Soli Deo gloria

Predigt zu Psalm 68 (6. Sonntag nach Trinitatis)


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Wer steht hinter der Einrichtung von Bürgersteigen? Um damit insbesondere die Kinder zu schützen und den Fußgängern einen eigenen Weg einzuräumen? – Johannes Calvin!

Liebe Gemeinde,

Wer erhielt eine Anzeige darüber, weil in seinem Haus zu viel gescherzt und zu laut gelacht wurde? – Johannes Calvin!
Wer bemaß den Zinssatz bei maximal 5 % / wer sprach sich dafür aus, Notleidenden keinerlei Zins aufzuerlegen? – Johannes Calvin!

Was nur alles hat man ihm im Laufe der Zeit nachgesagt: dass er ein verbohrter Finsterling sei / ein Asket höchsten Ausmaßes / ein trockener, seelenloser Theologe / ein Tyrann, ein strenger Despot, ein Diktator, ein Mörder gar! Wie viele Fehlurteile über ihn haben sich im Laufe der Kirchengeschichte eingenistet / wie viele Verdrehungen und Entstellungen und Entwürdigungen / wie viel an übler Nachrede / wie viel an Böswilligkeit und Hass sogar! – Wer sich jedoch ernsthaft mit dem Quellenstudium und mit der damaligen Zeitgeschichte auseinandersetzt, wird ein völlig anderes Bild von Johannes Calvin entdecken – auch wenn die elenden Zerrbilder bis heute leider immer noch in Schulbüchern und in anderen Medien verbreitet werden. Sicher gilt: Auch im Leben und Wirken von Johannes Calvin gab es nicht nur ›Licht‹, sondern auch ›Schatten‹: in welchem Menschenleben ist das denn anders?? / Sicher gilt: Auch Johannes Calvin hat Schuld auf sich geladen: wer von uns denn wollte sich freisprechen von jeglicher Schuld gegenüber seinen Mitmenschen, letztlich gegenüber Gott??

Den spanischen Arzt Michael Servet, der der Ketzerei bezichtigt wurde und der wegen Gotteslästerung an anderem Ort längst zum Tode verurteilt worden war / diesen Mann hat Johannes Calvin durch Gutachten belastet, die der Rat der Stadt Genf von ihm erbeten hatte: für diese Gutachten jedoch wurde ihm nicht nur durch Philipp Melanchthon ausdrücklich gedankt!

Was meisthin übersehen wird: Johannes Calvin trat stets für Mäßigung ein: das war im Fall der Hinrichtung von Michael Servet so, das galt ebenso in den Fällen der Ausübung der Kirchenzucht. Calvins Ziel bestand jeweils darin, mäßigend zu wirken, Milde walten zu lassen, seelsorgerlich zu handeln, zu trösten, zu ermahnen – sein Ziel bestand darin, die Menschen zurückzugewinnen für den Glauben und für die Gemeinde! Sicher, der Begriff ›Kirchenzucht‹ erscheint für heutige Ohren nicht mehr angemessen – aber das Anliegen, das dahinter steckt, ist alles andere als überholt! Denn es muss doch auch wohl heute Aufgabe von Christenmenschen sein, andere zum Glauben und zur Kirche zu ›ziehen‹ / es muss doch wohl auch heute Aufgabe sein, einander im christlichen Sinne zu ermahnen! Oder – sollten wir uns davon längst verabschiedet haben?? / Sollten wir in der Kirche alles und jedes einfach nur so gutheißen? / Zu allem Treiben auch noch ›Ja-und-Amen‹ sagen? / Haben wir sonst nichts mehr zu sagen??

Johannes Calvin – vor 500 Jahren geboren am 10. Juli 1509 in Noyon in der Picardie, etwa einhundert Kilometer nördlich von Paris – von Hause aus Jurist, allerdings mit breiter theologischer Ausbildung – verkehrte in den Kreisen der Humanisten und kam in Paris mit dem Gedankengut Luthers in Berührung. Aus seinem Heimatland Frankreich musste er 1536 fliehen – gelangte nach Basel, wo die erste Ausgabe seiner »Institutio Christianae Religionis« entstand: die bis heute grundlegende Dogmatik im reformierten Protestantismus. In Genf von Wilhelm Farel festgehalten und zum Bleiben genötigt, versucht sich Calvin im Aufbau der Kirche – und scheitert zunächst. Die Jahre 1538 bis 1541 verbringt er neben Martin Butzer im damals deutschen Straßburg und wirkt dort als Pfarrer in der französischen Flüchtlingsgemeinde – ehe er 1541 schließlich auf dringliches Bitten nach Genf zurückkehrt. Dort wirkt er als Prediger, Lehrer und Seelsorger bis zu seinem Tode – Johannes Calvin verstarb im Alter von 54 Jahren am 27. Mai 1564. Seinem Wunsch entsprechend findet sich kein Grabstein, der sein Grab zieren könnte.

Über 90 Millionen Christen weltweit berufen sich in unserer Zeit auf Johannes Calvin – erheblich weniger berufen sich auf Martin Luther. Der erhaltene Briefwechsel umfasst etwa 4.300 Briefe, davon stammen 1.369 von Calvin selbst. Viele Briefe sind reine Trostbriefe, gerade an Hugenotten, also an Menschen, die im katholischen Frankreich mit Verfolgung und Tod rechnen mussten und denen meisthin nur noch die Flucht blieb. In seinen letzten fünfzehn Lebensjahren hat er etwa 2.300 Predigten gehalten – Kommentare zu fast allen biblischen Büchern stammen von ihm. Aus der von Calvin gegründeten Genfer Akademie heraus trugen seine Theologiestudenten seine Überzeugungen in die weite Welt hinaus!
Wie aber nur lassen sich Calvins Gedanken auf einen gemeinsamen Nenner bringen? Die Antwort liegt in drei lateinischen Worten: »Soli Deo gloria!« / ›Allein Gott gebührt alle Ehre!‹ So sollen wir Menschen leben / danach sollen wir trachten: dass Gott allein durch all unser Denken, Tun und Lassen geehrt / gelobt / erfreut / ja, sogar verherrlicht wird!

Singen wir die dritte Strophe aus dem Lied (EG) 281: »Anbetung, Ehre, Preis und Ruhm!«

Diese Strophe hat Menschen aufgerichtet, ermutigt, im tiefen Sinne des Wortes getröstet. Diese Strophe trugen viele Hugenotten in ihrem Herzen – diese Strophe half ihnen, im Glauben an den Gott festzuhalten, »der Tag für Tag uns segnet« / »der Lasten auf uns legt, doch uns mit unsern Lasten trägt!« Welch eine unbändige Glaubenshoffnung spricht aus diesen Worten nach Psalm 68 – welche Kraft steckt darin / eine Kraft, die doch überspringen will hin zu dir und hin zu mir! Dieser Gott / »er wird … vom Tode selbst und durch den Tod / uns zu dem Leben führen!« Diesem Gott allein gebührt alle Anbetung, alle Ehre, aller Respekt! Wenn Menschen danach leben / wenn Menschen danach handeln: wie wohltuend anders sieht es dann in unserer Gesellschaft aus!

Zitat: »Wie, hat ER denn nicht die Farben so unterschieden, dass die eine anmutiger ist als die andere? / Wie, hat ER nicht Gold und Silber, Elfenbein und Marmorstein solche Schönheit geschenkt, dass sie dadurch vor anderen metallen und Steinen kostbar werden? / Wie, hat ER nicht überhaupt viele Dinge über den notwendigen Gebrauch hinaus kostbar für uns gemacht?« Johannes Calvin kann nur staunen: staunen über die vielfältigen Wunderwerke Gottes – Calvin kann nur staunen und genießen und sich von Herzen freuen. Diese Welt – für Calvin ist sie »ein Schauplatz der Herrlichkeit Gottes«! Das heißt doch wohl: Ich Mensch darf und soll mich freuen an den guten Gaben Gottes! Ich darf und soll sie mit Freuden genießen!

Allen Vorurteilen zum Trotz – Calvin ist alles andere als ein ›Kostverächter‹! Er schrieb: »Elfenbein und Gold und die Reichtümer sind gute Schöpfungen Gottes, und nirgends ist es verboten, zu lachen oder satt zu werden oder neue Besitzungen zu erwerben oder sich an Musikinstrumenten zu ergötzen oder Wein zu trinken!« – Sie haben recht gehört: Worte von Johannes Calvin! Bis heute hält sich allerdings scheinbar hartnäckig das Vorurteil, Calvin sei ein lebensfeindlicher Asket gewesen: doch worin will dieses Vorurteil begründet sein? – Calvin hätte sagen können: ›sich freuen, ja, aber bitte maßvoll‹ / ›bleibt in allem bescheiden‹ / ›lebt nicht in Saus und Braus, sondern in allem zur Ehre Gottes!‹ – »Alles, was ihr tut: mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen Jesu Christi und dankt Gott, dem Vater, durch ihn!« (Kol. 3,17).

– In den Worten Calvins heißt das: »die unmäßige Gier, die maßlose Vergeudung, die Eitelkeit und Anmaßung fahren lassen und mit reinem Gewissen Gottes Gaben rein anwenden.« Im Weiteren: »Weil unser Herr uns die Mittel gibt, Gutes zu tun, kann man keine Ausflüchte finden. Wir bleiben immer schuldig, wenn wir die Gelegenheit zur Wohltat nicht ergreifen.« Nicht unterschlagen will ich folgende ›Einschränkungen‹, die auf Calvin zurückgehen und die den Luxus bremsen sollen: Danach sollte ein Gastmahl drei Essensgänge mit jeweils vier Gerichten nicht überschreiten – und: die Damen sollen ihre Haare nicht vergolden!

Ich schließe mit Worten Calvins aus seiner Vorrede zum Psalmenkommentar aus dem Jahre 1543: »Wir wissen aus Erfahrung, dass das Singen große Kraft und Wirkung hat, die Herzen der Menschen zu bewegen und zu entflammen, so dass sie Gott mit heiligerem und glühenderem Eifer anrufen und loben. Das soll uns wie ein Organ sein, um Gott zu loben und unsere Herzen zu Ihm zu erheben, um uns zu trösten, in dem wir sein Vermögen, seine Güte, Weisheit und Gerechtigkeit bedenken!«

Amen.

Gehalten zum Gedenken an Johannes Calvin / Jean Cauvin (*10.07.1509), Christuskirche Achern, 19. Juli 2009


Pfarrer Dr. Hans-Gerd Krabbe