Eindrücke aus Haifa

Nes Ammim - aus dem Alltag in einem nicht-alltäglichen Dorf in Israel. 71. Kapitel


Von Tobias Kriener

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Samstag waren wir mit Besuch in Haifa - u.a. meinem Vorgänger Rainer. Der führte uns nach Hadar, einem Viertel, das in der Mandatszeit entstanden ist und sehr an Rechavia in Jerusalem erinnert. In der Rechov Masada gibt es eine ganze Reihe nette Cafes mit so einem Hippie-Touch - man riecht Marihuana, das dort geraucht wird, wird von rastalockigen Männern und Frauen mit Kaffee versorgt und sieht überhaupt sehr "unisraelische" Typen - ein blödes Wort: Eigentlich ist das ja sogar sehr israelisch - jedenfalls aus den 70ern und frühen 80ern habe ich das so noch in Erinnerung. Inzwischen ist es allerdings doch sehr an den Rand gedrängt von diesem glatzkopf-machoistischen "ich-lass-mir-von-niemandem-gar-nix-bieten" Israelitum; aber vielleicht war es damals auch schon eher ein Randphänomen, nur dass ich mich an der Uni vor allem in solchen Kreisen bewegt habe ... Hat mir auf jeden Fall außerordentlich gut gefallen, diese Straße und dieser Stadtteil.

Vorgestern dann waren wir mit Volos und Besuchern im Beit HaGefen, einem arabisch-jüdischen Kulturzentrum auf der Grenze zwischen dem Templer-Viertel (der "German Colony") und Wadi Nisnas. Wadi Nisnas war schon vor der Staatsgründung eines der arabischen Viertel Haifas. Nach dem Unabhängigkeitskrieg sind dann alle Araber, die in Haifa geblieben waren (die große Mehrheit ist geflohen oder wurde vertrieben), in dieses Viertel umgesiedelt worden. In den 50ern sind eine Reihe von Neueinwanderen noch dazu gekommen, die allerdings in der Zwischenzeit wohl zum allergrößten Teil woanders hin gezogen sind. Wadi Nisnas ist also heute ein rein arabisches Stadtviertel von Haifa. Der Gegensatz zu dem direkt daran anschließenden Hadar ist augenfällig: Hadar wie gesagt an Rechavia erinnernd: Schöne, solide Häuser mit viel Grün dazwischen; Wadi Nisnas wie die arabischen Dörfer und Städte auch sonst chaotisch, überall werden Stockwerke draufgesetzt und Erker angebaut und Veranden aus Kunstoff und Metall angepappt: ein Stilbruch jagt den nächsten - der Markt in der Mitte, keinerlei Grünflächen oder Bäume.

1963 wurde das Beit HaGefen gegründet. Dazu gehören eine Bücherei, ein Galerie und ein Gebäude mit großem Veranstaltungssaal und Tagungsräumen. Ich habe noch nicht so genau verstanden, was die Aktivitäten und das Konzept sind. Es gibt Konzerte und Theateraufführungen, Workshops und Reisen. Am Bekanntesten ist das "Fest der Feste" (Chag schel HaChagim), dass seit 1992 gefeiert wird, als Weihnachten, Chanukkah und Id al-Adha (das islamische Opferfest) alle in den Dezember fielen. Da finden dann 14 Tage lang Konzerte, Film- und Theatervorführungen, Ausstellungen, Lesungen und viele andere Aktivitäten statt. Vom Eröffnungsabend im letzten Dezember hatte ich ja erzählt.

Jedes Jahr wird für dieses "Fest der Feste" ein Kunstwerk erstellt, das dann in Wadi Nisnas im sog. "Museum without Walls" (also unter freiem Himmel) auf- und ausgestellt wird. Nicht alle überleben ihr Straßendasein unbeschadet - aber es gibt eine ganze Reihe schöne Sachen zu sehen, die uns von Schmuel gezeigt wurden - einem Meschen, der - ähnlich wie Ofer Lior, unser Dialogmitarbeiter, den er auch persönlich kennt - in mehreren Jobs in dieser interkulturellen, dialog-orientierten Szene unterwegs ist. Ein paar starke Beispiele sind auf den Fotos im Anhang zu sehen: Der "Kaffee Hafuch" - der hebräische Begriff für Capuccino, wörtlich: Kaffee umgekehrt (wie das holländische "Kofie verkert"): ein hoch oben in der Luft auf dem Kopf stehendes orientalisches Kaffee-Service; das Bild "Ki HaAdam Etz HaSadeh" (Denn der Mensch ist wie ein Baum des Feldes; 5. Mose 20, 19) von der jüdischen Frau des palästinensischen Intellektuellen Emil Touma gestaltet; die Installation "Mishehu gar kan ad 1948" (Jemand hat hier gewohnt bis 1948), die - so erzählte Schmuel - bei israelischen Jugendlichen immer große Verwirrung und Diskussionen auslöst, weil sie von den Vorgängen 1948 nur sehr oberflächliche Kenntnis haben.

Haifa hält sich ja viel darauf zugute, eine "Mixed City" - ja, die "Mixed City" Israels zu sein. Vor einer Woche wurde dieses Bild und Selbstbild wieder einmal erschüttert, als die Haifaer Polizei sehr rigoros gegen eine unangemeldete Demonstration von palästinensischen Israelis wegen der Toten an der Grenze im Gazastreifen vorgegangen war. Ich hoffe, das Beit HaGefen in den nächsten Jahren noch besser kennen lernen zu können. Deshalb will ich nur einen vorläufigen Eindruck widergeben: Das Selbstbild der "Mixed City" scheint mir immer mehr eher ein Idealbild als Beschreibung der Realität zu sein. Wadi Nisnas - in unmittelbarer Nachbarschaft zu Hadar - spricht eher für etwas anderes: Für das Nebeneinanderher-Leben von Palästinenser_innen und Jüd_innen. Beit HaGefen scheint mir dafür gedacht, dem Abdriften der palästinensischen Israelis in eine "Parallelgesellschaft" etwas entgegen zu setzen. Zahava - die Leiterin der Abteilung, die Führungen organisiert - ist eine hochengagierte und Zuversicht verbreitende Frau was das Zusammenleben von Juden und Palästinensern angeht. Ich kann noch nicht beurteilen, wieweit die Arbeit von Beit HaGefen sozusagen "von oben", von der Stadtregierung, als Teil einer Integrationsstrategie betrieben oder wieweit es von den Bewohnern von Wadi Nisnas selber getragen wird. Und wieweit andere Haifaer Stadtteile - Hadar z.B. - mit dabei sind.

In jedem Fall hat das vergangene Wochenende und der Start in die Woche Haifa für mich noch interessanter werden lassen. Ich werde, weitere Mosaiksteine sammeln, die das Bild meiner israelischen Lieblingsstadt noch facettenreicher werden lassen. Dazu gehört, dass wir unbedingt den Besuch in dem von unseren Freunden Jörn und Maud empfohlenen Restaurant nachholen müssen, der wegen dem Giro d'Italia ausfallen musste, als Jörn und Maud zu Besuch hier waren (zur Erläuterung: die 2. Etappe des Giro führte dieses Jahr von Haifa über Akko nach Tel Aviv - was den Norden an diesem Tag verkehrstechnisch völlig lahmlegte, so dass die "Maitres" diese Restaurants nicht an ihren Arbeitsplatz gelangen konnten und unsere geplante und reservierte Sause ausfallen musste. Und das für ein Ereignis, bei dem doch nur wieder ein beim Doping Erwischter gewonnen hat ...)


Tobias Kriener