Wie Gerechtigkeit und Frieden einander bedingen

Bausteine für die Gemeindearbeit: Biblische Konnotationen von 'just peace'


Biblische Texte bieten vielfältige Möglichkeiten zu so einem komplexen Thema wie 'just peace' zu diskutieren © Pixabay

Die Thematik des „just peace“ wird in biblischen Texten nicht unmittelbar thematisiert. Wohl aber gibt es Texte, die zu einer Diskussion der Frage anregen, wie Gerechtigkeit und Friede einander bedingen.

1. Ps 85: „Gerechtigkeit und Friede küssen einander“

Als zentraler biblischer Text zum Thema Frieden und Gerechtigkeit wird immer wieder Ps 85 angesehen, insbesondere Vers 11: „Gerechtigkeit und Friede küssen einander“.

In einem Vortrag vor der Kirchensynode der EKKW in Hofgeismar sprach Prof. Dr. Rainer Kessler am 22.11.2016 u.a. über die auf J.Ebach fußende Auslegung zu V.11:

„Uns ist die Übersetzung geläufig, dass Gerechtigkeit und Friede „sich küssen“. Das steht aber so nicht da. Das hebräischenāšāqû kann man zwar von der Wurzel nāšaq = „küssen“ ableiten. Aber die verwendete Form ist nicht reflexiv. Sie küssen, wen auch immer, vielleicht sich oder sonst jemand: Es steht nicht da. Ein Objekt steht nicht dabei. Es kann schon sein, dass sie „sich (einander) küssen“. Aber eindeutig gesagt wird das nicht. Die Verwirrung steigt, wenn man weiß, dass es eine weitere homonyme Wurzel nāšaq gibt. Diese heißt „sich rüsten, sich wappnen“ oder gar „kämpfen“. Sollte hier gesagt sein, dass sich Gerechtigkeit und Friede rüsten, dass sie gar miteinander kämpfen? Wir könnten also auch übersetzen: „Friede und Gerechtigkeit rüsten sich“ oder „kämpfen miteinander“. Wendet man sich dem ersten Halbvers zu, wird die Irritation nicht geringer. Hier ist der Wortlaut eindeutig: „Güte und Treue begegnen einander“. Im Hebräischen steht die Verbwurzel pāgaš. Diese aber ist in ihrer Semantik offen. Sie kann – wie im Deutschen – sowohl eine feindselige als auch eine freundschaftliche Begegnung bezeichnen. So trifft nach Ex 4,24 Jhwh auf Mose – Wurzel pāgaš –, um ihn zu töten. Drei Verse später trifft Mose auf Aaron – erneut die Wurzel pāgaš –, und die beiden küssen sich. Es ist also vom Wortlaut her keineswegs ausgemacht, ob sich Güte und Treue in feindseliger oder in freundschaftlicher Absicht begegnen“.  (Kessler, aaO. S. 5)

Das damit eröffnete Auslegungsspektrum dieses Verses eröffnet eine Diskussionsgrundlage zu der Frage, wie sich Frieden und Gerechtigkeit zueinander verhalten: Frieden muss nicht immer auf Gerechtigkeit basieren, so sehr die beiden langfristig voneinander abhängen. Der erste Schritt zum Frieden kann auch der Verzicht auf Macht oder Recht sein. Auch das Bild des Kusses ist in sich ambivalent. Ein Kuss kann zärtlich sein, aber auch voll verlangender Lust, die sich gerade an der Gegensätzlichkeit der einander begehrenden Partner entzündet. Und: Ein Kuss ist immer nur eine temporäre Verbindung, die sich je und je neu ereignet. Im Blick auf Gerechtigkeit und Frieden lässt sich ausgehend von Psalm 85 also von einem Liebesprozess der Gegensätze sprechen, die einander widerstreiten, einander lustvoll begegnen und sich so gegenseitig befruchten können.

Impulsfragen:

  • Beschreibt/Beschreiben Sie und diskutiert/diskutieren Sie das Bild „Gerechtigkeit und Frieden küssen einander“.
  • Können Sie sich Situationen vorstellen, in denen sich Gerechtigkeit und Frieden widersprechen – „gegeneinander kämpfen“?
  • Kann es überhaupt Frieden geben, wenn jeder für sich Gerechtigkeit beansprucht (mit aktuellen Beispielen)?
  • Wann habe ich einmal Frieden geschlossen, in dem ich auf Recht verzichtet habe – wann hat in meinem Umfeld einmal Rechtsprechung zum Frieden beigetragen?

 

2. Mt 20, 1-16: (Un)Gerechtigkeit und Gleichheit

Ähnliche Fragen lassen sich auch am Gleichnis Jesu von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16) diskutieren. Hier führt gerade die „ungerechte“ Lohnzahlung des Weinbergbesitzers dazu, dass es Lebensgrundlagen für alle gibt. Die Ungleichheit der Bezahlung führt bei den einen zur Freude, bei den anderen zum Unmut.

Interessant ist bei der Diskussion dieses Gleichnisses im Blick auf die Frage nach „just peace“ die Person des Weingärtners als Instanz, die gegen die allgemeinen Empfindungen festsetzt, was „gerecht“ ist bzw was dem Leben dient. Im Blick auf PS 85: Hier „schlagen“ sich Gerechtigkeit und Frieden.


Impulsfragen:

  • Kennen wir Beispiele für solche scheinbare „Ungerechtigkeit“? Warum funktioniert das bzw. warum ist es hier vielleicht sogar nötig?
  • Gibt es trotzdem Grenzen?
  • Wo brauchen wir Instanzen, die zwischen Frieden und Gerechtigkeit vermitteln/abwägen?

 

3. 1. Kön 21 zum Thema Rechtsstaatlichkeit und Frieden

Der Zusammenhang von Rechtsstaatlichkeit und Friedensthematik liegt nicht so unmittelbar auf der Hand wie etwa die Frage von Frieden und globaler wirtschaftlicher Gerechtigkeit. Gerade aus diesem Grund eignet sich die Betrachtung eines Textes wie die Erzählung von Nabots Weinberg (1. Kön 21), in der es ebenfalls nicht um kriegerische Auseinandersetzungen geht.

Allerdings lassen sich zahlreiche aktuelle Konflikte aufzeigen, in denen die Begehrlichkeit nach der Habe des anderen (Land, Bodenschätze, Wasser) zu Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen führen. Prominentestes Beispiel sind etwa die Auseinandersetzungen im Kongo, in denen die Begehrlichkeit internationaler Konzerne nach den dort vorkommenden seltenen Bodenschätzen zu Enteignungen, Bestechungen von Regierung und Rebellengruppen und in Folge dessen zu nicht endenden kriegerischen Auseinandersetzungen kommt.

Ein Ziel einer Bibelarbeit zu Nabots Weinberg könnte sein, die Verhaltensmuster in dieser Geschichte kenntlich zu machen, sie zu entlarven und in gegenwärtige Sprache – gegenwärtiges Denken zu transferieren. Dies ließe sich gut z.B. mit Arbeitsweisen aus dem Bibliolog realisieren:

  • Der Text wird bis Vers 2a gelesen und die Teilnehmenden in die Rolle von Ahab versetzt und interviewt: Was denkst Du, Ahab?
  • Die Teilnehmer fassen die Begehrlichkeit (Ahabs) in Worte und geben eigenen/ihnen bekannten Begehrlichkeiten eine Sprache.
  • Unterbrechung nach Vers 3: Die Teilnehmer versetzen sich in Nabot: Was denkst du, Ahab? Dann versetzen sich die Teilnehmer in Ahab: Was denkst du, Nabot? Usw.

Der Verlauf der Geschichte wird so bei den „Stimmgebern“ für Nabot auch Aggressions- und Rachegedanken laut werden lassen und die Konflikthaftigkeit des Geschehens deutlicher zutage treten lassen, als es die reine Opferrolle Nabots im biblischen Text tut. Über die Sprechertexte von Zeugen und Zuschauern wird das Unrechtssystem des Königs thematisiert werden, spätestens mit dem Auftreten des Elia der Gedanke nach Rache und gerechter Vergeltung in Worte gefasst.

Impulsfragen:

  • Wo kennen wir solches Unrecht aus unserem eigenen Lebensumfeld?
  • Wo aus der großen Politik?
  • An welcher Stelle sind wir selbst einmal zum Opfer geworden?
  • Wo leitet uns unser Begehren (persönlich, wirtschaftlich, staatlich)?
  • Wie hätte ein unabhängiges Rechtssystem die Geschehnisse in 1. Kön 21 verändert?

Susanne bei der Wieden
Hintergründe und Diskussionsimpulse

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