Zur Freiheit hat uns Christus befreit!

Predigt zu Galater 5, 1-15 im Rahmen der Reformierten Predigtreihe in der Antoniterkirche, Köln

© Andreas Olbrich

von Claudia Malzahn

1 Zur Freiheit hat uns der Messias befreit,
steht also aufrecht und lasst euch nicht wieder unter das Joch der Sklaverei fangen.
2 Gebt Acht – ich, Paulus, sage euch dies:
Wenn ihr euch bescheiden lasst, wird euch der Messias nichts nützen. 3 Noch einmal bin ich Zeuge für jeden Mann, der sich beschneiden lässt, dass es seine Pflicht und Schuldigkeit ist, die ganze Tora zu tun. 4 Abgeschnitten seid ihr vom Messias, die ihr durch die Gesetzesordnung ins Recht gesetzt werden wollt, herausgefallen aus der geschenkten Zuwendung.
5 Denn unser Warten und Hoffen auf Gerechtigkeit und Zurecht-Bringen steht im Zeichen der Geistkraft und des Vertrauens. 6 Im Messias Jesus nämlich bewirkt weder Beschneidung noch Vorhaut etwas, sondern das Vertrauen, das durch die Liebe wirksam ist.
7 Ihr wart so gut am Laufen. Wer hat euch den Weg abgeschnitten, dass ihr der Wahrheit nicht mehr folgt? 8 Was man euch einredet, kommt nicht von dort, woher ihr gerufen sein. 9 Ein Krümchen Sauerteig schon durchsäuert den ganzen Teig. 10 Ich verlasse mich auf euch um Gottes willen, dass ihr euch nicht in eine andere Richtung  wenden werdet. Wer euch aber unter Druck setzt, wird das Urteil tragen müssen, wer immer es auch sei. 11 Was mich jedoch betrifft, Brüder und Schwestern, wenn ich die Beschneidung angeblich doch predige, warum werde ich dann noch verfolgt? Dann ist doch das Kreuz als öffentliches Ärgernis aus der Welt. 12 Sollen sich doch die, die euch in Aufruhr  versetzen, gleich selbst verschneiden.
    13 Ihr aber, Schwestern und Brüder, seid zur Freiheit gerufen, nur sei die Freiheit kein Vorwand dafür, es der herrschenden Weltordnung nachzumachen, sondern durch die Liebe sollt ihr füreinander Sklavendienst leisten.
14 Denn die ganze Tora ist in einem einzigen Wort erfüllt: Liebe deinen Nächsten und deine Nächste wie dich selbst.
15 Wenn ihr einander jedoch reißt und beißt, seht zu, dass ihr voneinander nicht aufgefressen werdet.

(Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache)

Liebe Gemeinde!

Zur Freiheit hat uns Christus befreit!

Schwestern und Brüder, ihr seid zur Freiheit berufen!

Das Evangelium von Jesus dem Christus befreit zur Freiheit, schreibt Paulus an die jungen Christengemeinden in Galatien.

Freiheit - wie hat dieser Begriff seinerzeit geklungen, in einer Zeit, in der die Aufteilung der Gesellschaft in Freie und Sklaven  selbstverständlich war? Freiheit -  wie klingt das heute für Maria, die polnische Frau, die mit Touristenvisum für ein paar Monate in Deutschland permanente Altenpflege in der privaten Wohnung einer alten Dame übernimmt und damit einen großen Anteil am jährlichen Familieneinkommen erwirtschaftet?  Freiheit! Wie klingt das heute für Abraham, Pfarrer in Kamerun, dem ich vor ein paar Wochen auf der Weltkonferenz für Gefängnisseelsorge begegnete, der so viel sieht und sagt von Not und Gewalt in korrupten Strukturen?

Paulus schreibt seinen Leuten ausführlich. Er hat die Gemeinden in diesem unspektakulären Gebiet in der heutigen Türkei ins Leben gerufen. Er war dankbar und glücklich über die Gemeinschaft, über diese Menschen und ihren Weg im gemeinsamen Glauben. Und als er hörte, wie diese seine Gemeinden den Weg der Freiheit gegen einen Weg einzutauschen gedachten, den er als falsch erkannt hatte, schrieb er diesen leidenschaftlichen Brief an die Galater, den wir hier in der Predigtreihe nun schon seit Monaten gemeinsam bedenken und auslegen.

Beschneidung hilft Euch nicht weiter! Sie führt Euch zurück unter das Joch der Sklaverei! Das will Paulus verhindern: Kommt nicht vom richtigen Glaubensweg ab!

Andere, die Paulus auch nicht weiter kennt, sagten den Galatern: Die Beschneidung ist ein notwendiges Zeichen der Zugehörigkeit zum Bund Gottes mit Israel und auch für Euch nötig.

Paulus entgegnet: keine Beschneidung ohne das ganze Joch der Sklaverei: Wer Beschneidung für nötig hält, fragt auch nach Glaubensgerechtigkeit durch Einhalten der Thora statt nach Glaubendgerechtigkeit durch Vertrauen auf Gott und  Christus und den Geist.  Die eigene Lebensgeschichte wirft Paulus in die Waagschale: Als glaubender Jude verfolgte Paulus zunächst die Menschen um Jesus Christus. Erst auf seinem Weg nach Damaskus wurde er von diesem Jesus Christus auf einen neuen Weg gebracht. Und dieser Glaubensweg brachte ihm die Erkenntnis, dass die Beschneidung kein notwendiges Zeichen der Zugehörigkeit zum neuen Glauben sein solle. In den Auseinandersetzungen der Jerusalemer Urgemeinde kamen schließlich Judenchristen und Heidenchristen überein, dies so anzuerkennen.  Wer als Jude beschnitten war: gut. Und wer als zugehöriger anderer Völker unbeschnitten war, sollte das auch bleiben. Auch gut.

Beschneidung in Köln 2010 begegnet uns als medizinisches Thema bei Fimose. Beschneidung als religiöser Ritus kommt uns näher, wenn wir jüdische oder muslimische Familien im Freundeskreis haben. Ganz anders gelagert ist die Praxis der Beschneidungen von Mädchen. Deren fürchterlichen Folgen sind in den letzten Jahrzehnten eindrücklich bekannt und geächtet worden.

Wir Menschen suchen nach deutlich sichtbaren Zeichen und klar erkennbaren Regeln. Wäre da doch eine Zugehörigkeit, die eindeutig und für immer bestand hätte! Gäbe es doch Regeln, mit denen wir alles richtig machen könnten, mit denen wir Zufriedenheit und Glück erarbeiten könnten!  Das alles verspricht der Glaube an Christus, der befreit, eben nicht. Statt dessen geht es bei Christus um Inhalte, die so schwer fassbar und gar nicht zu erarbeiten sind: geschenkte Zuwendung, Warten und Hoffen auf Gerechtigkeit,  Freiheit, die in Liebe konkret wird.

Also: ein Streit in der jungen Kirche wurde so entschieden: Christen haben keine Beschneidung als sichtbares Erkennungszeichen der Zugehörigkeit. Christlicher Glaube misst sich an der Freiheit, an Gerechtigkeit und an der Liebe. Und an diesem hohen Maßstab gemessen hat sich der Glaube unserer Mütter und Väter durch die Jahrhunderte manchmal bewährt und manchmal gefehlt.

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Schwestern und Brüder, ihr seid zur Freiheit berufen! „Wir sind so frei“ lautete der Slogan zu den Jubiläumsfeiern zur 1. reformierten Generalsynode in Duisburg 1610, die vor ein paar Tagen stattgefunden haben.  Drei Themen von 1610 wurden hier in ihrer Aktualität für 2010 hervorgehoben:

Erstens: Bildung. Bildung war damals und ist bis heute die Grundlage für alle, die Gerechtigkeit und Freiheit im Blick haben.

Wenn Christen ihre Verantwortung wahrnehmen wollen, so war schon 1610 die Konsequenz deutlich, dass es wichtig ist, Menschen den Zugang zu Bildung möglich zu machen. Wer nicht informiert ist, kann auch nicht verantwortlich entscheiden. Die Erkenntnis, dass Bildung von Kindern und Erwachsenen not-wendend ist, findet sich heute in den Programmen aller Parteien – und doch sieht die Wirklichkeit in den meisten Kommunen anders aus. Kommenden Dienstag wird es wieder eine Demonstration in Köln geben, in der es z.B. darum geht, offenen Ganztagsschulen durch Streichungen nicht noch weiter das ohnehin schon zu enge Budget zu kürzen.

Zweitens: Religionsfreiheit. Damals ging es vorrangig um die verschiedenen christlichen Konfessionen. Heute geht es um einen gleichberechtigten Dialog verschiedener Religionen, um interkulturelle Parität.

Religion wird oft als Deckmantel benutzt, wenn ein Etikett gesucht wird. Manchmal geht es um Profilierungssucht einzelner Menschen, die durch Provokationen weltweit medial bekannt werden. Meist sind es um machtpolitische und wirtschaftliche Interessen und Gegensätze, wenn Religion wie Brandbeschleuniger benutzt wird. Wenn wir von den heiligen Schriften verschiedener Religionen ausgehen, stoßen wir selbstverständlich auf andere Erkenntnisse, als wenn wir uns auf Vereinfachungen und Provokationen von Fundamentalisten jedweder Coleur einlassen.  Und das erfordert, sich Zeit zu nehmen und deutlicher zu erfahren, was sich in den verschiedenen Religionen für Welten entdecken lassen.

Wichtige Erfahrungen sind die, in denen Akzeptanz und Miteinander gelingt. Davon gilt es zu berichten: von Beispielen, in denen Menschen verschiedener Religionen und säkulare Menschen, die ohne Religion leben, einander in ihrer Eigenart entdecken und anerkennen.  Schauen wir da mal auf Gelingendes in einen ganz normale Kölner Grundschule, einen normalen Wochenmarkt oder die Wirklichkeit in einem Betrieb mit weltweiter Vernetzung und Mitarbeitenden mit verschiedenem kulturellem Hintergrund.

Drittens: Macht soll von unten nach oben organisiert sein. Diese Erkenntnis führte zur presbyterial-synodalen Verfassung unserer Evangelischen Kirche im Rheinland. Diese unterscheidet sich deutlich von einer Kirchenstruktur mit Bischof oder einer Ordnung mit einem weltweiten Oberhaupt an der Spitze.

Wir leben nicht in Zeiten, in der Engagement in der Volkskirche besonderes Ansehen bringt. Wer trotzdem von unten nach oben sich beteiligt an den Prozessen, die sich verändernde Volkskirche lebendig zu gestalten, tut das gegen den Trend. Wahlbeteiligungen bei Presbyteriumswahlen sind gering und unterscheiden sind damit leider kein bisschen von allgemeiner politischen Wahlmüdigkeit. Wenn das Prinzip: „Macht von unten nach oben“ richtig und wichtig ist, dann ist es nötig, hier weiter zu werben, zu qualifizieren, einen Schwerpunkt der Arbeit zu setzen. Denn: Freiheit bedeutet eben auch die Übernahme von Verantwortung.

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Schwestern und Brüder, ihr seid zur Freiheit berufen!

Als Leitschnur für die Freiheit schreibt Paulus seinen Galatern das ins Stammbuch, was im ersten Testament Mose Israel als Weisung gibt. In den Evangelien heißt es dann das größte Gebot: Liebe Gott und liebe deinen Nächsten wie Dich selbst.

Unter dieser Überschrift ist Freiheit alles andere als beliebig. Freiheit, die gebunden ist an die Liebe zu Gott und den Menschen, ist ein sehr besonderes Erkennungszeichen.  Dies Erkennungszeichen erfordert, sich immer wieder neu umzusehen und zu orientieren, wie diese Freiheit zu verstehen und zu leben ist. Dialog und Kontakt sind Vorraussetzung dafür.

Es ist wesentlich, zu wissen wie die polnische Altenpflegerin Freiheit erfährt. Es ist wichtig, zu hören wie der kamerunische Kollege von Freiheit predigt. Es ist notwendig, die Augen offen zu halten für aktuelle Formen von Sklaverei und Unterdrückung. Paulus ist Realist. Freiheit zu leben geht nicht ohne Auseinandersetzung. „Wenn ihr einander jedoch reißt und beißt, seht zu, dass ihr  voneinander nicht aufgefressen werdet.“

Gottes Friede, der unser Denken und Planen übersteigt, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

AMEN

Predigt zu Galater 5, 1-15 im Rahmen der Reformierten Predigtreihe,  gehalten in der Antoniterkirche, Köln, Sonntag, den 12. September 2010


Pfarrerin Claudia Malzahn
Der einfache Gottesdienst in der Antoniterkirche, Köln

Im Jahr 2010 zum Brief des Paulus an die Galater