben, gelehrt und öffentlich verbreitet habe, wer glaube, dass in der einen göttlichen Wesenheit drei verschiedene Personen seien, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist, der schaffe vier Phantome, die man sich nicht vorstellen könne noch solle.
9. Ebenso, dass eine solche Unterscheidung in der Wesenheit Gottes bedeute, einen dreigeteilten Gott schaffen, und das sei ein Teufel mit drei Köpfen wie der Zerberus, den die alten Dichter den Höllenhund nannten, ein Monstrum; und dergleichen Lästerungen mehr.
10. Ebenso, ob er nicht Lästerungen und Beleidigungen aufrecht erhält sowohl gegen die alten Lehrer wie die Heiligen Ambrosius, Augustinus, Chrysostomos, Athanasius' und andere wie auch gegen all jene, die in unseren Tagen an der Erneuerung des Christentums gearbeitet haben, wobei er sogar Melanchthon' einen Mann ohne Glauben, Sohn des Teufels, Belial und Satan genannt habe. 11. Ebenso, ob er nicht sage, dass unser Herr Jesus Christus nicht Gottes Sohn sei, es sei denn, insofern er empfangen sei vom Heiligen Geist im Schoß der Jungfrau Maria.
12. Ebenso, dass die, welche glauben, dass Jesus Christus das von Ewigkeit her erzeugte Wort Gottes des Vaters sei, eine aberwitzige und abergläubische Vorstellung von der Erlösung hätten.
13. Ebenso, dass Jesus Christus Gott sei, insofern Gott bewirkt habe, dass er es sei.
14. Ebenso, dass das Fleisch Jesu Christi vom Himmel gekommen und von der Substanz Gottes sei.
15. Ebenso, dass Christus die Gottheit erst mitgeteilt wurde, als er Mensch wurde, und dass diese Gottheit auf geistliche Weise am Pfingsttag den Aposteln mitgeteilt worden sei. (...)
18. Ebenso, dass Jesus Christus der Sohn Gottes sei, weil er drei Elemente der Substanz des Vaters habe, nämlich Feuer, Luft und Wasser.
19. Ebenso, dass die Seele des Menschen sterblich sei und es nur einen elementaren Hauch gebe, der unsterblich sei, und der jene Substanz darstelle, die Jesus Christus nun im Himmel habe und die auch die elementare, göttliche und unzerstörbare Substanz des Heiligen Geistes sei.
31. Ebenso, dass die Seele des Menschen sterblich gemacht worden sei nach dem Sündenfall Adams, gleich wie der Leib. (...)
32. Ebenso, dass die kleinen Kinder ohne Sünde seien² und darum mit der Erlösung nichts zu schaffen hätten, bis dass sie erwachsen seien. (...)
34. Ebenso, dass die Kindertaufe eine Erfindung des Teufels sei, eine höllische Falschheit, um die ganze Christenheit zu verderben. (...)
36. Ebenso, dass er, obwohl er lehre, dass die Philosophen irrten, wenn sie sagten, die Welt sei der große Gott, behaupte, Jesus Christus sei, sofern er Mensch sei, immer in Gott gewesen, und von ihm stamme die Göttlichkeit der Welt. (...)
39. Ebenso, dass er in der Person des Magisters Calvin, Prediger des Wortes Gottes in dieser Kirche zu Genf, durch gedrucktes Wort die hier gepredigte Lehre diffamiert habe mit allen nur vorstellbaren Beleidigungen und Schmähungen.
40. Und da er sehr wohl gewusst habe, dass sein Buch nicht einmal unter den Papisten geduldet würde, da es alle Fundamente des Christentums zerstöre, habe er den Wilhelm Guerou vorgeschoben³, der damals Korrektor gewesen sei, wie der genannte Guerou erklärt habe.
Fordert der genannte Nikolaus, dass der genannte Servet gezwungen werde, zu den vorgebrachten Artikeln Rede zu stehen, ohne dass ein Disput darüber begonnen würde, ob die Lehre richtig sei oder nicht, denn das werde hernach zu besorgen sein.

Quelle: CR 36, S. 727-731

1. Servet wurde am 4. April 1553 zu Vienne (Dep. Isère) verhaftet, konnte aber schon am 7. April wieder entkommen. In Vienne wurde er am 17. Juni 1553 in Abwesenheit zum Ketzer-Tod verurteilt.
2. Servet betonte, dass Kinder vor dem 20. Lebensjahr ihre Sünden noch nicht erkennen könnten und deshalb auch nur den Tod des Leibes, nicht aber den endgültigen Tod der Seele erleiden würden.
3. Servet betraute in Vienne Guerou – den Korrektor des Buchdruckers B. Arnollet – damit, sein Buch zum Druck zu bringen.


Achim Detmers
 

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