Der Wochenspruch zum 6. Sonntag nach Trinitatis ''Jesaja 43,1'' - und wie er verstümmelt wurde

von Timotheus Arndt, Leipzig

Aus dem biblischen Vers Jesaja 43,1 wurde Jakob / Israel in den dreißiger Jahren bei der Formulierung zum Wochenspruch gestrichen - und später nicht mehr beachtet.

Timotheus Arndt: Der Wochenspruch aus Jesaja 43,1 und seine Implikationen. In: leqach: Mitteilungen und Beiträge. Hrsg. von der Forschungsstelle Judentum an der Theologischen Fakultät Leipzig. Leipzig : Thomas-Verlag, Heft 9 November 2009. S. 41–70.pdf >>>

Abstract

Und nun spricht der HERR,
der dich geschaffen hat, Jakob,
und dich gemacht hat, Israel:
Fürchte dich nicht, denn Ich habe dich erlöst;
Ich habe dich bei deinem Namen gerufen;
du bist Mein!

Jesaja 43,1

Zum Sechsten Sonntag nach Trinitatis gehört ein Wochenspruch mit der Herkunftsangabe Jesaja 43,1. Er ist tatsächlich aus Worten dieses Verses gebildet, aber unter Weglassung des Namens Jakob/Israel:

Fürchte dich nicht, Ich habe dich erlöset; Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist Mein.

Die heute gebräuchlichen Wochensprüche wurden um 1930 entwickelt, in einer Zeit, als der Name Israel in Deutschland nichts galt und wenig später Juden gezwungen wurden, den Namen Israel als zusätzlichen Vornamen anzunehmen. Das lag sicher nicht in der Intention Wilhelm Stählins und der Berneuchener. Aber für das in der Bildung dieses Wochenspruches zum Ausdruck gebrachte Problem waren sie offenbar ebenfalls blind. Und als die Zeit der offiziellen Judenfeindschaft vorüber war, wurde der Skandal immer noch nicht bemerkt. Der Wochenspruch wurde dann dergestalt erweitert, daß die Weglassung um so mutwilliger erscheint:

So spricht der Herr, der dich geschaffen hat:
„Fürchte dich nicht, Ich habe dich erlöset / Ich habe dich bei deinem Namen gerufen / du bist Mein.“

In dieser Form ist das Zitat eine Fälschung.

Nach der kurzen Zeit von 50 Jahren wird die Bestimmung des sechsten Sonntages nach Trinitatis zum Taufsonntag mit dem verkürzten Wochenspruch aus Worten des Verses Jesaja 43,1 schon mit den Geruch des Althergebrachten zitiert. (1) Tatsächlich sagt der Vers und sein Zusammenhang nichts von (christlicher) Taufe und nichts von der Erlösung anderer Menschen als Israel. Er sagt dafür Wesentliches über das Geschick und die Erlösung Israels.

Aber auch Prediger, die einen kurzen Gedanken darauf verwenden, unternehmen alsbald einen kühnen Sprung von diesem Text weg zu einer Zusage an Christenmenschen, die nicht in diesem Text begründet liegt. (2) Ist Jesaja 43,1 damit als Wochenspruch und Jesaja 43,1–7 als Lesung für den Sechsten Sonntag nach Trinitatis untauglich? Wolfgang Raupach-Rudnik schlägt 2003 (3) einen anderen Wochenspruch vor. Eine Arbeitsgruppe der Konferenz Landeskirchlicher Arbeitskreise Christen und Juden (KLAK) hält es für möglich, den Vers vollständig zitiert und als grundlegendes Beispiel für Erwählen, hier die Erwählung Israels, beizubehalten. Der Abschnitt weitet am „Taufsonntag“ den Blick vom Einzelnen auf die Gemeinschaft der Heiligen, die zuerst Israel ist. (4)

Diese beiden Stücke zeigen an: Israel ist die Erlösung zugesprochen; uns wird das Erlösungswerk Christi durch unsere Taufe zuteil. Wir sollten vom zweiten nicht reden, ohne das erste zuvor ernsthaft in seiner Geltung anerkannt zu haben.

Anmerkungen
(1) Von der ersten Veröffentlichung 1932 bis zu 1982 Wolfram Herrmann: 6. Sonntag nach Trinitatis : Jesaja 43,1–7. EPM 1982/83 Band II, S. 247–252., hier S. 247 (herkömmlich) sind es rund 50 Jahre; weiter bis 2006 Sibylle Rolf: 6. Sonntag nach Trinitatis – 15. 7. 2007 : Jesaja 43,1–7. GPM 2007 (zweites Vierteljahresheft) 61. Jg. (Heft 3), S. 317–324, hier S. 317 (traditionell) und 2007 Dörrfuß, Ernst Michael: 6. Sonntag nach Trinitatis: Jes 43,1–7. In: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext zur Perikopenreihe V. – 2006. S. 261–266, hier S. 261 (seit alters) sind es noch einmal 25 Jahre mehr.

(2) Sehr elegant tut dies Eberhard Jüngel: Jesaja 43,1–5. In: Jüngel, Eberhard : Unterbrechungen : Predigten IV. – München : Chr. Kaiser, 1989. S. 62–68, von S. 63 unten bis S. 64 oben.

(3) Wolfgang Raupach-Rudnik: 6. Sonntag nach Trinitatis: »Lobt Gott, den Herrn, ihr Heiden all …« In: Der Gottesdienst im christlich-jüdischen Dialog : Liturgische Anregungen, Spannungsfelder, Stolpersteine/im Auftrag des Zentralvereins für Begegnung von Christen und Juden und des BCJ Bayern hrsg. von Alexander Deeg unter Mitarbeit von Sabine Bayreuther, Hans-Jürgen Müller und Axel Töllner. – 1. Aufl. – Gütersloh : Gütersloher Verlagshaus, 2003. S. 161–163.

(4) Die ganze Bibel zu Wort kommen lassen : Ein neues Perikopenmodell. Begegnungen : Zeitschrift für Kirche und Judentum, Sonderheft, Dezember 2009. Erarbeitet im Auftrag der Konferenz Landeskirchlicher Arbietskreise Chrsiten und Juden (KLAK). Arbeitsgruppe: Timotheus Arndt, Alexander Deeg, Udo Halama +, Katja Kriener, Wolfgang Raupach-Rudnick, Ulrich Schwemer, Gabriele Zander und teilweise Hans-Jürgen Müller. S. 55.


Dr. Timotheus Arndt, Forschungsstelle Judentum an der Theologischen Fakultät Leipzig

Timotheus Arndt, Der Wochenspruch aus Jesaja 43,1 und seine Implikationen (2009).pdf >>>