Von Natur aus schüchtern

Der Mensch Calvin

Gedenken am 450. Todestag Johannes Calvins (10.7.1509 - 27.5. 1564). Von Achim Detmers

"Von Natur aus schüchtern, habe ich die Zurückgezogenheit und Ruhe stets geschätzt und deshalb danach gestrebt, im Verborgenen zu leben. Das ist mir aber so wenig vergönnt gewesen, dass aus jedem Versteck gleichsam eine öffentliche Schule wurde. Während es meine einzige Absicht war, unbeachtet in Ruhe leben zu können, hat Gott mich so von Ort zu Ort getrieben, dass er mich nirgends Ruhe finden ließ… Ich verließ mein Vaterland und reiste nach Deutschland in der Absicht, in irgendeinem verborgenen Winkel versteckt meine mir seit Langem versagte Ruhe zu genießen…. Dann aber wurde ich in Genf nicht in erster Linie durch einen Rat oder eine Ermahnung, sondern vielmehr durch eine furchtbare Beschwörung Wilhelm Farels festgehalten, als ob Gott vom Himmel her seine starke Hand auf mich gelegt hätte. (...) Es wäre eine lange Geschichte, wenn ich erzählen wollte, mit wie viel Kämpfen mich (Gott) seit dieser Zeit geplagt und mit welchen Prüfungen er mich auf die Probe gestellt hat. (…) (Ich habe) fast keinen Augenblick Ruhe gehabt vor äußeren und inneren Kämpfen… Mir aber lag (…) daran, für den Aufbau der Kirche zu sorgen." (Calvins Psalmenkommentar, 1557)

Hinter dem großen Reformator Johannes Calvin verbirgt sich auch der ›Mensch Calvin‹. Diese privaten Seiten des Genfer Reformators werden selten erwähnt. Schon die Verhältnisse seines Elternhauses sind vielen unbekannt: Calvins Vater war ein sozialer Aufsteiger, der es bis zum Kirchenanwalt des Domkapitels in Noyon brachte. Seine Ehefrau starb sehr früh, sodass Calvin mit insgesamt fünf Geschwistern von seiner Stiefmutter großgezogen wurde. Der Bruder Antoine und die Halbschwester Marie lebten später mit Calvin in Genf.
Aber der Einblick ins Private zeigt noch mehr: Der große Reformator war eher schüchtern und wäre lieber Privatgelehrter geworden. Es dauerte, bis er sich entschloss zu heiraten, und es bedurfte dazu mehrerer vergeblicher Anläufe. Schließlich ›verkuppelte‹ Martin Bucer den 31jährigen mit der jungen Witwe Idelette de Bure. Es wurde eine glückliche Ehe. Gemeinsame Kinder hatten Calvin und Idelette aber nur ein einziges – den Sohn Jacques; er war eine Frühgeburt und lebte nur wenige Tage. Idelette war seit dem Tod des kleinen Jacques gesundheitlich in Mitleidenschaft gezogen und erholte sich davon nie mehr richtig. 1549 starb sie in Genf. Calvin hat den Tod seiner Frau sehr betrauert. Er konnte seine Arbeit nur mit allergrößter Mühe wieder aufnehmen. Auch sonst erfahren wir aus den zahlreichen Briefen Calvins, dass der Reformator nahe am Wasser gebaut war. Häufig konnte er nicht an sich halten, so z. B., als er von den schlimmen Verfolgungen an den Waldensern erfuhr. Oder als er sich entscheiden musste, ob er in Straßburg bleiben oder nach Genf zurückkehren wollte.
Calvin hat den frühen Verlust seiner Mutter, die Vertreibung aus Frankreich und den Tod Idelettes durch übermäßiges Arbeiten kompensiert. Er entwickelte sich zum Workaholic. Über 100 Schriften entstammten seiner Feder. Pro Woche predigte er dreimal, regelmäßig hat er spätabends noch gearbeitet und manchmal nur vier Stunden geschlafen. 1553 beklagte er sich, dass er schon seit einem Monat nicht mehr zum Stadttor hinausgekommen sei, um frische Luft zu schnappen. Trotzdem wissen wir, dass Calvin gelegentlich auch Urlaub machte. So fuhr er z.B. 1550 mit seinem Freund Viret über den Genfer See ins Waadtland und genoss dort die Landluft. Außerdem hat Calvin auf ärztlichen Rat hin häufiger Spaziergänge unternommen und ist regelmäßig ausgeritten – ein damals bewährtes Mittel zum Abgang von Nierensteinen. Calvin hätte solche Auszeiten häufiger gebraucht, denn seine Gesundheit war durch die intensive Arbeit schwer angeschlagen. Neben den Nierensteinen litt er vor allem unter Migräne; manchmal fiel er tagelang aus, lag auf seinem Bett in einem verdunkelten Raum und konnte nur notdürftig Briefe diktieren. Aber die zunehmenden Verfolgungen der Protestanten in Frankreich machten es ihm schwer, untätig zu bleiben.
Gegen Ende seines Lebens konnte Calvin das Bett nicht mehr ohne fremde Hilfe verlassen, die Gicht in den Beinen quälte ihn sehr. Zudem litt er unter Tuberkulose und Lungenbluten. Trotzdem versuchte er weiter, einige Arbeiten zu verrichten. Am 27. Mai 1564 starb er jedoch im Alter von gerade einmal 54 Jahren.
In seiner Abschiedsrede an die Genfer Pfarrer sagte er:

"Als ich zum ersten Mal in diese Kirche kam, war so gut wie nichts vorhanden. Man predigte, und das war schon alles. Man suchte wohl nach Götzenbildern und verbrannte sie. Aber es gab keine Reformation. Alles befand sich in einem wüsten Durcheinander… Ich habe hier unter erstaunlichen Kämpfen mein Leben verbracht. (…) Denn obwohl ich eigentlich nichts bin, so weiß ich doch, dass ich dreitausend Tumulte verhindern habe, die andernfalls in Genf stattgefunden hätten. (...) Ich habe viele Schwächen gehabt, die Ihr ertragen musstet… Ich kann allerdings wohl von mir sagen, dass mir meine Fehler immer missfallen haben…  Darum bitte ich Euch, dass Ihr mir das Schlechte verzeiht. Wenn es aber auch etwas Gutes gegeben hat, so richtet Euch danach und befolgt es!“

Jean Pinaut, der die Abschiedsrede Calvin protokolliert hat, notiert zum Schluss:

„Johannes Calvin hat diese Worte gesprochen. (…) Er nahm mit Würde Abschied von allen Brüdern, die ihn einer nach dem andern mit der Hand berührten und sämtlich in Tränen ausbrachen. – Geschrieben am 1. Mai 1564, des Monats und Jahres, in dem er am 27. Tag starb."

Dr. Achim Detmers zum 27. Mai 2014

 

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