02 – Du sollst Dir kein Kultbild machen

Der reformierte Blick auf die Bilder. Gedanken zu einer theologischen Ästhetik. Teil II

Von Andreas Mertin

Der reformierte Blick auf die Bilder, so hatten wir in der letzten Folge erläutert, setzt ein bei den Höhlenmalereien unserer Vorfahren aus der Zeit zwischen 40.000 und 20.000 Jahren vor heute. Schon zum Ende dieses Zeitraumes, nach 20.00 Jahren bildnerischen Schaffens, lässt sich beobachten, wie die Bilder mehr und mehr in den religiösen Ritus integriert, das heißt funktionalisiert werden. Bilder, so müssen die Menschen gelernt haben, können nicht nur die Welt spiegeln, sondern auch mit bestimmten Interessen – z.B. politischer oder religiöser Systeme – eingesetzt werden. Bilder sind damit nicht nur Ausdruck menschlicher Freiheit und Schöpfungskraft, sondern werden auch zum Ausdruck menschlicher Macht.

Amun, zwischen 1550 und 1292 v. Chr., Walters Art Museum.

Wir können nun über Tausende von Jahren beobachten, wie die Herrschenden sich in Bildern spiegeln, wie die religiösen Führer gezielt Bilder für den religiösen Kult einsetzen. Und wir können beobachten, wie konkurrierende oder neu entstehende politische wie religiöse Systeme den Bildersturm nutzen, um die Macht der Gegner zu begrenzen. Die damnatio memoriae betrifft nicht nur die Geschichtsschreibung, sondern auch die Statuen und Zeichnungen. Als sich Israel bildet, ordnet es sich ganz selbstverständlich in dieses komplexe System der Bildproduktion und Bildbestreitung der damaligen Zeit ein. Und das bedeutet ebenso selbstverständlich: Auch in Israel gab es Bilder* (Silvia Schroer) und es waren Kultbilder. Die über Jahrtausende erzählte Geschichte der bilderlosen jüdischen Religion ist bei heutiger Betrachtung und vor dem Hintergrund archäologischer Befunde genau das: eine spätere Erzählung, die identitätsstiftend wurde, aber nicht den komplexen historischen Ablauf spiegelt. Das Bilderverbot ist eine – so könnte man sagen – religiös-kulturelle Schlussfolgerung aus einer verheerenden Niederlage, die in das babylonische Exil führte. Es ist eine theologische Lehre, die aus der Geschichte Gottes mit seinem Volk gezogen wurde, und keinesfalls diesem von Anfang an vorgegeben. Das in heutiger Sicht Überraschende daran ist, dass das biblische Bilderverbot aufgrund einer Einsicht zustande kommt, die man im Sinne der Ästhetischen Theorie geradezu modern nennen kann. Das Bilderverbot, so schreibt der Philosoph Theodor W. Adorno, „hat neben seiner theologischen Seite eine ästhetische. Dass man sich kein Bild, nämlich keines von etwas machen soll, sagt zugleich, kein solches Bild sei möglich.“

Die Frage, die sich nach dem babylonischen Exil für die theologischen Schulen stellte, war, ob Bilder tatsächlich die als notwendig erachtete religiöse Einheit eines Volkes garantieren können. Und die bildtheoretische Einsicht der an der Debatte Beteiligten lautete: das können sie nicht. Denn Bilder sind grundsätzlich mehrdeutig (polyvalent würde man heute sagen), sie ermöglichen dem Betrachter immer neue, verschiedene Perspektiven. Das gilt zwar auch für poetische Texte, aber die Frage für Israel war, ob man weiterhin an die Tradition der Umwelt anknüpfen sollte, religiöse Kommunikation über künstliche Bilder zu organisieren. (Sprachliche Bilder sind in der Bibel niemals vom Bilderverbot in den Blick genommen worden.) Und man trifft die Entscheidung, im Kult auf Bilder zu verzichten – und was noch wichtiger ist: man setzt diese Entscheidung auch konsequent durch. Du sollst Dir kein Bildnis machen meint also: Du sollst Dir kein Kultbild machen. Denn Bilder geben ein Gebrauchswertversprechen für den Kult, dass sie nicht einhalten können. Jedes Bild sagt eigentlich: Hier stehe ich, ich kann auch anders (gedeutet werden). Das biblische Bilderverbot ist in einem radikalen Sinne modern, weil es die Festlegung der Bilder auf eine bestimmte Deutung bestreitet und es vielfältigen Wahrnehmungsprozessen öffnet. In einem gewissen Sinne kann man daher auch die Kunst des 20. Jahrhunderts nur verstehen, wenn man diesen Kerngedanken des jüdischen Volkes aus der Zeit nach dem babylonischen Exil nachvollzieht. Das Bilderverbot als Kultbildverbot und als Beschreibung einer in den Bildern liegenden Grenze hat sich tief in die abendländische Kultur eingeschrieben.

Es geht dabei überhaupt nicht um die Bestreitung von Bildern an sich. Das biblische Kultbildverbot ist kein Kunstverbot! Salomo hat für den Bau des Ersten Tempels nach biblischem Zeugnis auf gute Kunsthandwerker sehr viel Wert gelegt. Die dann nach der Rückkehr aus dem Exil entstandene und in der Tradition auf Moses zurückgeführte Unterscheidung besagt im Endeffekt, dass Bilder für vieles andere (zur Darstellung, zum Schmuck, zum Ausdruck, auch zur Illustration), nicht aber für den Kult selbst geeignet sind. Und in dieser Einschätzung stimmen Theologie und Kunsttheorie überein – oder sollten es doch wenigstens. Das biblische Bilderverbot hat sicher nicht an so etwas wie die moderne Kunst gedacht (die sich ja erst nach und nach in drei Schritten um 1300, 1500 und 1800 entwickelte). Aber es hat dennoch die Voraussetzungen dafür geschaffen, Kunst aus dem religiösen Kontext zu lösen und in der Folge modern zu werden.

Das biblische Bilderverbot war und bleibt ein Stachel im Fleisch aller Bilderverehrer und -anbeter durch die Jahrhunderte. Als Kultbildverbot hat es eine elementare konzentrierende Macht, gegen die diversifizierende Macht der Bilder im Kult. Die sich in der hebräischen Bibel entfaltende Bildkritik ist aufklärerische Kritik, die nicht zuletzt versucht, den allzu großen Einfluss magischer Gedanken auf die Bildwahrnehmung im Zaum zu halten. Bei Jesaja findet sich eine Schilderung, ganz im Ton der Aufklärung gehalten, die nicht nur den Wert der handwerklichen Arbeit zu schätzen weiß, sondern auch zugleich die Fragwürdigkeit kultischer Verehrung handwerklicher Produkte auf den Punkt bringt: 

„Wer mit Holz arbeitet, spannt die Messschnur, umreißt es mit einem Stift, bearbeitet es mit einer Raspel und umreißt es mit einem Zirkel, macht es wie eine menschliche Gestalt, wie ein Prachtstück von einem Menschen, um in einem Haus zu thronen, fällt sich Zedern, nimmt Stechpalme und Eiche und lässt sie stark werden unter den Bäumen des Waldes, pflanzt Fichten und der Regen lässt sie wachsen. Das ist für die Menschen zum Feuermachen und sie nehmen davon, um sich zu wärmen, auch zünden sie es an und backen Brot. Auch eine Gottheit machen sie davon und fallen vor ihr nieder, sie machen ein Götzenbild und beten es an. Eine Hälfte verbrennen sie im Feuer, über dieser Hälfte bereiten sie das Fleisch, sie braten es und werden satt, auch wärmen sie sich und sprechen: »Ah! Ich habe es warm, ich schaue ins Feuer«. Aber das Übrige machen sie zum Gott, damit es ihr Götzenbild sei, sie beten es an und fallen vor ihm nieder, beten zu ihm und sprechen: »Rette mich, denn du bist mein Gott!« (BigS, Jes. 44, 13-17)

Damit ist natürlich nicht das Selbstverständnis derer eingefangen, die Objekte nutzen, um sich an Gott erinnern zu lassen, aber es zeigt die Willkürlichkeit ihres Verhaltens auf. In einem gewissen Sinne sind Götzenbilder Readymades – aus dem Alltag genommene Gegenstände, die auf einen Sockel gestellt werden, damit man mit ihnen religiöse Erfahrungen machen soll. Nur anders als bei den Readymades des 20. Jahrhunderts wird ihnen nach und nach eine Verbindlichkeit zugeschrieben, die die Willkürlichkeit ihrer Entstehung in den Hintergrund treten lässt. Sie werden zu Kultbildern, die angebetet werden müssen. Dem setzt das biblische Bilderverbot eine Schranke: Du sollst Dir kein Kultbild machen!

*Silvia Schroer, In Israel gab es Bilder. Nachrichten von darstellender Kunst im Alten, Orbis biblicus et orientalis 74, Freiburg, Schweiz 1987.

In der nächsten Folge: Jesus Christus oder die Befreiung der Künste zur Profanität.

Weitere Informationen

Über den aktuellen Forschungsstand informiert das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex) unter dem Stichwort Bilderverbot (AT).

Online gibt es die Bilddatenbank BODO (Bibel+Orient Datenbank online) in der sich zahlreiche Objekte aus der Frühzeit Israels recherchieren lassen.


Andreas Mertin, 16. Februar 2015