''Ich werde mit Dir sein''

Predigt zu Exodus - anlässlich der Hauptversammlung des Reformierten Bundes 2024


Mose und der brennende Dornbusch - Bible Pictures and What They Teach Us by Charles Foster (1897) © Wikimedia

Von Peter Bukowski

Liebe Schwestern und Brüder,

der Gottesdienst zum Abschluss dieser Hauptversammlung hat eine doppelte Funktion: Er soll unser Fragen nach Reformierter Identität mit einem vorläufigen Gedankenstrich versehen und im Blick auf die Leitung unseres Bundes einen geistlichen Doppelpunkt setzen, indem wir die neugewählten Moderamensmitglieder und den Moderator dem Segen und dem Geleit Gottes anvertrauen.

Dazu möchte ich an Grundfragen erinnern, die sich stellen, bisweilen auch aufdrängen, wann immer Gott Menschen in seinen Dienst berufen hat.
In Kurzform lauten sie (vgl. Ex 3 und 4 passim):

Wer bin ich? - oder auch: Wer sind wir (denn schon)?
Wer bist Du, Gott, überhaupt?
Wie soll das funktionieren angesichts einer problematischen Gemeinde?
Wie soll ich funktionieren, angesichts eigener Handicaps?

Ausgelöst und angestoßen werden diese von Mose gestellten Fragen durch die Anrede Gottes. Als Moses hingeht, um sich das seltsame Schauspiel näher zu betrachten, dass da unversehens ein Dornbusch brennt, ohne von den Flammen verzehret zu werden, da erreicht ihn die Stimme Gottes: Mose, Mose!

Mose, Mose – die doppelte Anrede ist bemerkenswert, sie kommt im AT nämlich recht selten vor (Gen 22,11: Abraham, Abraham; Gen 46,2: Jakob, Jakob;1. Sam. 3, 10: Samuel, Samuel). Jedes Mal leitet sie eine entscheidende Wende im Leben des Angesprochenen ein. Ich finde diese doppelte Anrede ausgesprochen tröstlich, denn sie unterstreicht: Gott weiß, dass es Wiederholung braucht, um Menschen wirklich zu erreichen, weil sein Auftrag als Zumutung empfunden werden kann und Menschen mehrfache Vergewisserung brauchen.

Dabei hält die Gottesrede zusammen, was zusammengehört: die persönliche, kontaktvolle Ansprache im Hier und Jetzt und die Rückbindung an die Tradition erfahrener und erzählter Gottesgeschichte. Gott stellt sich vor als der Gott „deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs“.

Daraus könnte ich als alter (!) Homiletiklehrer eine ganze Predigtlehre entwickeln. Keine Angst, tu ich jetzt nicht, will nur darauf aufmerksam machen: Auch in unserer Verkündigung brauch es immer Beides: persönliche, kontaktvolle Ansprache im Hier und Jetzt und den Bezug auf die biblische Tradition. Sonst gerät die Predigt entweder konturlos oder zur Aneinanderreihung abständiger und deshalb irrelevanter Wahrheiten.

Gott wird hier aber nicht nur aus der Tradition erkennbar, sondern seine Eigenart erschließt sich durch das, was er gegenwärtig tut. Man achte nur auf die Verben in V. 7ff.: Gott sieht das Elend, er hört das Geschrei, er erkennt das Leiden seiner Menschenkinder. Die Beter der Psalmen werden Gott deshalb immer wieder bitten, ihr Leid mit allen Sinnen wahrzunehmen, denn sie wissen, hier geht es nicht nur um kognitives Zur-Kenntnis-Nehmen. Gott, der sieht, hört und erkennt, kann berührt und bewegt werden. So bewegt, dass er sich zu den Seinen auf den Weg macht. „Ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Hand der Ägypter und sie herausführe...“  (V. 8).

Und so nimmt es nicht Wunder, dass Menschen durch die Zeiten hindurch angesichts politischer und sozialer Krisen ihre Hoffnung auf diesen Gott des Exodus gerichtet haben. So hat in der vergangenen Woche die jüdische Gemeinschaft Pessach gefeiert: Voller Trauer und Empörung über die erlittene Gewalt einer terroristischen Hamas; viele voller Trauer uns Empörung über eine Kriegsführung des israelischen Staates, die Gaza mit massenhaftem Tod und Elend überzieht ohne dass man weiß wo das hinführen wird... Aber auch voller Hoffnung auf den Gott, der aus der Spirale von Gewalt und Gegengewalt herauszuführen vermag.

Aber nun soll Mose (und all die Angesprochenen nach ihm) ja nicht nur über Gott belehrt werden, er soll in schwerer Zeit auch nicht nur zur Hoffnung auf Gott ermutigt werden (so sehr ihm das zu wünschen ist!), er soll von Gottes Wort re-formiert, also neu ausgerichtet werden. Er bekommt den Auftrag mitzumachen, mit „Barmen“ gesprochen: aktiv teilzuhaben an der Befreiungsbewegung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt. Und dies nun auch noch an exponierter Stelle: Au weija.

Liebe Geschwister, au weija steht nun nicht im Text. Sondern der Text erzählt die vornehmere Variante von au weija und die lautet: „Ich hätte da aber noch einige Rückfragen.“

Also zuerst einmal: „Wer bin ich, dass ich...“ (V. 11) Bevor es an die Arbeit geht, mag es sinnvoll und hilfreich sein, die Identitätsfrage klären. Dabei sollten wir, die hier Versammelten uns daran erinnern lassen, dass das Label „Reformierte Gemeinde“ oder auch „Reformierte Kirche“ eine sprachliche Abkürzung ist. Die Eigentliche Bezeichnung lautet ja: „Nach Gottes Wort reformierte Gemeinde“. Und vielleicht ist die Langform eine wesentliche Antwort auf die Frage nach reformierter Identität. Wir sind, was wir sind, weil und sofern wir uns vom Hören auf Gottes Wort in Form bringen, formatieren lassen...)

Gott nimmt dem Mose seine Rückfrage nicht übel, er diskreditiert sie auch nicht und er würgt sie erst recht nicht ab. Aber er stellt sie in einen neuen Horizont indem er sich dem, der sich selbst fraglich ist als verlässlicher Begleiter verspricht: Ich werde mit Dir sein. Neudeutsch: Ich, der barmherzige und gerechte Gott bin Dein Backup.

Ihr, die Ihr heute in Eure Ämter der Leitung des Reformierten Bundes eingeführt werdet müsst Euch im Grunde nur diesen einen Satz merken. Und euch im Zweifelsfall daran festhalten. Und wenn ihr ihn mal nicht glauben könnt, darauf vertrauen, dass ihn andere für Euch glauben. Gott sagt: „Ich werde mit Dir sein.“

Nun weckt gerade dieser Zuspruch bisweilen neue, ins Grundsätzliche reichende Zweifel. Und wenn man für´s Zweifeln nicht selbst Verantwortung übernehmen will, projiziert man sie auf ´die Gemeinde`, auf andere Leute eben: Wenn die es genau wissen wollen, wenn die zögern, meiner Sendung Glauben zu schenken, was soll ich ihnen sagen? Wer bist Du?

Dabei ist die Lage heute ja zunehmend kompliziert geworden. Es waren vergleichsweise glückliche Zeiten, als wir unseren Glauben gegen Zweifler, Leugner, gerne auch gegen handfeste Atheisten zu verteidigen, bzw. zu bewähren hatten. Schwerer ist es in einem Umfeld, in dem die Leute vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben. Dass viele das nicht als Mangel, sondern als ´normal` erleben, worunter sie auch deshalb nicht leiden, weil es irgendwie irgendwas „da oben“ schon geben wird, was als Horizont reicht und wovon die Flut heutiger Grabbeigaben auf ihre Weise zeugen...

Wer bist Du? – Fragt Mose und müssen wir fragen. Auf einen Namen festlegen, auf den Be-griff bringen lässt Gott sich nicht – er weiß, dass, menschlicher Zugriff stets der Versuchung ausgesetzt ist, das Ergriffene in den Dienst eigener Zwecke und Ziele zu nehmen. An Gottes Antwort haben sich Ausleger über die Zeiten hinweg die Hüfte verrenkt. Dabei ist sie Im Grunde eine Zusammenfassung dessen, womit die Sendung des Mose begann: Gott erschließt sein Wesen in dem, was er getan hat und tut: Von Geschlecht zu Geschlecht soll man sich an den Halten, der sich als Erbarmer, als Gerechter und als Befreier zu erkennen gibt. Und deshalb: Ich bin der, als der Ich mich erweisen werde. Das gilt es zu hören. Davon sollen wir ansprechend erzählen, damit wir und unsere Gemeinden im Leben und im Sterben zu IHM Vertrauen fassen können (Fr.1 des HK).

Ja, aber – Mose versucht es noch einmal konkreter, ich könnte auch sagen: praktisch-theologisch(er). Da sind eben auch die Adressaten seiner Sendung, die Leute, die Gemeinde. Seine erfahrungsgesättigte Volk-Gottes-Studie belegt es doch: Die Leute werden ihm aus vielen verschiedenen Gründen keinen Glauben schenken: Der Herr ist Dir nicht erschienen, werden sie sagen...

Darauf bekommt Mose Zeichen der Vollmacht: Den Stab, der zur Schlange wird, die er zu bändigen weiß; die aussätzige Hand, die er zu heilen vermag. Was uns wie Zaubertricks oder Varietékunststücke vorkommen könnte, sind in Wahrheit bekräftigende Zeichen dafür, dass er Mächten und Gewalten etwas wird entgegensetzen können: Der Macht der Sünde und der Verführung. Seit dem Sündenfall gilt die Schlange als Der gottfeindliche Wahrheitsverdreher schlechthin und der Aussatz gilt als Krankheit, die nicht nur den Befallenen, sondern eine ganze Gesellschaft vergiftet. Diesen (mit Karl Barth gesprochen) herrenlosen Gewalten wird Mose etwas entgegenzusetzen haben – Gott sei Dank. Und Befreiungspraxis hat tatsächlich überzeugende Kraft. Sie gründet auf Gottes Empowerment!

Liebe Geschwister, solches göttliche Empowerment bleibt nicht auf biblische Zeiten beschränkt. Die besonders spektakulären Zeichen die Mose gegeben wurden sollen nur unseren Blick schärfen für wirksame Befreiungspraxis, die Gott durch die Zeiten hindurch den Seinen ermöglicht hat, auch uns! Ob individuelle Hilfe für Menschen, die andere längst abgeschrieben haben, politische Anwaltschaft, die aufsteht gegen Rassismus und Nationalismus, oder Stimmen, die Einhalt gebieten, wenn „Kriegstüchtigkeit“ zur alternativlosen Option ausgerufen wird – auch unsere Rede von Gott dem Befreier bekommt durch Praxis Hand und Fuß.

Am Ende startet Mose noch einen Versuch in Gestalt pastoraler Bescheidenheit: Ich bin ungeeignet, weil ich unter persönlichen Defiziten leide: Ein Prophet mit Sprachfehler – wo gibt’s denn sowas?! Aber im Grunde ist es ja gut, dass Mose sich nicht überschätzt. Dass er auch ein Gespür für das hat, was er selbst nicht leisten kann. Deshalb stellt ihm Gott seinen Bruder an die Seite als seinen „Mund“.

In dieser Hinsicht kann meine Generation von Euch Jüngeren lernen! Viele von uns Älteren waren im Pfarramt Einzelkämpfer, dachten, wir müssten alles allein schaffen, haben unsere Grenzen und unsere Begrenztheiten nicht gesehen oder nicht wahrhaben wollen. Mir scheint, Ihr habt besser begriffen, was Gott dem Mose am Ende zu denken gibt: Du bist kein Einzelkämpfer, also benimm Dich auch nicht so. Entdecke vielmehr die Gaben derer an Deiner Seite, die Deine Mängel auszugleichen vermögen. Verkündigungs- und Befreiungsarbeit ist Teamarbeit, und zwar Teamarbeit auf Augenhöhe. Netzwerk – und dies in ökumenischer Verbundenheit, im weltweiten Horizont. Und deshalb:

Gott wird Euch begleiten!
Seine Befreiungsgeschichte ist Eure Orientierung!
Seine Kraft wirkt in Eurem Tun!
Er weist Euch ein in geschwisterliche Weggemeinschaft.
Also an die Arbeit! Gott befohlen! Amen.


Peter Bukowski