'Wir brauchen ein Rüstungsexportkontrollgesetz, das klare Handlungsrichtlinien setzt'

Interview mit Max Mutschler


Bislang gehen deutsche Rüstungsexporte auch an zweifelhafte Abnehmer. Max Mutschler: 'Es fehlt der politische Wille dazu Rüstungsexportpolitik primär aus der Perspektive der Krisenprävention anzugehen.' (Symbolbild) © Pixabay

Der Co-Vorsitzende der Fachgruppe Rüstungsexporte der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) bemängelt: Es fehle in Deutschland der politische Wille dazu Rüstungsexportpolitik primär aus der Perspektive der Krisenprävention anzugehen.

reformiert-info.de: Herr Mutschler, die schwarz-rote Bundesregierung sprach sich in den letzten Jahren immer wieder für eine „zurückhaltende und verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik“ aus. 2017 veröffentlichte sie eine eigene Krisenpräventionsstrategie mit dem Titel „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern.“ Der Rüstungsexportbericht 2018 scheint diese Haltung zu untermauern. Die Rüstungsexporte gehen demnach zurück. Ist das ein Wandel in der deutschen Rüstungsexportpolitik?

Max Mutschler: Ich kann nicht feststellen, dass hier ein Bruch stattgefunden hat. Rüstungsexporte sind in jener Strategie nur eine Marginalie, sie werden nahezu ausgeklammert. Der genannte Absatz wirkt mehr wie eine Floskel, so als müsste man das Thema eben erwähnen. Konkrete Handlungsanweisungen aber fehlen.

Trotzdem: Die Exportzahlen gehen zurück. Der Gesamtwert der genehmigten Exporte hat demnach im Vergleich zu 2017 um 1,4 Milliarden Euro abgenommen, im Vergleich zu 2015 sogar um 3 Milliarden. Die Zahlen scheinen für eine restriktive Rüstungspolitik zu sprechen.

Das ist zwar richtig. Man muss aber auch die Relationen sehen. 2015 ist das Jahr, indem bislang die meisten Rüstungsexporte - gemessen in Euro - stattgefunden haben, seitdem wir Daten haben. Tatsache ist auch, dass wir nie so viele Rüstungsexporte gehabt haben wie in den Jahren 2015 bis 2017. Die Zahlen kann man demnach so oder so sehen. Aufschlussreicher finde ich die Frage: Wer sind die Empfänger? Wie sieht die Menschenrechtslage dort aus?

Zu den umstrittenen Beispielen zählt der Krieg im Jemen. Sie forderten in einem BICC-Briefing Anfang 2019 ein umfassendes und zeitlich unbegrenztes Waffenembargo gegen die beteiligten Kriegspartner. Warum gerade hier so radikal?

Die Belieferung von Staaten der Kriegskoalition im Jemen mit Rüstungsgütern aus Deutschland ist für mich einer der krassesten Fälle der letzten Jahre. Ein Beweis, dass es im Hinblick auf Rüstungsexporte keine wirksame Krisenpräventionsstrategie gibt. Wenn das Ziel die Krisenprävention wäre, dann hätte es keine Rüstungsexporte an Beteiligte wie Saudi-Arabien geben dürfen. Das Strategiepapier von 2017 unterstreicht das eigentliche Problem aus meiner Sicht deshalb nur: Es fehlt der politische Wille dazu Rüstungsexportpolitik primär aus der Perspektive der Krisenprävention anzugehen.

Was fehlt aus Ihrer Sicht? Braucht es neue gesetzliche Bestimmungen?

Auf den ersten Blick kann man feststellen, dass wir schon diverse Gesetze und Richtlinien haben: Es gibt das Kriegswaffenkontrollgesetz, es gibt einen gemeinsamen Standpunkt der EU. Letztendlich liegt die Entscheidung aber bei der Bundesregierung. Der Bundestag muss nicht zustimmen. Wer kontrolliert die Bundesregierung? Wer soll die Bundesregierung bei Verstößen verklagen? Die Kontrollmechanismen sind eher zaghaft. Da ist zum Beispiel der jährliche Rüstungsexportbericht. Manchmal kommen Anfragen aus Bundestag. Aus meiner Sicht reicht das aber nicht. Wir brauchen ein Rüstungsexportkontrollgesetz, das klare Handlungsrichtlinien setzt und die Transparenz und Kontrolle verbessert; etwa durch eine explizite Begründungspflicht für besonders kritische Rüstungsexporte.


Zur Person:

Max Mutschler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bonn International Center for Conversion. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Rüstungskontrolle und internationaler Waffenhandel. Seit 2016 ist Mutschler Co-Vorsitzender der Fachgruppe Rüstungsexporte der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE). Die GKKE veröffentlichte zum Rüstungsexportbericht der Bundesregierung 2018 eine Analyse.

Aktuell fallen Entscheidungen über Rüstungsexporte hinter verschlossener Tür. Zuständig ist die Bundesregierung, wenn nötig, mit dem Bundessicherheitsrat. Wäre hier mehr Transparenz möglich?

Ich glaube ja, das ließe sich auch anders handhaben. Mehr Transparenz würde meiner Meinung nach einer Demokratie besser zu Gesicht stehen. Exportberichte bekommt die Öffentlichkeit erst dann vorgelegt, wenn die Entscheidungen längst getroffen sind. Begründet wird das oft mit dem Geschäftsgeheimnis. Wenn aber der Bundestag und die Öffentlichkeit nicht besser informiert werden, dann kann von echter Transparenz keine Rede sein.

Kritik gibt es auch am Exportbericht selbst. Wo sind die Lücken?

Die Daten sind zum Teil sehr unpräzise. Meist erfahren wir nur Gesamtwerte anstatt Informationen über die konkret für den Export genehmigten Rüstungsgüter. Da liest man beispielsweise von „Kommunikationsausrüstung“. Was genau ist damit gemeint? Auch die Endempfänger sind oft unklar: Gehen bestimmte Exportgüter an die Polizei, ans Militär? Auch ich weiß das nicht. Um näheres herauszufinden, muss oft mit einer parlamentarischen Anfrage nachgehakt werden. Was teilweise ja auch passiert. Noch interessanter und problematischer ist aber das, was gar nicht erst im Rüstungsexportbericht auftaucht.

Was meinen Sie damit?

Es gibt inzwischen deutsche Firmen, die ihre Produktion teilweise ins Ausland verlegt haben. Dazu gehören Länder wie Saudi-Arabien, Ägypten und Algerien. Rheinmetall hat beispielsweise Fabriken in Algerien aufgebaut. Dadurch wird nicht nur der Genehmigungsprozess umgangen. Dazu kommt ein Transfer von Know-How, dessen Ausmaß noch nicht absehbar ist.

Zumindest auf EU-Ebene sieht die Situation schwierig aus. Manchen scheint die deutsche „restriktive Rüstungsexportpolitik“ tatsächlich nicht zu gefallen. Gibt es trotzdem Hoffnung auf eine gemeinsame Richtung?

Schon die deutsche Rüstungsexportpolitik ist nicht besonders restriktiv. Dennoch besteht die Gefahr, dass die angedachte Europäisierung der Rüstungsproduktion dazu genutzt werden wird, die deutsche Rüstungsexportkontrolle auszuhebeln.  Die Bundesregierung darf sich hier nicht allein an Frankreich orientieren, sondern muss sich für eine Stärkung der Rüstungsexportkontrolle auf europäischer Ebene einsetzen. Damit wäre sie übrigens keineswegs isoliert, wie es gerne mal behauptet wird. Potentielle Verbündete hierfür wären etwa die Niederlande, Finnland, Dänemark, Schweden, Belgien und Österreich, deren Regierungen sich auch kritisch zu Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien positioniert haben. Das Europäische Parlament hat sich schon mehrfach für eine strengere Kontrolle von Rüstungsexporten ausgesprochen.


Das Interview führte Isabel Metzger
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