Kind Gottes werden

Predigt zu Lukas 18,17 (Jahreslosung 2009)


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"... im Kern geht es in unserer Jahreslosung und in der Geschichte vom „reichen Jüngling“ um die Vertrauensfrage und um die Frage, ob ich wirklich ganz Gott vertraue, oder ob ich doch noch sage: ''Sicher ist sicher, nichts genaues weiß man nicht – lieber doch selber noch ein bisschen Hand anlegen und Gott auf die Sprünge helfen."

Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich. (Lukas 18,27)

Ihr Lieben,

„Geht nicht? – Gibt’s nicht!“ Mit diesem Slogan hat eine Baumarktkette in den letzten Jahren geworben.

Alles geht. Man muss nur wissen wie und beim Richtigen nachfragen (oder einkaufen). Was im Handwerk (vielleicht) stimmt, stimmt in unserem Leben oft nicht. Wir haben unsere Grenzen. Wir sollen sie ausschreiten, aber wir sollen und können sie nicht überschreiten. Manche Grenzen sind uns sozusagen von der Natur gesetzt. Wir können nicht ohne Hilfsmittel fliegen oder unter Wasser atmen. Wir schaffen es nicht eine Maschine zu entwickeln, die sich ohne Energiezufluss selbsttätig bewegt. (Was wäre das für ein Durchbruch in Zeiten der Energieteuerung und skrupellosen Ressourcenverbrauchs). Wir können dem Menschen das Leben verlängern, aber wir können es nicht verewigen. Unser Forschen hat eine Grenze und unsere Unmöglichkeiten anzuerkennen ist ein Zeichen von Demut, ist Weisheit, ist sogar Verherrlichung Gottes!

Calvin schreibt einmal: „Alles Erforschen der Natur, das den Schöpfer aus dem Blick verliert, ist verkehrtes Forschen. Die Natur nutzen und ihren Schöpfer nicht anerkennen ist schändlicher Undank“ (Einleitung zum Genesis-Kommentar). Wie aktuell noch heute oder gerade heute, was da vor fast 450 Jahren geschrieben wurde. „Forschen, das den Schöpfer aus dem Blick verliert“ – davon können wir einiges erzählen. Dann gibt es aber auch Grenzen, die uns unsere Mitmenschen setzen. Wir wissen sehr wohl, dass es in einer Partnerschaft, in der Nachbarschaft Grenzen gibt, die wir achten sollten – um des Zusammenlebens willen. Die eigene Entfaltung findet am Nächsten ihre Grenze. Das macht uns zu sozialen Wesen. Manches, was uns möglich ist, lassen wir uns unmöglich sein, weil es nicht gut wäre – nicht gut für den anderen und dann auch nicht gut für uns. Wer diese selbst auferlegte Grenze nicht achtet, wird asozial.

Und auch davon können wir mehrstrophige Lieder singen. Von zerstörten Partnerschaften, übergriffigen Nachbarschaften, von Gier und Eigennutz, der das Gemeinwohl bestenfalls von ferne kennt. Aber dann gibt es auch die Erfahrung, dass Dinge, die uns unmöglich schienen, weil wir sie nicht zu hoffen wagten, doch möglich und wirklich werden. Denkt an den Fall der Mauer, den niemand für möglich hielt oder das Ende der Apartheid in Amerika oder Südafrika oder dass einmal ein Schwarzer US-Präsident wird und eine Frau die Bundesrepublik regiert. Dass Reformierte und Lutheraner zusammen Abendmahl feiern oder Ehen über Konfessionsgrenzen hinweg problemlos geschlossen werden können – noch vor wenigen Jahrzehnten wäre das alles als „unmöglich“ oder „undenkbar“ bezeichnet worden. Die Abendmahlsgemeinschaft von katholischen und evangelischen Christen steht noch aus – unmöglich? Frieden in Israel und Palästina – unmöglich? Eine Weltgesellschaft, die sich einen lässt in der Aufgabe, diese Erde auch für die Urenkel unserer Enkel bewohnbar sein zu lassen – unmöglich?

Vieles ist dem Menschen möglich – zum Guten aber leider auch zum Bösen. Auch da machen wir Erfahrungen, dass geschieht, was wir für unmöglich hielten. Grausamkeit kennt keine Grenzen und über die Maßen erfinderisch ist der Mensch, wenn es darum geht, anderen Leid zuzufügen. Unglaublich ist, was Menschen einander antun können. Wir trauen unsere Augen und Ohren kaum, wenn wir von den Kriegsverbrechen in Vergangenheit und Gegenwart hören. Haben das Menschen Menschen angetan? Ist der Mensch zu soviel Bosheit, Kaltherzigkeit und Barbarei fähig? Familienväter, halbwüchsige Söhne? Ehefrauen und Mütter als Aufseherinnen in Lagern und Gefängnissen? Ganz abgesehen davon, was kranke Menschen anderen antun können, wenn die Seele zerstört ist, alles Mitgefühl erstorben und es keine kulturell erlernten oder „natürlichen“ Hemmschwellen mehr gibt.

Eine Menge ist zu sagen und zu erzählen, wenn es um die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Menschen geht. Das Wort Jesu, das uns im Jahr 2009 als Jahreslosung begleitet, zielt aber nun auf etwas ab, das wirklich außerhalb aller Menschenmöglichkeiten liegt und was doch jeden Menschen, der diese Erde betritt, unmittelbar angeht. Es liegt außerhalb unserer Möglichkeiten, weil es sich nicht mehr allein in unse-rem Bereich abspielt, sondern etwas mit unserer Beziehung zu Gott zu tun hat. Die Jünger fragen Jesus: „Wenn eher ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher ins Himmelreich kommt — wer kann denn dann überhaupt gerettet werden?“ Und Jesus antwortet: Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.

Ihr Lieben, dem „homo faber“, dem Menschen, der alles kann und schafft, der stolz ist auf seine Fähigkeiten und auf seine eigene Kraft, dem ist diese Nachricht mehr als ärgerlich. Da muss es doch was geben, was man selber tun kann. Es darf doch nicht wahr sein, dass wir selber zu unserer Rettung nichts beisteuern können. Gerade hier, wo es um alles oder nichts geht, sollen mir jetzt die Hände gebunden sein? Seht, diese Nachricht, die im Kern nichts anderes ist als die Rückseite des Evangeliums, diese Nachricht ärgert den natürlichen Menschen zutiefst und keiner von uns wird sagen können, dass er diesen Ärger nicht teilt oder zumindest ein Unbehagen empfindet, wenn er sie hört. Davon, dass wir durch Gottes Gnade gerettet werden, hören wir schon lieber.

Davon, dass Gott sich uns in Christus zuwendet und alles für unsere Rettung tut, hören wir (hoffentlich) gern. Aber das zu dieser Vorderseite der guten Nachricht die Rückseite dazugehört, die uns alle Selbsthilfe aus der Hand schlägt, das geht gegen den Strich. Und seht, das ist nicht erst bei uns „modernen“ Menschen so. Das war wirklich schon immer so. Der reiche Mann, der zu Jesus kommt und fragt, wie er ewiges Leben bekommen könne, hat alle Gebote eingehalten. Zumindest behauptet er das und Jesus widerspricht ihm nicht. Dieser Mann hat alles. Materiellen Reichtum, unbegrenzte Möglichkeiten. – Was „Lacostet die Welt? Geld spielt keine Rolex“ hat man in meiner Jugendzeit gewitzelt. Alles hat seinen Preis. Und dieser Mann ist nicht nur reich an Gütern, er ist auch reich in religiösem Sinn. Denn wer könnte von sich schon wirklich behaupten, was er von sich sagen kann.

Er hat und nach menschlichem Ermessen kann er alles – zumindest kann er sich alles leisten. Aber was ihm fehlt ist: „Lassen können“, verzichten können – auf seinen Reichtum und auf seine Selbstgerechtigkeit, auf den Stolz, selber etwas zu Wege zu bringen – dann erst könnte er ewiges Leben bekommen. Seht, im Kern geht es in unserer Jahreslosung und in der Geschichte vom „reichen Jüngling“ um die Vertrauensfrage und um die Frage, ob ich wirklich ganz Gott vertraue, oder ob ich doch noch sage: „Sicher ist sicher, nichts genaues weiß man nicht – lieber doch selber noch ein bisschen Hand anlegen und Gott auf die Sprünge helfen.“ Unsere Natur sagt uns: Gib dich nicht ganz aus der Hand. Mach dich nicht ganz abhängig.

Aber Jesus sagt: „Wenn du ewiges Leben willst, wenn du zu Gott kommen willst, dann bist du selber aus dem Spiel. Zum Kind Gottes wirst du nicht aus eigener Kraft! Gar nicht! Auch nicht ein bisschen. Als Kind Gottes, hast du eine Menge zu tun. Da will Gott dich gebrauchen, dazu gab er dir Talente und Gaben. Da bist du sein Mitarbeiter und sein Bundespartner. Da fordert er von dir, da will er dich einsetzen.“ Christliche Ethik, Nachfolge beginnt da und wehe dem Christen, der sich da aus der Verantwortung stiehlt. Ihr Lieben, dieser feine Unterschied ist doch ein Unterschied wie Tag und Nacht, wie Empfängnis, Geburt und eigenes Leben. Dass unsere Mutter uns empfangen hat, dazu haben wir nichts getan und konnten es nicht. Dass wir geboren wurden, dazu haben wir nichts getan – es war uns sogar wohl eher eine unangenehme Sache. Aber als wir dann auf der Welt waren, da begann es, dass mehr und mehr nichts mehr ohne uns, sondern nur noch mit uns ging.

Zum Kind Gottes werden wir ganz ohne unser Zutun und nur ohne unser Zutun. Als Kind Gottes sind wir zur Aktion gerufen, zur Nachfolge und zum tätigen, Gott wohlgefälligen Leben. Unsere Rettung, dass wir Gottes Kinder werden – es liegt nicht im Bereich unserer Möglichkeiten. Hier, so sagt Calvin einmal, sollen wir unserer eigenen Kraft misstrauen lernen und sie lieber vom Himmel erflehen... Wir müssen unsere Her-zen ganz zur Hoffnung auf die Gnade Gottes ausrichten“. Wir retten uns nicht selbst. Das ist die Botschaft der Bibel. Und darin steckt die wahre Freiheit. Die Freiheit von allen zum Scheitern verurteilten Versuchen der Selbstrettung des Menschen, die immer auf Kosten des eigenen Lebens und nicht selten auf Kosten des Lebens anderer geht.

Wenn der Mensch beginnt, sich selber retten zu wollen, dann schlägt er nämlich um sich, dann ist er allein sich selber der Nächste, dann verliert er den Blick für die Not des anderen und ist ganz und gar allein mit sich selber beschäftigt. „Lasst das alles fahren“, sagt Jesus. „Ihr rettet euch nicht selber. Aber lasst auch die Sorge um euch fahren, denn was euch unmöglich ist, dass ist bei Gott möglich. Ja, mehr noch, es ist ihm nicht nur möglich, er hat es wahr werden lassen und im Glauben darf es bei uns wirklich werden!“ Wir sind Gottes Kinder – und im Glauben, den der Geist uns schenkt, prägt diese Kindschaft schon unser Leben hier uns jetzt. Wir verdienen uns die Gnade Gottes nicht. Wahrlich nicht! Wir haben kein Recht auf sie. Sie zu bekommen liegt weder im Bereich unserer Möglichkeiten, noch könnten wir Anspruch auf sie erheben.

Wer das erkannt hat, wer das anerkennt, dem öffnet sich der Himmel und vom Thron Gottes selber hört er die Stimme, die ihm die überwältigendste Nachricht zuspricht, die ein Mensch in seinem Leben hören kann: „Ich will dein Vater sein und du sollst mein Sohn und meine Tochter sein!“ (vgl. 2. Korinther 6,18) Das zu hören – es liegt nicht im Bereich unserer Möglichkeit – aber bei Gott ist es möglich! Möge er es bei dir und bei mir wahr machen und uns den Glauben schenken und erhalten, in dem uns dieses Wort zum Trost und zur Grundlage unseres Lebens schon hier wird. Hoffen wir in 2009 nicht auf alles Mögliche – sondern darauf, dass Gott diese Wunder an uns allen tut.

Amen


Pfarrer Dr. Jochen Denker, Wuppertal-Ronsdorf
Die Losung im Calvin-Jahr - Lukas 18,27

Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich. Lukas 18,27