'Es gibt nicht den einen Safe place'

Predigt zu 1. Mose 11, 1-9


© Pixabay

Von Katharina Loh

I. Ein Bett unterm Himmel

Als ich klein war,
da hatte ich eine oft wiederkehrende Phantasie.
Ich wollte draussen schlafen!
Dick eingekuschelt in ein warmes Bett,
über mir der schwarzblaue Nachthimmel und um die Nase die frische kalte Nachtluft
Und eins noch.
Und das war entscheidend.
Wände.
Ringsherum um mein Bett.
Diese Wände gehörten für mich unbedingt dazu.
Denn ohne sie hätte ich wohl kein Auge zugekriegt.
In meiner Phantasie mauerte ich sie hoch.
So hoch, dass niemand, nicht Mensch, noch Tier hindurch kam zu mir.
Ich wollte sicher sein,
unantastbar und dennoch frei.

Es war eine schöne, eine wohlige Phantasie.
Aber :Am Ende war da sehr viel Wand
und nur am Ende ein kleines Quadrat Himmel.
Es war das Dilemma,
als ich das verstand, dass,
je höher ich die Wände zog,
desto weniger mir vom Himmel blieb.

II. Kommt, wir bauen eine Stadt

Ganz viel Freiheit UND Sicherheit.
Das wollten Noahs Kinder auch.
Noahs Kinder.
Das war die Generation nach der Sintflut,
als das ganz große Abwaschen der Menschheit stattgefunden hat.

Noahs Kinder.
Sie waren die,
mit denen es jetzt besser werden sollte.
Mit Ihnen sollten die guten Geschichten Gottes mit seinen Menschen beginnen.

Noahs Kinder.
Das waren Sem, Ham und Jafet.
Und sie machten das.
Sie fingen ganz von vorne an.

Und Sem zeugte Arpadschad.
Und Arpadschad zeugte Schelach.
Und Schelach Eber.
Und Eber Peleg.
Und Peleg Regu.
und Regu Serug.
Und Serug Nahor.
und Nahor Terach.
Und Terach Abraham.
und den kennt man dann wieder.

Sie alle waren sozusagen Äpfel eines Stammes.
Und kaum hatten sie sich etwas berappelt und wieder vermehrt, blickten sie sich um in der weiten Ebene im heutigen Irak,
in der eigentlich gar nichts war
und taten dort, was nur Menschen können,
Aus nichts etwas machen und noch aus Dreck etwas bauen.

Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen,
dessen Spitze bis an den Himmel reiche,
dass wir uns einen Namen machen;
denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde.

III. Ein Haus gegen die Angst

Ein Haus gegen die Angst.
Ja, wer will das nicht.
Einen safe place.
Einen Ort, wo ich mich geschützt fühle,
und sicher.
Wo ich andere verstehe und andere mich.
Und sonst muss hier niemand hinein.

Mein Haus gegen die Angst.
Ja, wer würde da Nein sagen?

Ich wollte so ein Haus - zum schlafen draussen.
Und Noahs Kinder wollten es für ihr ganzes Volk.
Ein Haus, nein, eine ganze Stadt, einen Turm gegen die Angst,
und gegen die Gefahr, verloren zu gehen in der Welt.
Türe zu und fertig.


IV. Nope

Aber Gott hat nein gesagt.
Er hob damals die Wände hoch
und alles kam durcheinander.
Die Arbeiten, die Sprachen, die Abläufe und Klarheiten.
Es entstand Chaos und Unordnung.
Keiner mörtelte mehr und keiner ziegelte mehr.
Und nach und nach hörte alles auf.
Die Menschen verstanden sich nicht mehr.
Die Auftraggeber und Auftragnehmer. Es war ein Desaster.
Am Ende einer Weile machte jeder nur noch seins, packte sein Bündel und alles Volk strömte auseinander.

All die Söhne und ihre unerwähnten Frauen.
Allen voran Vater Abraham.
Hier fing alles an.
Unterschiedliche Kulturen werden sich entwickeln.
Und es werden sich später gleich mehrere Religionen auf Vater Abraham berufen.
Es wird vielfältig,
in den Regeln und Grenzen.
in den Gewürze, Klängen und Liedern.
Und das Einerlei der Ahnentafel von Sem, Ham und Jafet.
Hier hört es auf.

Und sie haben es sich so erklärt.
Dass Gott wohl Angst hatte,
sie würden ihm über den Kopf wachsen,
ihm den Rang ablaufen
und ihn irgendwann einfach nicht mehr brauchen.
Darum, aus lauter Sorge vor dem Einbruch seiner eigenen Macht, so ihre einzige Erklärung,
hat er sie zerstreut.
Besorgt nur um sich selbst.

Und ich stelle mir vor, wie Gott das weiss und das mit ansieht.
Wie er Ihnen Ihre Erklärungen lässt.
Und wie er dann zu sich sagt:
Wieder die Unverbesserlichen.
So behände, so begabt.
Die können auch noch aus nichts etwas schaffen und aus Dreck etwas bauen.
Und was bauen sie: Mauern.
Sie graben sich zum Himmel hinauf
und vermauern ihn sich zugleich.
Zieht, zieht aus, in das Land, dass ich euch zeigen will.


V. Die kleine Angst

Die kleine Angst ist geblieben.
Bis heute finden wir sie.
Die Angst, in der Welt verloren zu gehen.
Die Angst vor dem Bedeutungsverlust.
Dass keinem mehr wichtig ist, was mir wichtig ist.
Die Angst, abgewickelt zu werden.
Die Angst überfremdet zu werden.
Die Angst, die Einheit zu verlieren,
Die Angst, dass andere bestimmen und dass ich darin keinen Platz mehr habe.

Die Angst ist geblieben.
Und sie trägt Wände unter ihrem Arm,
und rammt sie, wenn keiner aufpasst, in den Boden.

In den politischen und gesellschaftlichen Debatten finden wir sie.
Zwischen Nationen und Völkern,
zwischen Geschlechtern und Generationen und Religionen.
Ich schaue in die Genderdebatte,
in Gleichbehandlungsgesetze,
in die Asylpolitik,
in den Nahen Osten.
ich schaue in diese Gemeinde und vor meine eigene Tür.

Überall kriegen wir es mit der Angst zu tun.
Und den Fragen, um die gerungen wird.
Wer darf hier was?
Wem gehört hier was?
Und wo ist mein safe Place?
Mein Haus, mein Turm?

Manchmal mauern wir mit.
Und manchmal tragen wir Wände ab,
helfen mit, dass Angst nachlässt.
Und wer noch denkt: ich halte mich raus, der irrt.
Denn unbeteiligt sind wir nie.

VI. Paar Ideen.

Gott hat zu diesem einen Bauprojekt nein gesagt.
Er sagt bis heute zu allen nein, die noch immer versuchen,
alles und jeden unter einen Turm zu bringen.

Lasst euch das in eure Pfingstherzen geschrieben sein.
Verständigung geht - auch und da, wo die Rechte aller gewahrt werden, nur in der Vielfalt.

Es gibt nicht den einen Safe place.
Es gibt nur den Aufbruch ins Leben.
mit meinem kleinen Leben in der Tasche
und den paar Goldklumpen im Herzen.
Ich mit meinen Brüchen und meinen Wünschen
Und meiner Gabe:
Aus nichts etwas machen und noch aus Dreck etwas bauen zu können.

An einem Menschen all das zu achten,
seinen sozialen Bereich zu wahren,
nachfragend zu bleiben,
und offen auch für das, was jemand ist und was ich nicht bin,
vielleicht nicht einmal kenne.
Wo ich das achte, wo ich das stehen lasse und da sein lasse.
Da schaffe ich jemandem neben mir einen safe place.

Dazu hat Gott uns seinen Geist gegeben.
Und wir werden nicht umhin kommen, gelegentlich unsere Hände und Füße zu nutzen.
Wir werden uns ranrobben müssen an manche Denkweisen.
Das weitet auch das eigene Herz.

Und weil das schwer ist.
Gott weiss, das ist schwer.
Darum ein roter Geist.
Der uns hilft und mahnt und stützt.

Zum Schluss noch ein paar Ideen
als Übung zum „Entmauern“

1. Geh in ein Restaurant, in dem du noch nie warst und bestell das Gericht, dessen Name dir am wenigsten sagt. Zur Not kannst du es dir einpacken lassen.

2. Schreib dein liebstes Glaubensbekenntnis ab und lege es in ein Gesangbuch. Schreibe darüber diesen Satz:
Auch ich konnte es nicht immer auswendig.
Das ist gastlich und echte Willkommenskultur.

3. Feiere in einer dir fremden Glaubensgemeinschaft einen Gottesdienst mit und schau mal, wie Fremdsein sich anfühlt.
Das macht sensibel auch im eigenen Haus.

4. Sprich laut vom Unrecht, was du selber erfahren hast. Vielleicht wirst du dich wundern, wer in deiner nächsten Umgebung erleichtert aufatmet, weil er merkt, er ist nicht der Einzige.

5. Frag nach, wenn jemand irgendetwas Diskriminierendes sagt.
Manche lernen gerne dazu und wussten gar nicht, was die da gedankenlos plappern.

Und zuletzt: Schweige, mindestens einmal, an einer Stelle,
wo du gerade losschwadronieren wolltest darüber,
wie etwas zu sein kann.

Ich gebe mir auch Mühe
und hoffe, die rote Taube hilft mir dabei.
Amen.


Katharina Loh
Jeden Sonntag: Gemeinsam unterwegs in besonderen Zeiten - von Kathrin Oxen

Kathrin Oxen, Moderatorin des Reformierten Bundes, gibt Ihnen auf reformiert-info.de jeden Sonntag Materialien für den Gottesdienst für Zuhause, dazu eine aktuelle Predigt.