Der andere Friede

Predigt zu Johannes 14,27


Yad Vashem © Wikimedia / Grauesel

Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten.
Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit:
den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.
Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch.
Es ist noch eine kleine Zeit, dann wird mich die Welt nicht mehr sehen. Ihr aber sollt mich sehen, denn ich lebe und ihr sollt auch leben.
An jenem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch.
Wer meine Gebote hat und hält sie, der ist's, der mich liebt. Wer mich aber liebt, der wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren.
Spricht zu ihm Judas, nicht der Iskariot: Herr, was bedeutet es, dass du dich uns offenbaren willst und nicht der Welt?
Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.
Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat.
Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin.
Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.
Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.
(Johannes 14,15-27)

Liebe Gemeinde!

Es gehört schon viel historisches Bewusstsein dazu in diesen Tagen der 100. Wiederkehr des Beginns des 1. Weltkrieges zugedenken. Ich habe vor 4 Wochen der 70. Wiederkehr des Attentates auf Hitler und der Männer und Frauen des 20. Julis 1944 in einer Sonntagspredigt am 20. Juli gedacht. Unser Organist tadelt mich nach dieser Predigt und stellt fest, dass dies nicht sein Thema und das Thema seiner Generation ist. In der Junikonferenz des lutherischen Pfarrkonventes haben wir uns mit den Kriegspredigten und der Auswirkung des 1. Weltkrieges auf die Stadt Osnabrück mit Prof. Rasch von der Osnabrücker Universität beschäftigt. Wir haben dies in unserer Lutherkirche getan, die in der Kaiserzeit, wie die Bergkirche, gebaut wurde. Ich habe eine kurze Einführung in das theologische Konzept dieser Kirche gegeben und habe dabei Kaiser Wilhelm II als unseren Kaiser benannt. Ein amüsiertes Raunen ging durch die Pastoren und Pastorinnen und Diakone und Diakoninnenschaft. Dieses Raunen irritierte mich, bis ein Kollege sagte, mein Kaiser ist Wilhelm II nicht.

Hat der Kollege und unser Luther-Organist Recht?

Ist historischer Rückblick nur etwas für Historiker und rückwärtsgewandte Menschen und kann ich mich aus der deutschen Geschichte ausklinken?
Kann ich z.B. durch Yad Vaschem, der Holocaust- Gedenkstätte gehen und sagen, damit habe ich nichts zu tun? Oder sagen, jetzt ist es genug, wir haben uns genug erinnern lassen an die dunklen Seiten unserer Geschichte? In der Südstadtkirchengemeinde erinnern wir in der Sommerkirche uns an die theologische Erklärung von Barmen, die vor 80 Jahren von mutigen Theologen um Karl Barth formuliert wurde und zum Bekenntnis gegen die Nazis und die Deutschen Christen wurden. Dieses gemeinsame Erinnern verbindet unsere beiden Gemeinden. Ich bin gespannt auf die Auswirkung dieses Erinnern und Gedenken. Denn 1914 und vor allem 1918, der Friedensschluss von Versailles hat sehr viel mit dem zutun was 1933 und dann 1939 mit unserem Land und Europa passierte.

Frieden ist eben nicht Frieden, vor allem dann, wenn Frieden von einem Stärkeren verordnet wird und der Besiegte von den Friedensverhandlungen ausgeschlossen ist und er die Bedingungen des Friedens nur zur Kenntnis nehmen kann, wie 1918 geschehen. Die Friedensverhandlungen von Versailles wurden zum Trauma einer ganzen Generation. Da wo nach dem deutsch – französischen Krieg 1871 das Deutsche Reich und der erste Deutsche Kaiser proklamiert wurde, schlugen die Sieger zurück und versuchten die Demütigung mit einer weiteren Demütigung im Spiegelsaal zu löschen.

Das konnte nicht gut gehen und wir wissen es ging nicht gut. Und wenn wir darüber reden wollen wie Frieden entsteht, empfinde ich es als wichtig schon zu schauen wo Frieden verwirklicht wurde und auch wo Frieden misslang. Und damit ist für mich der Blick in die Geschichte immer auch eine Möglichkeit für die Gegenwart zu lernen. Vielleicht haben andere Europäer aus anderen Ländern es leichter beim Blick in die eigene Geschichte. Ich gehöre zu einer Generation, die sehr wohl mit den Folgen beider Kriege und beider Systeme leben musste. Meine Großväter haben im 1. Weltkrieg gedient und das Eiserne Kreuz gehört zu dem Erbe dieser Großväter und diese beiden Großväter waren beide überzeugte Nationalsozialisten, die ihre Söhne weder vor dem Krieg noch der falschen Ideologie gewarnt haben.

Ich gehöre zu einer Generation, die mit den Tätern unter einem Dach gelebt hat und die sich an diesen Tätern abarbeiten musste. Diese Auseinandersetzung hat mich zu dem gemacht was ich bin. Und daher kann ich mich in Yad Vaschem von dem Gedenken nicht distanzieren und ich frage mich: Wie kann Frieden werden und wie kann ich aus den Fehlern der deutschen Vergangenheit lernen? Ein Bibelwort begleitet mich seit Jahren bei diesem Fragen: Jesus sagt in seinen Abschiedsreden im Johannesevangelium im 14. Kapitel:

27 Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

Für Jesus ist also Frieden nicht gleich Frieden. Und vielleicht hat Jesus da die Welt und die Politik richtig beobachtet. Frieden ist zwischen Völkern mitunter nur die Abwesenheit von Krieg und gewaltvollen Auseinandersetzungen. Wie dünn dieser Friedenswille ist sehen wir da, wo wir täglich in die Nachrichten schauen. Wer heute über Frieden redet, der muss nach Israel und Palästina schauen, der muss seinen Blick richten auf den Irak und Syrien und natürlich auch auf die Ukraine. So viele Kriegsbilder wie in diesem Sommer haben wir lange nicht gesehen. Es gab natürlich immer militärische Auseinandersetzungen in unserer Welt, aber nicht so gefährliche wie in diesen Tagen, wo die USA und Russland und Europa so entscheidend dran beteiligt sind. Obwohl die Bomben so weit weg fallen, sind sie uns doch so nahe und ohne dass wir es wollen werden wir zu mittelbaren oder unmittelbaren Beteiligten. Die Spirale der Sanktionen gegen Russland betreffen vielleicht unsere Arbeitsplätze und die Raketen aus Gaza betreffen unsere gemeinsamen Gemeindefreizeiten ins Heilige Land.

Wir sind mitten drin in diesen Auseinandersetzungen und wir kommen in die Situation, dass wir uns positionieren müssen.

Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

Was für einen Frieden hat uns Jesus hinterlassen, der ja nach seinen Aussagen anderes ist als der Frieden den wir alle miteinander kennen. Vielleicht hilft uns da noch einmal der Blick in die Vergangenheit. Unser westdeutscher Frieden begann 1948, als Konrad Adenauer seine Ernennungsurkunde zum ersten freigewählten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland den westlichen Besatzungsmächten übergeben musste. Die drei Hochkommissare standen in Bonn auf einem großen Teppich und es war protokollarisch geplant, dass Konrad Adenauer vor diesem Teppich zum Stehen kommen sollte. In den alten Filmaufnahmen kann man sehen, dass Adenauer stockte und dann einen Schritt vorwärts machte, um mit den Hochkommissaren auf dem gleichen Teppich zustehen. Da begann sozusagen der auszuhandelnde Frieden von damals noch nicht so ganz gleichberechtigten Partnern, die es dann aber in der Folgezeit bis 1989 zu den zwei plus vier Friedensverhandlungen wurden. Weltlicher Frieden entsteht da wo wir gleichberechtigt und gleich geachtet, auf Augenhöhe mit einander verhandeln.

Um diese Augenhöhe geht es in diesen Tagen in Kairo, wenn Palästinenser und Israelis sich an einen Tisch setzen oder wie um Moment eben nicht. Die Frage ist, kann zwischen so ungleichen Partnern es zu einer Augenhöhe kommen die Frieden ermöglicht. Um diese Augenhöhe ging es 1948, als der Bundeskanzler des besiegten Tätervolkes mit den Siegern sich auf einen Perserteppich stellte und die Sieger es nicht verhinderte. Im Tagespiegel von gestern las ich einen interessanten Kommentar. Der Kommentator schlug vor, dass Israel die Hamas nicht durch Bombardements, sondern mit einer großen humanitären Aktion düpieren sollte, um zu zeigen dass der Stärkere wirklich Frieden und Gespräche will. Dieses humanitäre Düpieren hätte natürlich das politische Ziel die Radikalen von Gesprächsbereiten zu isolieren.

Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

Auch Gott hat so einen Schritt gewagt, aber einen Schritt der die Menschen eben nicht düpieren wollte, sondern der ohne Hintergedanken ist und damit nicht revidierbar ist. In Jesus von Nazareth hat Gott auf seine Göttlichkeit verzichtet und wurde zur Weihnacht Mensch. Er verzichtete auf alles was seine Göttlichkeit ausmachte, was ihn sozusagen von den Menschen trennte. Er, der Ewige wurde sterblich, der Allgegenwärtige kam in Bethlehem zur Welt und lebte und wirkte in Galiläa in einem zu verifizierenden historischen Ort. Der Allwissende trat ein in das beschränkte Denken der Menschen vor 2000 Jahre.

Und er ging diesen Weg der Menschen zu Ende bis er am Kreuz von Golgatha starb. Das was Mensch und Gott unterscheidet, nämlich Tod und ewiges Leben, darauf verzichtete Gott um mit den Menschen auf Augenhöhe zu kommen. So ermöglichte Gott einen Frieden zwischen sich und den Menschen. Das war kein leichter Weg, sondern ein sehr schmerzensreicher Weg für den Menschen Jesus von Nazareth. Sein Friede ist also geprägt von dem einseitigen Verzicht auf Macht und Gewalt. So geht Gott seit Jesus von Nazareth also mit uns Menschen um. Er bleibt an der Seite der Menschen, auch wenn die Menschen nicht an der Seite Gottes bleiben wollen. Gott bleibt seinem Frieden, den er durch Jesus von Nazareth mit uns geschlossen hat treu, egal was die Menschen aus dieser Treue gemacht haben und noch machen werden.

So eine Position verunsichert den einen oder die andere. Darum sagt Jesus ganz konsequent: Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht. Schrecken und Furcht sind schlechte Ratgeber, wenn es um Frieden geht, Respekt und Vertrauen ermöglichen Augenhöhe und daher ist es so wichtig, dass wir diese Friedensbotschaft unseres Gottes uns immer wieder vor Augen malen und in unsere Herzen schreiben lassen. Denn Schrecken und Furcht, so zeigt es uns unsere Welt mit ihrer Politik, erzeugen oft nur Gewalt und Gegenschläge, Vergeltungs- und Strafmaßnahmen.

Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

Vielleicht bin ich ja zu sehr von dem Frieden, den der christliche Gott mit den Menschen geschlossen hat infiziert, als das ich anderes denken möchte. Wenn unser Bundespräsident den ich sehr schätze, in der letzten Zeit immer wieder die Politik ermahnt, mit Waffengewalt unserer Soldaten und Soldatinnen sich in Krisenregionen einzumischen, dann bin ich immer sehr irritiert. Einer seiner vergessenen Vorgänger, Gustav Heinemann, hätte sich zu solchen Äußerungen niemals hinreißen lassen. Er hat während seiner 5 jährigen Amtszeit nie eine Bundeswehrkaserne besucht.

In seiner Antrittsrede als Bundespräsident hat er am 1. Juli 1969 gesagt:

„Ich sehe als erstes die Verpflichtung, dem Frieden zu dienen. Nicht der Krieg ist der Ernstfall, in dem der Mann sich zu bewähren habe, wie meine Generation in der kaiserlichen Zeit auf den Schulbänken lernte, sondern der Frieden ist der Ernstfall, in dem wir alle uns zu bewähren haben. Hinter dem Frieden gibt es keine Existenz mehr.“

Vor der Predigt haben wir ein Pfingstlied gesungen und gleich werden wir ein Weihnachtslied singen. In diesem Spannungsfeld zwischen Weihnachten, wo Gott Mensch wurde und zu Pfingsten wo Gott uns seinen Heiligen Geist, den Geist des Friedens und der Versöhnung geschenkt hat, ereignet sich mein Christenleben. Und die Frage werde ich tagtäglich beantworten müssen, ob ich diesen Frieden, den wir in Jesus erfahren haben mehr vertraue als den weltlichen Frieden, der ja nur eine Abwesenheit des Krieges ist.

Amen.

Gehalten am 10. August 2014 in der Bergkirche, Osnabrück


Diakon Dirk Hartung, Ev.-luth. Südstadtkirchengemeinde