Gottesdienst mit Erinnerung an Johannes Calvin in St. Augustin, Rheinland

Predigt von Martin Heimbucher am 8. Februar 2009

© Pixabay

Psalm 1 in der Auslegung Johannes Calvins: Der Umgang mit Gottes Geboten führt nicht - wie bei Luther - allein zur Erkenntnis der Sünde, sondern auch zur Freude

Liebe Gemeinde,

was eigentlich wollte Johannes Calvin? oder anders gefragt: was ist eigentlich calvinistisch?

Wenn wir am Ende dieses Jubiläumsjahres 2009 vielleicht ein wenig mehr wissen als zuvor, dann hätte sich der ganze Trubel, alle Vorbereitungen und alle Mühen, gelohnt ...

Circa 80 Millionen Christinnen und Christen aus 215 Kirchen in 107 Ländern nennen sich reformiert, berufen sich auf die Reformation, wie sie geprägt worden ist durch Zwingli in Zürich und eben durch Calvin in Genf - in Deutschland sind es ungefähr zwei Millionen der insgesamt 27 Millionen Protestanten.

Besuchen wir eine reformierte Kirche in Ostfriesland, am Niederrhein, in Holland oder eben in der Schweiz, dann fällt sogleich ihre Schlichtheit ins Auge - keine Bilder - meist auch kein Kreuz - früher fehlten auch Kerzen und Blumen auf dem Abendmahlstisch ... was dort bleibt - auf dem Tisch - allein die aufgeschlagene Schrift - Gottes Wort!

Manche der reformierten Kirchen haben auch eine andere Anordnung der Bänke oder der Stühle .. sie stehen um den Abendmahlstisch herum und die Gemeindeglieder sehen einander an ... Gemeinde nimmt sich wichtig in dieser Tradition!

Nehmen wir an einem Gottesdienst teil, dann fällt auch hier - dem eher lutherisch geprägten Christenmenschen - sofort auf, dass vieles fehlt: in der Regel alle Stücke gesungener Liturgie - dafür dominieren bei den Lieder Psalmen - aber auch moderne Lieder haben im Gottesdienst Platz.

Feiern wir das Abendmahl mit, dann wirkt auch dieses schlicht - mit Einsetzungsworten, Gebet und Vater-unser ... es kann sein, dass man vorn am Tisch in kleinen Runden wirklich Platz nehmen kann oder Brot und Wein durch die Reihen gegeben werden ...

Das Ganze ist zwar schlicht, aber durchaus feierlich: die Predigt steht im reformierten Gottesdienst eindeutig im Zentrum - oft dann auch mal doppelt so lang wie hier in rheinischen Gefilden - die Gebete sind wenig formelhaft, eher menschlich konkret und - wie die Auslegung der Bibel oft auch politisch ... schlicht, ernst und weltzugewandt - ja das passt auf die Reformierten!

Warum aber kommt es zu diesem Verzicht auf so vieles im Kirchraum und im Gottesdienst Calvin hat - anders als Luther - das 2. Gebot nicht aus den sogenannten zehn Geboten heraus gestrichen: "Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist." Bilder, Tafeln, Figuren und Statuen, all dies wurde wurde in der evangelischen Schweiz, in Zürich, Basel, Bern und Genf - sowie in Süddeutschland aus vielen Kirchen entfernt.

Luther, für den der sogenannte Dekalog nicht die gleiche Bedeutung hatte wie für Zwingli und eben Calvin, wollte die Bilder bewahren als "lebendige Predigt" für die Ungebildeten. Calvin aber verstand den Bilderkult als Götzendienst - wie den Tanz ums Goldene Kalb -   hier wird der unsichtbare Gott ins Bild gebracht - unmöglich - oder gar Christus, dessen göttlicher Ursprung und göttliche Würde für Calvin niemals darstellbar ist ...

Der Reformator Frankreichs hält in allen Überlegungen zu Kirchraum und Gottesdienst fest: das Entscheidende im Glauben geschieht immer unsichtbar zwischen der menschlichen Seele und dem heiligen Geist. Diese verborgene und unverfügbare Geschehen lässt sich nicht darstellen, nicht festhalten, und keinesfalls binden an äußere Dinge ... noch einmal: für den Genfer wäre das Aberglauben.

Auch wenn wir heute die Akzente anders setzen, wieder mehr nach Sinnlichkeit und Erfahrbarkeit des Glaubens fragen .... nehmen wir doch das Anliegen Calvins einmal einen Moment lang ganz ernst: Der Verzicht auf alles Zweitrangige und Überflüssige in der Gottesverehrung führt eben dazu, das ganz deutlich wird - eben allein auf dem Tische übrig bleibt - um was es im Letzten geht: um Gottes Wort, seine Anrede an uns, dass er uns ganz nahe kommt in Jesu Namen und in der Wirkmacht des göttlichen Geistes!

Dann wird alles andere unwichtig: Papst, Klerus und Kirchenhierarchie – fromme Gebräuche, Sitten und Werke - Klöster, Stifte und Wallfahrten ... Ja Calvin verstand seine Position im ganzen als radikaler gegenüber derjenigen Luthers und er verstand wohl auch nicht, warum dieser nach den großartigen Anfängen nicht konsequent und eindeutig die völlige Abkehr von der alten Kirche und ihren Fehlern vollzog.

Den Franzosen schmerzte die zerbrochenen Einheit der einen Kirche - und er litt wie kein anderer an der fehlenden Einigkeit im evangelischen Lager ... aber er hatte als Verfolgter der alten Kirche mühsam lernen müssen, dass es im Kampf um die Reformation kein Wischi-waschi, keine bequeme Mittelposition, gibt, sondern dass es am Ende immer um die Wahrheit um die Eindeutigkeit des Erkannten geht.

Vielleicht ist er da manchmal als Jurist und gestaltender, ordnungsliebender Theologe über das Ziel hinaus geschossen ... er versucht sich in Genf mit seinem Kollegen an der Kirchen-ordnung und fragt jetzt sehr wohl nach einer Erfahrbarkeit des Glaubens, aber nicht im Gottesdienst, sondern im Leben der Gemeinde: ob sie denn tun, was sie glauben / bzw. was ihnen gepredigt wird?

Die Genfer, die wussten schon genau, was sie nicht wollten: nämlich die Herrschaft des Papstes ... aber sie waren nun doch verwundert, dass da einer kam und ihnen jetzt gewissermaßen eine neue Herrschaft vor Augen stellte: die Herrschaft Jesu Christi, die eben auch die Entscheidung für ein Leben mit Ihm und die Abkehr von allen Gottlosigkeiten bedeutet. 

Calvin und Farel wollten die Kirche gestalten - sie profilierter machen – zum sichtbaren "Leuchtfeuer des Glaubens" - eindeutig in ihrem Reden und Handeln - eindeutig auch in ihrer Abgrenzung vom Bösen. Gemeint ist das, was bei Bonhoeffer Protest gegen "billige Gnade" heißt ... gemeint ist ein Aufschrei gegen einen Kirche, die offen ist für alle und sich dabei beliebig macht ...

Bis vor wenigen Tagen hätte ich noch gesagt, das Anliegen des Genfer Reformators sei schwer nur zu vermitteln ... aber wenn ich in diesen Tagen die verständliche Aufregung über die Milde des deutschen Papstes am rechten Rand - und noch dazu gegenüber von Deutschen begangenen Verbrechen - wahrnehme, dann scheint mir: auch die Öffentlichkeit hat ein feines Gespür dafür, dass es irgendwo klare Grenzen geben muss, wenn nicht die Kirche als ganze in den Sog des Bösen geraten soll und damit unglaubwürdig wird.

Genau das hat Johannes Calvin vermeiden wollen ... er hat versucht in Genf eine wahre Gemeinde Jesu Christi zu bauen - mit strenger Aufsicht über Sitte und Moral - ja auch mit Vorladungen von stadtbekannten Trunkenbolden und Ehebrechen vor eine Kommission des Rates ... damit entspricht er sicher nicht modern - toleranten Vorstellungen ... aber das Anliegen sollte verständlich geworden sein: Calvin wollte alles andere als eine düstere finstere verschreckte Gemeinde - nein, er wollte eine Gemeinde, die zur Ehre Gottes lebt und der man das auch anmerken kann!

Ich möchte zum Schluss einen kurzen Blick in Calvins Auslegung des ersten Psalms werden, des Psalms, mit dem wir heute begonnen haben. Diese Auslegung von 1557 macht etwas deutlich von Calvins Liebe zu Gottes Geboten und von dem, was er davon für dich und die Gemeinde erwartet.

"Glücklich der Mensch, der nicht auf den Rat der Gottlosen hört, der sich am Leben der Sünder kein Beispiel nimmt und sich nicht mit den Spöttern abgibt. Voller Freude tut er den Willen des Herrn und denkt über sein Gesetz Tag und Nacht nach."

Calvin unterstreicht den Segen, der den treuen Liebhabern Gottes versprochen ist, "all denen die sich mühen, in seinem Gesetz voranzukommen." Der Umgang mit Gottes Geboten führt nicht - wie bei Luther - allein zur Erkenntnis der Sünde, sondern auch zur Freude. Vor dem Spott der Welt schützt die Gesetzesschüler die Gewissheit, dass ohne des Segen Gottes alles vergeblich ist.

Der Psalm wird aber auch als Mahnung verstanden, sich davor zu hüten, "dass die Gottlosigkeit der Mehrheit die Schüler des Willen Gottes mit sich fortreiße." Calvin wägt gewissermaßen die Ansteckungsgefahr des bösen, weil gottlosen Lebens ab und unterstreicht dann noch einmal: "Der Psalmist besteht darauf dass sich niemand zu Gottesfurcht und Gottesverehrung ermuntern lässt, solange er sich nicht die Überzeugung zu Eigen gemacht hat, dass alle Gottlosen bemitleidenswert sind und alle in den Untergang mit hineingezogen werden, die sich von ihnen nicht fernhalten."

In der Reformationszeit gibt es - im Sinne des Psalms - keinen Mittelweg, keine falschen Verständigungen ... es gibt aus Calvins Perspektive - aus der Perspektive eines Mannes, der vor den Scheiterhaufen der Papstkirche floh und sich lebenslang auch als Pastor und Seelsorger der bedrängten und gequälten Kirche Frankreichs verstanden - nur ein Entweder-Oder ...

Das gilt es zunächst einmal geschichtlich zu begreifen für das 16. Jahrhundert, aber dann nehmen wir die Frage nach der Eindeutigkeit unseres Christseins doch auch für heute auf. Wo stehen wir heute - was wird von uns erwartet, aber was ist unsere ureigenste Sache - wie leben wir Offenheit, aber wo ziehen wir auch Grenzen? ... damit am Ende auch uns heute miteinander die Verheißung gilt: "Er ist wie ein Baum, am Wasser gepflanzt, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht, und was er macht, das gerät ihm wohl." Amen


Pfr. Dr. Martin Heimbucher, St. Augustin
 

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