Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich

Predigt zur Jahreslosung 2009


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An einem Tag im April 2008 ist für die Kleinstadt Herrnhut in der Oberlausitz in Sachsen ein besonderer Augenblick. In einer Versammlung der Brüder-Unität, einer evangelischen Freikirche, wird aus einem Vorrat von 1800 Versen aus dem Alten Testament jedem Tag des Jahres 2009 ein Vers zugelost.

Unter dem Namen „Losungen“ sind diese Verse mittlerweile weltweit bekannt. Vielleicht gehören Sie ja auch zu den Leserinnen und Lesern eines Losungsbüchleins, in der die ausgelosten alttestamentlichen Verse mit Versen aus dem Neuen Testament und anderen Glaubensworten zusammengestellt sind.

Der Brauch, ein besonderes Wort für jeden Tag auszulosen, geht zurück bis auf den Begründer der Herrnhuter Brüdergemeine. Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf hat damit im Jahr 1728 begonnen. Die von ihm ins Leben gerufene Gemeinde hat diesen Brauch bis zum heutigen Tag beibehalten und mittlerweile das 279. Losungsbüchlein herausgegeben.

Die Jahreslosung

Auch für jedes Jahr wird ein biblischer Vers ausgelost, der wie ein Motto über dem Jahr stehen soll. Heuer stammt die sogenannte Jahreslosung aus dem Lukasevangelium, Lukas 18, Vers 27, ein Vers, über den ich in der Predigt nachdenken will. Es ist ein Jesuswort, das am Ende einer Gleichniserzählung steht. Jesus sagt dort: „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.“

Der Gedanke der Losungen stößt allerdings nicht bei allen Theologen auf Zustimmung. Manch einer kritisiert, dass auf diese Weise eine biblische Aussage aus ihrem Zusammenhang gerissen wird. Sie wird vielleicht missverständlich, wenn nicht sogar unverständlich. Ein Satz, den Jesus beispielsweise in einer Geschichte in einer konkreten Situation spricht, wird durch das Herauslösen aus dieser Geschichte zu einer allgemeinen Wahrheit, ohne unbedingt so gemeint zu sein.

Wie ist das bei der diesjährigen Jahreslosung? Auch hier ist der Blick in den Zusammenhang interessant. Das Gleichnis, an dessen Ende die Jahreslosung steht, habe ich noch im Kopf unter der plastischen Überschrift: „Der reiche Jüngling“. In modernen Bibelübersetzungen wird es unter der Überschrift „Reichtum und Nachfolge“ oder „Die Gefahr des Reichtums“ geführt.

Die Jahreslosung im Zusammenhang

Worum geht es in dem Gleichnis? Ein Angehöriger der oberen Gesellschaftsschicht kommt zu Jesus. Er befragt ihn nach dem Weg zum ewigen Leben. Jesus verweist ihn in seiner Antwort auf die zehn Gebote. Die sind dem Mann wohlbekannt und er versichert glaubwürdig, die Gebote immer zu befolgen. „Dann fehlt dir eigentlich nur eines,“ erwidert Jesus „verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!“. Als das der Fragende hört, wird er traurig, denn – so heißt es kurz und knapp im Lukasevangelium – er war sehr reich.

Ich lese nun die sich hieran anschließenden Verse aus Lukas 18, 24-27:

„Als aber Jesus sah, dass er traurig geworden war, sprach er: Wie schwer kommen die Reichen in das Reich Gottes! Denn es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher in das Reich Gottes komme. Da sprachen, die das hörten: Wer kann dann selig werden? Er aber sprach: Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.“

Beim Nachlesen des Zusammenhang des Losungswortes ertappe ich mich bei dem Gedanken: Vielleicht ist es ganz gut, auf den Zusammenhang zu verzichten. Denn das Nachlesen erschreckt mich eher und bringt mich ins Grübeln.

Reichtum und Nachfolge – das passt für Jesus nicht zusammen. Und mich schmerzt es, wenn mir das bewusst wird. Ich fasse das als Kritik an meinem Lebensstil auf und die höre ich nicht gerne. Denn wenn ich sie ernst nehme, dann müsste ich mich und mein Verhalten ändern. Als Christin halte ich mir zugute, dass ich die Worte der Bibel ernst nehme, aber ändern – tue ich mich nicht.

Natürlich kann man das radikale Wort Jesu: „Verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen!“ mit guten Begründungen abschwächen. Kann man jemanden, der über ein gesichertes Einkommen verfügt, überhaupt als reich bezeichnen? Vielleicht meint Jesus nur die ganz Reichen, die oberen Zehntausend. De sollen ruhig mal von ihren Millionen abgeben. Tut ihnen ja nicht weh. Oder noch raffinierter: Jesus geht es nicht um das Geld, sondern um das Verhältnis zum Geld. Solange man sein Herz nicht an sein Geld hängt und die Einstellung zum eigenen Vermögen so ist, dass man jederzeit bereitwillig abgeben könnte (also nicht abgeben, sondern abgeben können!), dann ist alles in Ordnung und man kann reinen Gewissens seine Bankkonten behalten.

Allein mir hilft das heute alles nichts. Mir schmeckt das alles nach Ausreden und ich will vor dem eigenen Unvermögen heute die Augen einmal nicht verschließen. Es ist zumindest auszuhalten: Die ganze Härte der radikalen Forderung Jesu gegen die Praxis der Nachfolge einer Christin im wohlsituierten Deutschland des 21. Jahrhunderts mit dem Ergebnis, sich einzugestehen, dem Anspruch Jesu nicht zu genügen.

Die Faszination eines Losungswortes

Zumindest zu dieser Einsicht bringt mich der Zusammenhang des Losungswortes. Diese kleine Abschweifung bietet gleich den Anhaltspunkt dafür, sich auf die Seite derer zu stellen, die gerade die einzelnen Sätze für sich faszinierend finden und die sich der Anziehungskraft eines einzelnen Wortes nicht entziehen können. Ich gestehe es, ich bin ein Fan der Losungen. Auch wenn ich sie nicht täglich lese, wie es gedacht ist, sind die einzelnen Bibelverse mir immer wieder einmal hilfreiche Begleiter.

Wenn man das Wort Jesu aus dem Zusammenhang herausnimmt: „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.“, dann ist eigentlich gleich viel verständlicher, dass Jesus mit ihnen einen Trost ausspricht. Jesus registriert nämlich das Entsetzen der Zuhörer über seine radikale Forderung. In seiner abschließenden Antwort lässt er ein Hintertürchen offen. Menschen bekommen bestimmt kein Kamel durch ein Nadelöhr, aber bei Gott wird das Kamel vielleicht zum Mäuschen und das feste Nadelöhr zur dehnbaren Gummiöse ... Wer weiß ...

So ist die Zeit gekommen, den Satz Jesu nun einmal für sich genommen zu betrachten. Was ist Menschen möglich, was ist Menschen unmöglich? Der Tag, an dem ich diese Predigt entwerfe, ist Dienstag, der 30. Dezember, und ich erlaube mir zur Beantwortung dieser Fragen die Nürnberger Nachrichten zu diesem Punkt zu befragen.

Großartige menschliche Leistungen

Gleich auf der ersten Seite findet sich einiges, was Menschen möglich ist. Ich lese zum Beispiel von erstaunlichen Leistungen im Sport. Im Weltcup-Slalom bestaunt man eine Sportlerin wie Maria Riesch, die scheinbar mühelos auf ihren Skiern einen schwierigen Hang hinunterfährt oder einen Sportler wie den Skispringer Martin Schmitt, der sich nach einem Leistungseinbruch Schritt für Schritt an die Spitze zurückkämpft.

Menschen ist es auch möglich, in der bildenden und gestaltenden Kunst, in der Literatur und in der Musik erstaunliche Leistungen zu vollbringen, mit denen sie andere Menschen erfreuen oder in Erstaunen versetzen können. Einer von diesen begabten Menschen ist wohl der Nürnberger Maler Toni Burghart gewesen, der am letzten Sonntag mit 80 Jahren gestorben ist.

Und wir nicht zuletzt kennen Sie aus eigener Anschauung, was Menschen positiv möglich ist. Menschen können selbstlos sein, hilfsbereit, mitfühlend, großzügig, liebevoll, aufmerksam, nett und was einem noch an lobenden Eigenschaftsworten einfällt. So hat auch in diesem Jahr das Ergebnis der Spendenaktion der Nürnberger Nachrichten und anderer beteiligter Zeitungen für bedürftige Menschen „Freude für alle“ einen Rekord erzielt.

Menschliches Versagen

So vieles ist dem Menschen möglich, aber so vieles ist dem Menschen trotzdem und zur gleichen Zeit auch unmöglich. Und auch dafür muss ich nicht weiter als bis zur ersten Seite der Zeitung blättern.

Menschen ist es unmöglich, - so scheint es zumindest - einen Frieden zwischen zwei Völkern zu schließen, die sich ein Gebiet teilen beziehungsweise in unmittelbarer Nachbarschaft leben. Jeden Tag bedrücken die Nachrichten vom Krieg in Israel und Palästina. Eigentlich reicht dieses eine Beispiel, um zu zeigen, an welchen Herausforderungen Menschen immer wieder aufs Neue scheitern, doch damit ist es nicht genug.

Menschen ist es auch unmöglich – so scheint es -, den Klimawandel mit allen mit ihm einhergehenden Folgen der Erwärmung der Erde, der Abschmelzung des Polareises, des Ansteigens der Meeresspiegel – um nur ein paar Schlagworte zu nennen - in den Griff zu bekommen. Auf diese beiden Beispiele will ich mich beschränken, Ihnen fällt sicher selbst noch einiges ein.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass Menschen sich leichter damit tun, Grenzen zu überwinden, die ihnen die Natur setzt, die Schwerkraft, der eigene Körper, dass sie sich sogar leichter damit tun, echte steinerne Grenzmauern zu überwinden als die Grenzen der Macht, des Vorurteils, des Hasses, der Trägheit, der Gewohnheit, all diese Mauern, die Menschen unsichtbar um sich herum oder zwischen sich und anderen aufrichten. Es drängt sich der Eindruck auf, dass Menschen eher bereit sind, an den Fortschritt und an die Macht der Technik zu glauben als an einen christlichen Gott mit seiner Macht der Liebe.

Bei Gott möglich: als eschatologische Hoffnung

Aber wie kann dies alles, was ich nun aufgezählt habe, was den Menschen unmöglich ist, bei Gott nun möglich sein? Wohlgemerkt, es heißt nicht: „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist Gott möglich.“ Das wäre der Gedanke, dass Gott alles kann, da er schließlich der allmächtige Gott ist.

Im biblischen Vers steht ein kleines, aber entscheidendes Wörtchen mehr: „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.“ Das Wörtchen „bei“, griechisch παρά, bezeichnet die räumliche Nähe. Das bedeutet also: In räumlicher Nähe zu Gott sind Dinge möglich, die Menschen unmöglich sind.

Nehmen wir als Beispiel, weil es sich in diesen Tagen anbietet, den Nahostkonflikt. Ich sage gleich, dass meine Gedanken nur Anstöße sein können. Wie könnte hier bei Gott, in räumlicher Nähe zu Gott eine Lösung möglich sein?

Wenn man sich überlegt, wann Menschen in räumliche Nähe zu Gott gelangen, dann wäre das nach christlichem Glauben wohl nach dem Tod. Denn das ist die auf Christus gegründete Hoffnung, dass die Verstorbenen nach dem Ende ihres Lebens auf der Erde bei Gott und das heißt wohl in seiner Nähe gut aufgehoben sind. Ein so verstandenes „bei Gott“ hieße dann: Wenn jetzt auf der Erde ein Frieden zwischen Israelis und Palästinensern unmöglich ist, dann ist das kein ewiger Zustand. Denn später einmal, wenn alles Seiende in Gott vereint ist, dann wird tatsächlich überall Friede sein, auch zwischen verfeindeten Nationen. Das ist die eschatologische Hoffnung: Jetzt ist es nicht möglich, später – bei Gott – wird es möglich sein.

So kann man das „bei Gott“ verstehen. Wenn ich jetzt eine zweite Möglichkeit aufzeige, dann nicht, weil ich die erste Möglichkeit für unsinnig oder falsch halte. Im Gegenteil, ich finde das „bei Gott“ als die Hoffnung darauf, dass sich am Ende der irdischen Zeiten einmal bei Gott alles und zwar wirklich alles zum Guten wenden wird, wichtig und für den Glaubenshorizont unentbehrlich. Gerade eine solche Hoffnung auf ein Ende allen Unfriedens bei Gott kann Glaubenden die Kraft geben, sich schon hier und heute für ein friedliches Zusammenleben der Menschen einzusetzen.

Bei Gott möglich: mit Gottes Beistand

Die zweite Möglichkeit das „bei Gott“ zu verstehen wäre, dass Dinge, die den Menschen unmöglich sind, mit Gottes Beistand möglich werden. Das heißt, Menschen müssen etwas tun, was vielen sehr schwer fällt: Sie müssen Hilfe in Anspruch nehmen und zwar von Gott!

Auf den Nahostkonflikt bezogen hieße das, das ein so schwieriger Konflikt ohne den Beistand Gottes nicht zu lösen ist. Ich weiß nicht, ob und wie die betroffenen Menschen oder die verantwortlichen Politiker bei ihrem Tun den Beistand Gottes suchen und ich sehe es auch nicht als meine Aufgabe an, darüber zu urteilen. Das entscheidende ist doch, dass auch ich selbst nur etwas für den Frieden im Nahen Osten tun kann, wenn ich Gottes Beistand suche, wenn ich mich im Gebet immer wieder an ihn wende und um seine Hilfe bitte. So kann man die Jahreslosung also verstehen: „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.“

Zum Schluss nun will ich im Sinn der Umkehrung die Worte Jesu einmal umdrehen. Es ist nachdenkenswert, ob sie nicht auch danneinen Sinn ergeben. Umgedreht hieße es dann: „Was bei Menschen möglich ist, das ist bei Gott unmöglich.“

Ich weiß nicht, zu welchem Ergebnis Sie beim Nachdenken gelangen und ich bin mit meinem Nachdenken auch selbst noch nicht zu Ende. Aber gerade wenn ich mir schlimme Seiten des Menschen vorstelle, dann denke ich mir: Gewisse dinge, die Menschen möglich sind, die Menschen tun, die wären bei Gott, also mit dem Beistand oder besser mit dem Widerstand Gottes, tatsächlich unmöglich.

Amen.


Stefania Scherffig, Pfarrerin, Nürnberg

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