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Anton Praetorius
(1560 – 6.12. 1613)
Anton Praetorius wurde 1560 in Lippstadt/Westfalen als Sohn von Matthes Schulze geboren. Dem Trend der Zeit entsprechend übersetzte er seinen Namen ins Lateinische und nannte sich fortan Praetorius. Im Alter von etwa 13 Jahren erlebte Praetorius einen Hexenprozess unter Anwendung der Folter, der zu seinem Denken entscheidend beigetragen hat.
Praetorius machte Karriere und wurde 1586 Rektor der Lateinschule in Kamen/ Westfalen. In der Folgezeit kam es zu häufigen Ortswechseln: 1587 lutherischer Diakon in Worms; 1589 zweiter Pfarrer an der ehrwürdigen Katharinenkirche in Oppenheim. Überzeugt von der Radikalität der Botschaft Christi schloss sich Praetorius um 1588 der in seinen Augen fortschrittlichsten Richtung der Reformation, dem Calvinismus, an. 1592 wurde Praetorius zum ersten reformierten Pfarrer in dem Weinort Dittelsheim berufen.
1593 besuchte er das nahe gelegene Herrnsheim in Worms mit dem großen Schloss der Dalberger. Dabei wurde er Zeuge des Dalberger Hexengerichtstages mit der Verlesung der Urgichten (Bekenntnis). Unter schrecklichen Foltern hatten Frauen aus dem Dittelsheimer Nachbarort Hessloch gestanden, Hexen zu sein.
Praetorius schreibt darüber, dass "auch Männer und Weiber verbrannt worden. Für deren Endurteil wurden vom Rathaus aus einem Fenster solche schändliche, närrische und greiflich lügenhafte Dinge von teuflischer Gemeinschaft und Wettermachen öffentlich vorgelesen, dass mir das Zuhören wehe täte und ich mich für keuschen Ohren schämen müsste, dieselben zu erzählen."
Das große Fass
1594 verfasste er in Dittelsheim sein erstes literarisches Werk, ein lateinisches Lobgedicht über das riesige Weinfass im Heidelberger Schloss. Er widmete es dem reformierten Pfalzgrafen Johann Casimir und dem reformierten Kurfürsten Friedrich IV.
Er pries das Fass als ein Zeichen für die gottgefällige Regierung der reformierten Obrigkeit. Die Größe des Fasses wurde von ihm als augenscheinliches Symbol der Überlegenheit des reformierten Glaubens gesehen: „Hier leuchtet die Güte, hier die Majestät, hier die höchste Macht des ewigen Gottes überall heller“.
Dieser gelehrte und fleißige Verkünder von Gottes Wort blieb nicht von den Katastrophen seiner Zeit verschont. Um 1584 hatte er in Kamen seine Frau Maria geheiratet. Ein Jahr später wurde ihr Sohn Johannes geboren, aber schon 1596 riss eine Pestepidemie die Frau von seiner Seite. Wie durch ein Wunder blieben er und sein 12-jähriger Sohn verschont, standen aber Todesängste aus in der dauernden Angst vor Ansteckung.
"De Pii Magistratus Officio"
1596 in seinem Werk "De Pii Magistratus Officio" nimmt Praetorius engagiert Stellung zu den konfessionellen Streitigkeiten. Die Hauptbedrohung der wahren Verehrung Gottes sieht er im Papsttum. In den "verderblichen" Lehren der katholischen Kirche erblickt er den Grund für den Zorn Gottes, der sich in Klimakatastrophen, Hungersnot und Kriegen äußert. Rettung der Menschen kann nur erfolgen, wenn die Bibel nach dem wahren Willen Gottes durchforstet und falsche Traditionen radikal bekämpft werden.
Fürstlicher Hofprediger im ysenburgischen Büdingen und Birstein
In der Schrift "De Pii Magistratus" hatte Praetorius 1596 die wenigen Fürsten besonders hervorgehoben, die den reformierten, den wahren Glauben unterstützten. Dabei nannte Praetorius vornehmlich den Grafen Wolfgang Ernst von Büdingen und Birstein.
Durch das Lobgedicht „De Pii Magistratus“ wurde der Graf auf Anton Praetorius aufmerksam. Er ernannte ihn zum fürstlichen Hofprediger in Birstein, weil er auf der Suche war nach Pfarrern und Lehrern, die die neue reformierte Lehre durchsetzen konnten. Praetorius arbeitete von 1596 bis 1598 als Hofprediger in Ysenburg-Birstein und veröffentlichte auf Deutsch ein Hausbuch für die christliche Familie („Haußgespräch“), einen Katechismus und einige Kirchenlieder.
1597 heiratete Praetorius Sibylle, die Tochter des Pfarrers Pistorius aus Muschenheim bei Lich.
Praetorius und der Hexenprozess von Birstein
1597 begann in Birstein aufgrund von Forderungen der Bevölkerung zur Bestrafung des "Hexengeschmeiß" ein Hexenprozess. Anton Praetorius wurde vom Grafen als Mitglied des Hexengerichts berufen. Praetorius ertrug es nicht, wie unschuldige Frauen durch die Folter in den Tod getrieben wurden. Mehrere der angeklagten Frauen nahmen sich aus Verzweiflung das Leben. Mit beispiellosem Ungestüm begehrte Praetorius auf. Er war Christ, und sein Maßstab war die Bibel. Der Pfarrer wetterte derart gegen die Folter, dass der Prozess beendet und die letzte noch lebende Gefangene freigelassen wurde. Dies ist der einzige überlieferte Fall, dass ein Geistlicher während eines Hexenprozesses die Beendigung der unmenschlichen Folter verlangte - und Erfolg hatte.
Der Schreiber der gräflichen Kanzlei hielt diesen ungewöhnlichen Vorfall fest: "weil der Pfarrer alhie hefftig dawieder gewesen, das man die Weiber peinigte, alß ist es dißmahl deßhalben underlaßen worden".
Kampf gegen Folter und Hexenprozesse
Praetorius hatte Glück, dass er vom Grafen nicht selber als "Hexenbuhle", als Freund der Hexen vor Gericht gestellt, sondern das Land verlassen musste. In Laudenbach/Bergstrasse in der Kurpfalz im heutigen Baden fand er eine neue Pfarrstelle.
Unter dem unmittelbaren Eindruck des Hexenprozesses in Birstein eröffnete Praetorius von Laudenbach aus seinen literarischen Kampf gegen Hexenwahn und unmenschliche Foltermethoden. Gleich nach seiner Ankunft im Jahr 1598 veröffentlichte er unter dem Pseudonym seines Sohnes Johannes Scultetus das Buch: "Von Zauberey vnd Zauberern Gründlicher Bericht".
1602 fasst er den Mut, seinen eigenen Namen als Autor zu verwenden. Praetorius wählte einen unauffälligen Buchtitel, der nicht verriet, dass er den Hexenrichtern ins Gewissen reden wollte. Auf 380 Seiten zerpflückte er alle Vorurteile gegen Hexen. In neun Kapiteln behandelt Praetorius das Zauberwesen und Folter aus biblischer Sicht und in den Kapiteln 10-13 die Rolle der Obrigkeit im Hexenprozess. Jedes Kapitel beinhaltet eine "Erinnerung", die in Form einer direkten Ansprache an die Obrigkeit und die Gerichtsbarkeit erfolgt. Die Ausgabe von 1602 widmete er der Regierung und seinen Landsleuten in der Grafschaft Lippe.
Praetorius Haltung gegen Hexenverfolgung
Anton Praetorius ist auf Seiten der reformierten Theologen einer der ersten radikalen Verfolgungsgegner. In seinem Werk erweist er sich als Kenner der Literatur zu diesem Thema; und zwar die der Gegner wie der Befürworter. Er ist ein absoluter Skeptiker des Hexenglaubens und greift das Delikt in seinem Kern an. Zauberei kann für ihn im Grunde nicht existieren, weil sie "über menschlich Vermögen und wider die natürliche Ordnung Gottes ist".
Wie vieler seiner Zeitgenossen teilt er zwar die Meinung, dass es Zauberei gebe, bestreitet aber, dass Zauberei ein sträflicher Tatbestand sei. Aus reformierter Theologensicht macht er deutlich, dass die Zauberei nur ein Abfall von Gott und ein Pakt mit dem Teufel sei. Aber weder der Teufel noch die Zauberer haben eine über ihre Natur hinausgehende Macht. Hexenflug, Hexentanz und Teufelsbuhlschaft bezeichnet er als als vom Teufel erzeugte Phantasien. Die Zauberei wird von Gott bestraft, rechtfertigt aber nicht die Todesstrafe durch weltliche Gerichte.
Als einzigen Maßstab lässt Praetorius das Wort der Heiligen Schrift gelten. Anfangs basiert seine Argumentation auf dem Alten Testament. Die dort vorgegebene Todesstrafe solle nur für Giftmörder Geltung haben: eine Sünde, für die er die Todesstrafe anerkennt. An der entscheidenden Stelle allerdings geht er vom Neuen Testaments aus und stellt den Sinn des Vergebungshandelns Christi in den Mittelpunkt seiner Argumentation. "Wie der Apostel Paulus sagt: Wir sind nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade" (Röm. 6,14).
Neben der Bibel erkennt er das weltliche Recht an, die „Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V.“ von 1532, die „Carolina“. Doch auch hier lässt er nur die Todesstrafe für Giftmorde zu. So sei es auch viel wichtiger, gegen Zauberei und Hexerei präventiv vorzugehen und eine Wiederherstellung des wahren christlichen Glaubens und Verhaltens im Volk zu bewirken.
In seinen Gedanken findet sich die Überzeugung, dass Zauberei nicht ein ausschließlich weibliches Phänomen sei. Er spricht in seinen Büchern fast nur von Zauberern. Frauen als Hexen finden nur am Rande Erwähnung.
Kritik der Obrigkeit
Heftig kritisiert Praetorius das Verhalten der Obrigkeit. Es muss ein Ende sein mit der Tyrannei, die bisher viele unterdrücket, denn Gott fordert Gerechtigkeit. Er fordert von ihnen eine Amtsführung, die sich an Gottes Willen orientiert. "Es sollten die obersten Herren gelehrt sein in Gott, fromm und ein Vorbild.“ „Christliche Obrigkeiten sollen das Werk der Zauberer auf christliche Weise hindern und strafen," und Barmherzigkeit üben.
Kritik der Richter und Juristen
Sein Angriff gegen die verantwortlichen Behörden ist überaus mutig. In schonungsloser Direktheit und unerhörter Schärfe klagt Praetorius die Justiz an: "Ihr seid im Unrecht. Ihr steht in des Kaisers Strafe, denn Ihr seid für mutwillige und öffentliche Totschläger und Blutrichter zu halten!" "Ihr seid des richterlichen Namens und Amtes nicht wert." "Es geht bei Euch Gewalt über Recht. Unter dunklem Schein des Rechtes treibt Ihr öffentliche Gewalt. Ihr legt unbescholtene Leute erst gefangen und wollt nachher erst erforschen, ob sie es verdient haben." "Ihr folgt hierin des Teufels Fußstapfen."
Mit drastischen Worten kritisiert er Rechtsbrüche und Grausamkeit der Juristen: "O Ihr Richter, was macht Ihr doch? dass ihr schuldig seid an dem schrecklichen Tod Eurer Gefangenen? Gott schreibt es auf einen Denkzettel! Welche Richter zu der Ungerechtigkeit Lust haben und unschuldiges Blut vergießen, werden in Gottes Hand zur Rache verfallen und sich selbst in die unterste Hölle hinabstürzen!"
Kritik an den Gefängnissen
Tief ergreifend und grauenhaft ist die Schilderung, die Praetorius aus eigner Anschauung von den Gefängnissen der Hexen und deren Folterqualen entwirft. Einfühlsam beschreibt er die seelischen Folgen der gewaltsamen Einkerkerung. Er verbirgt nicht sein Mitgefühl und sein Entsetzen und fordert: Wenn man Menschen in Gefängnisse einschließt, sollen es anständige Räumlichkeiten sein zur Verwahrung, aber nicht zur Peinigung.
Auseinandersetzung mit der Folter
Praetorius greift nicht nur das aktuelle Unrecht der Staatsvertreter an, sondern spricht der weltlichen Strafgewalt überhaupt das Recht ab, unmenschliche Verfahren und Strafen anzuwenden. Hierbei wendet er sich ganz besonders gegen die Folter, die er als unchristlich und für die Wahrheitsfindung unbrauchbar abweist und die er abgeschafft wissen will (AP Bericht, 1613, S. 217):
Ich sehe nicht gern/ daß die Folter gebraucht wirdt.
- Weil fromme Koenige vnd Richter im ersten Volck Gottes sie nicht gebraucht haben:
- Weil sie durch Heidnische Tyrannen auffkommen:
- Weil sie vieler vnd grosser Luegen Mutter ist:
- Weil sie so offt die Menschen am leibe beschaediget.
- Weil auch endlich viel Leut/ ohn gebuerlich vrtheil vnd Recht/ ja ehe sie schuldig erfunden werden/ dadurch in Gefaengnussen vmbkommen: Heut gefoltert/ Morgen todt.
ebd., S. 179: "Auch findt man in Gottes Wort nichts von Folterung/ peinlicher Verhoer/ vnd durch Gewalt vnd Schmertzen außgetrungener Bekaentnuß/"
ebd., S. 182: "Weil dann die peinliche verhoerung so vnchristlich/ so scharpff/ so gefaehrlich/ so schaedlich/ vnd darzu so betrieglich vnd vngewiß/ soll sie billich von Christlicher hoher Oberkeit nicht gebrauchet noch gestattet werden. Je mehr jemand foltert vnd foltern laesset/ je gleicher er den Tyrannen thut vnd wird."
ebd., S. 235: "Endlich ist gewiß/ der Teuffel fuehlet der Folter Schmertzen nicht/ vnd wirdt dardurch nicht vertrieben."
ebd., S. 239: "Ihr Herrn vnd Richter habt den armen Leuten mit Folterung ...auff den Weg der verzweiffelung gebracht...: Derhalben seyd ihr schuldig an ihrem Todt."
Praetorius beschreibt nicht nur das Unrecht der Täter, sondern auch die Auswirkungen des damaligen Strafvollzugs auf die Opfer und beobachtet präzise seine psychischen und sozialen Folgen. Erschreckend genau ist seine auf eigener Anschauung beruhende Schilderung von den Gefängnissen der Hexen und ihren Qualen. Schon ihre gewaltsame Einkerkerung verursache bleibende seelische Schäden. Er fordert nicht nur die Abschaffung der Folter, sondern auch anständige Räumlichkeiten als Gefängnisse.
Insgesamt ist Praetorius einer der ersten Theologen, der sich von seiner christlichen Grundüberzeugung her mit der gesamten Folterpraxis seiner Zeit auseinandersetzt und diese rechtlich und moralisch verwirft.
Der Reformer (Bildung und Kirche)
Für die Durchführung von Hexenprozessen fordert Praetorius: Ein Verteidiger muss zugelassen werden. Und es braucht immer mehrere Zeugen, nicht nur einen. Alle Angeklagten müssen gleich behandelt werden. „Es soll gelinde gestraft werden, denn Gott züchtigt uns auch in Gnaden."
Praetorius unterbreitet weitere revolutionäre Forderungen: Die Obrigkeit soll nicht strafen, sondern vorbeugen. "Es sollen die Schulen geordnet und bestellt werden, dass Junge und Alte an allen Orten recht gelehrt werden." Die Obrigkeit soll die Ordnung der Ältesten in den Gemeinden bestellen, auf dass dieselben im Namen der ganzen Kirche die Gemeinde des Ortes leiten. "Dazu braucht es tüchtige Mitarbeiter für Kirchen und Schulen, die Gottes Wort geneigt sind. Und daran sollen sie keine Kosten sparen."
Opposition in der evangelischen Kirche gegen Hexenverfolgung
Um 1600 formierte sich in der evangelischen Kirche überkonfessionelle Opposition. Viele Jahre hatte der reformierte Pfarrer Anton Praetorius die Lehre der Lutheraner bekämpft. Deswegen überrascht es, dass er 1613 der dritten Neuauflage seines Berichtes über Zauberey ein kritisches Gutachten lutherischer (!) Theologen aus Nürnberg aus dem Jahr 1602 anfügte. So wurde sein „Bericht“ von 1613 ein überkonfessioneller Appell gegen Folter und Hexenprozesse.
Die lange Liste der Widmungen des Buches zeigt, dass es in Deutschland von Danzig über Westfalen bis zu Rheinhessen unter Theologen und angesehenen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Kritiker der Hexenprozesse gab. Das Anti-Folterbuch des Praetorius erregte Aufsehen und diente vielen Menschen als Unterstützung in ihrer Argumentation.
Praetorius schrieb im Vorwort: "1602 habe ich das Buch meinen Landsleuten in der Grafschaft Lippe gewidmet. Aber in Lippe haben sie mit Folter und Wasserprobe fortgefahren. Nein, ich möchte es jetzt allen Gottesfürchtigen widmen, denn sie sind mächtiger als alle weltlichen Machthaber."
Gemeindepfarrer in Laudenbach
Anton Praetorius verrichtete als Gemeindepfarrer seinen Dienst in dem kleinen Ort Laudenbach. Von seiner Tätigkeit als Gemeindepfarrer heißt es, er sei „allezeit fröhlich im Herren dabei gewesen, freiwillig und reichlich den Armen gegeben, keinen ohne Almosen von sich gelassen und ihnen sein Brot also gebrochen.“ Im Jahr 1602 greift er mit dem Werk „de sacrosanctis“ in den Streit der Konfessionen über die Abendmahlslehre ein.
Neben seiner literarischen Arbeit hat Praetorius “das almosen an diesem ort angefangen, daran gewesen, dass die kirche und der gottesacker ist gebauet worden”. Er hat also eine Armenkasse eingerichtet, kümmerte sich um die Errichtung eines Friedhofs und baute die Kirche um.
Das Hochzeitsgedicht NEMO
Anton Praetorius hat in seinem Leben viel Leid ertragen und sich mit Krankheit herumschlagen müssen. Er überlebte eine Verlobte sowie drei Ehefrauen, die ihm 11 Kinder schenkten, die fast alle sehr früh gestorben sind. 1613 schreibt Praetorius, dass sein einziger Sohn Johannes im Alter von 27 Jahren gestorben ist.
1613 hält Praetorius in Weinheim eine später veröffentlichte Rede anlässlich einer Hochzeit. Sie wird beherrscht vom lateinischen Wort “nemo” (niemand).
Da bin ich, NIEMAND, seht, Männer: NIEMAND merkt auf mich.
Aus dem Gesagten vermag wohl NIEMAND gelehrter zu sein.
NIEMAND hat Gott gesehen: erkennen konnte ihn NIEMAND.
NIEMAND reize leichtfertig Gott zu gerechtem Zorn:
Gottes Zorn wiegt schwer; NIEMAND widersteht ihm.
NIEMAND ist frei von Mühsal, NIEMAND von eigenem Schmerz.
Den wahren Ausgang kennt NIEMAND zuvor.
Vollkommen glücklich wird NIEMAND sein, bevor er stirbt.
NIEMAND vertreibt tödliche Krankheiten, NIEMAND wehrt ab die letzten Pfeile
Ist denn da NIEMAND, der mich hört? NIEMAND, der mir hilft,
NIEMAND, der mir die Toten zurückruft, die ich verloren in diesem Leben?
(Auszugsweise Wiedergabe)
In dieser Rede hat es den Anschein, als ob sich das Glaubens- und Gottesverständnis von Praetorius vollkommen verändert hat.
Beerdigungsansprache für Praetorius
Am Freitag, den 6.12. 1613, entschlief Praetorius im Pfarrhaus in Laudenbach. Am Sonntag, den 8.12.1613 wurde die Beerdigung von Anton Praetorius durch den Pfarrer aus der Nachbargemeinde gehalten. In seiner Beerdigungsansprache schilderte Pfarrer Wolf ausführlich Leben und Wirken seines Amtskollegen. Aber mit keinem Wort erwähnte er das literarische und persönliche Engagement des Laudenbacher Pfarrers gegen Hexenprozesse und Folter, das in ganz Deutschland Beachtung gefunden hatte. Vielmehr charakterisierte er ihn als einen Menschen, der „seine großen Mängel gehabt, den Zorn sich bald überwinden lassen und der Sachen etwas zuviel getan“. Er sagt, dass Praetorius „bisweilen seine Affekte schießen lassen“, also seine Gefühle nicht unter Kontrolle hatte und oft in Streit mit anderen geraten ist. Damit übte er unüberhörbar indirekt Kritik an dessen Kampf gegen den Hexenwahn.
1629
1629, während des 30-jährigen Krieges, in dem Jahr ohne Sommer, als Wetterkatastrophen die Menschen heimsuchten und die Zahlen der Hexenhinrichtungen traurige neue Rekorde erreichten, haben unbekannte Gleichgesinnte sein Buch posthum in vierter Auflage neu herausgebracht.
Aufgrund der heftigen Dispute über die Möglichkeit des Wetterzaubers durch Hexen war die Stellungnahme von Praetorius sicherlich ein entscheidender Grund, dass sein Bericht neu gedruckt wurde. Nach Praetorius kommt von Hexen kein Wetterschaden, wie alle Welt fürchtet. "Alles Wetter kommt von Gott zum Segen oder zur Strafe nach seiner Gerechtigkeit und mag den Hexen nichts davon zugeschrieben werden. Außerdem sind die Mittel, welche Hexen gebrauchen zum Wettermachen ganz und gar kraftlos."
Würdigung
Das Wirken des evangelischen Pfarrers Anton Praetorius verdient ein besonderes Gedenken, wie Zitate aus der Literatur zeigen:
"Unter den verdienstvollen Männern, die im 16. und 17. Jahrhundert der damals in Deutschland so schrecklich wütenden Hexenverfolgung mutig entgegentraten, gebührt eine Ehrenstelle dem wackeren Anton Praetorius." (Paulus, Nikolaus: Hexenwahn und Hexenprozess vornehmlich im 16. Jahrhundert, Freiburg im Breisgau 1910, 183 ff); zitiert von Dr. Otto Schnettler in: Heimatblätter, Organ des Heimatbundes für den Kreis Lippstadt, 20.7.1927
"Diese Schrift gehört zu den wenigen, welche dem 17. Jahrhundert zur Ehre gereichen. [...] Da dieser edle Menschenfreund sehr wenig bekannt ist, so dürfte es angebracht sein, die Erinnerung an seine ziemlich vergessenen Verdienste wieder aufzurichten." (Janssen, Johannes, Pastor Ludwig: Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters. Bd. VIII, Freiburg 1924, S.629f)
Zwei Jahrzehnte hatte Praetorius zur Avantgarde des Calvinismus gehört. Die aufmerksame Lektüre seiner deutschen und lateinischen Schriften macht deutlich, wie er immer neu um einen eigenen Standpunkt ringt, und zeigt die Veränderung seiner Lebens- und Glaubensüberzeugungen. Seine Bücher sind geprägt von fundierter Bibelkenntnis.
Von missionarischem Eifer erfüllt, wurde er zu mehreren Einsätzen in Gemeinden als erster reformierter Pfarrer gerufen. Mit seinem Loblied auf das Große Fass von Heidelberg leistet der Dorfpfarrer einen Beitrag zur Verbreitung des calvinistischen Glaubens. In seiner Schrift "De Pii" forderte er die Fürsten zu einer reformierten und bibelorientierten Erneuerung von Kirche und Nation auf. Mit einem Katechismus, dem Buch "Haußgespräch" und einer Abendmahlslehre leistet er Beiträge zur Durchsetzung der "wahren" Religion.
Der Hexenprozess in Birstein bedeutete die Wende in seinem Leben. Er wurde ein glühender Verfechter der Menschenrechte in Zeiten des Hexenwahns, begründet in christlicher Barmherzigkeit und Nächstenliebe. Er wandte sich gegen alle Formen staatlich- religiösen Terrors und gegen die Folter. Mit seiner couragierten Schrift „Bericht von Zauberey“ hatte er den Menschen seiner Zeit mit Argumenten aus der Bibel Mut gemacht im Einsatz gegen Hexenprozesse und Folter. Besonders beeindruckend sind sein persönliches Eingreifen in einen Hexenprozess und sein Mut, diese Schrift vor 400 Jahren unter seinem eigenen Namen zu publizieren.
Widmungen in seinen Schriften zeigen, dass er in seinem Kampf um die Menschenrechte Unterstützung hatte von Persönlichkeiten in ganz Deutschland. Seine letzte Ansprache erinnert an Worte des Hiob und macht sichtbar, wie ihn an seinem Lebensende persönliche Katastrophen an der gnädigen Vorsehung Gottes zweifeln ließen.
Der Kampf des reformierten Pfarrers Anton Praetorius ist in der evangelischen Kirchengeschichte völlig in Vergessenheit geraten. Obwohl er es in seinem Leben nicht leicht hatte, hat Praetorius das bewiesen, worum wir uns heute im Kampf um mehr Menschlichkeit immer wieder bemühen sollten: Glaube und Zivilcourage.
Lebensdaten von Pfarrer Anton Praetorius
1560 im westfälischen Lippstadt als Sohn von Matthes Schulze geboren. Anton änderte seinen Namen von "Schulze" ins lateinische "Praetorius". Praetorius (von lat. „Praetor“ = Vorsteher, Oberrichter, Schulze).
1585 im Frühjahr bringt seine Frau Maria den Sohn Johannes zur Welt.
1586 Rektor der Lateinschule in Kamen.
1587 bis 1595 als Diakon in Worms und Oppenheim. Pfarrer in Dittelsheim.
1595 Im Oktober erscheint in lateinischer Sprache sein Gedicht von dem großen Fass in Heidelberg.
1596 soll Praetorius als erster reformierter Pfarrer nach Offenbach am Main wechseln in die Grafschaft Ysenburg-Büdingen, die Einführung scheitert jedoch am entschlossenen Widerstand der lutherischen Gemeinde.
1596 Im August veröffentlicht er das 14-seitige Werk "De pii magistratus officio", über des gottesfürchtigen Amtsträgers Pflicht, Recht und Amtsgewalt, zugleich ein Lobgedicht auf Wolfgang Ernst, Herr von Ysenburg, Graf von Büdingen und Birstein.
1596 stirbt Maria, die Frau von Praetorius, als er 36 Jahre alt ist. Die zweite Frau ist am 12. Tag nach dem Kirchgang an der Pest gestorben. Er verlobt sichzum dritten Mal, doch die dritte Frau stirbt drei Tage nach der Abkündigung der Hochzeit.
1596 bis 1598 wird er als fürstlicher Hofprediger nach Ysenburg-Birstein berufen.
1597 Am 8.2. heiratete er Sibylle, die Tochter des Pfarrers Pistorius aus Muschenheim/Lich.
1597 Im Mai veröffentlicht Praetorius auf Deutsch einen eigenen Katechismus und das Buch "Haußgespräch" für die christliche Familie.
1597 Am 3.7. wird Praetorius Zeuge eines Prozesses gegen vier Frauen aus Rinderbügen. Mit wütendem Protest setzt er sich für diese Frauen ein. In den Akten heißt es:
,,weil der Pfarrer alhie hefftig dawieder gewesen, das man die Weiber peinigte, alß ist es dißmahl deßhalben underlaßen worden. Da er mit großem Gestüm und Unbescheidenheit vor der Tür angericht den Herrn D. angefürdert und heftig CONTRA TORTURAM geredet."
Praetorius gelingt es, eine Frau aus der Folterkammer zu retten.
Entlassung durch Graf Wolfgang Ernst.
1598 Pfarrer in Laudenbach in der Kurpfalz. Praetorius richtet eine Armenkasse ein und einen kirchlichen Friedhof.
1598 unter dem Pseudonym seines Sohnes Johannes Scultetus veröffentlicht er das Buch: "Von Zauberey vnd Zauberern Gründlicher Bericht".
1602 fasst er in einer 2. Auflage des "Gründlichen Berichtes" den Mut, seinen eigenen Namen als Autor zu verwenden.
1603 Am 5.8. wird Praetorius in Oberwöllstadt vom Schultheiß in Arrest genommen.
1604 Am 1. Mai schreibt sich sein Sohn Johannes an der Universität in Heidelberg ein.
1605 schließt Sohn Johannes das Studium mit dem Bakkalaureat ab.
1613 stirbt Sohn Johannes im Alter von 28 Jahren.
1613 Am 15. Juni hält Praetorius eine letzte Trauung in Weinheim.
1613 erscheint die dritte Auflage seines Berichtes über Zauberey und Zauberer.
1613 Am 6.12. stirbt Praetorius im Alter von 53 Jahren in Laudenbach/Bergstrasse.
1629 erscheint die vierte Auflage seines Berichtes über Zauberey und Zauberer posthum.
Schriften von Anton Praetorius:
Praetorius, Anton: Vas Heidelbergense (über das große Heidelberger Fass), gedruckt bei Smesmanni, Heidelberg, Oktober 1595, 15 Seiten
Praetorius, Anton: De pii magistratus officio, iure, ac potestate in religione et ecclesiis ad verbi die normam reformandis. carmen elegiacum". illustri ac generoso comiti wolfgango ernesto, domino ab isenburg, comiti a budingen et burstein, ..., ab Antonio Praetorio Lippiano Westphalo, hactenus Tutelshemij Palatinae, deinceps vero Bursteinij Isenburgicae Ecclesiae Ministro. (Lobgedicht auf Wolfgang Ernst, Herr von Ysenburg, Graf von Büdingen und Birstein). Heidelberg, Druckerei des Christoph Löw, im Jahre 1596 im Monat August. 14 Seiten
Praetorius, Anton: Hauptstück (Katechismus) Christlicher Religion sampt den gemeinesten Gebetlein/ und etlichen Fragen/ Jungen und Alten vom wege der Seligkeit zu wissen nötig und gnug: Vor Kirchen und Schulen der Ober und Under Graff und Herrschafft Isenburg/ gebessert und vermehret. Getruckt zu Lich in der Graffschafft Solms/ Durch Nicolaum Erbenium. 1597. Fragment, 4 Seiten
Praetorius, Anton: Haußgespräch, darinn kurtz doch klärlich vnd gründlich begriffen wirdt, was zu wahrer Christlicher Bekanntnuß auch Gottseligem Wandel ... zu wissen von nöhten, Lich 1597. (102 Seiten, ohne Seitenangaben)
Praetorius, Anton: Gründlicher Bericht von Zauberey und Zauberern/ darinn dieser grausamen Menschen feindtseliges und schändliches Vornemen/ und wie Christlicher Obrigkeit ihnen Zubegegnen/ ihr Werck zuhindern/ auffzuheben und zu Straffen / gebüre und wol möglich sey... kurtz und ordentlich erkläret. Durch Joannem Scultetum Westphalo camensem. Gedruckt zu Lich/ in der Graffschaft Solms bey Nicolas Erbenis. 382 Seiten. 1598 (Johannes Scultetum ist ein Pseudonym für Anton Praetorius)
Praetorius, Anton: Clarissimo juris utriusque Doctori Domino Jano Grutero Sponso. Hochzeitsgedicht für Jan Gruter, Mai 1601. 1 Seite
Praetorius, Anton: Gründlicher Bericht von Zauberey und Zauberern: kurtz und ordentlich erkläret durch Antonium Praetorium, 382 Seiten, gedruckt zu Lich/ M.DC I I. 1602
Praetorius, Anton: de sacrosanctis NOVI FOEDERIS IESU CHRISTI SACRAMENTIS IN GENERE ET IN SPECIE TRACTATUS PERUTILIS, ... prodiens AB ANTONIO PRAETORIO, ECCLESIAE LIPPIANAE FILIO, JESU SERVO LAUTENBACI. 1602 LICHAE SOLMENSIUM, Excudebat Wolfgangus Kezelius in consortio CONRADI NEBENII. Drucker: Wolgangus Kezelius und Conradus Nebenius, Lich 1602, 312 Seiten.
Praetorius, Anton: Nemo Ad Desideratissimas R. Et D. I. V. D. Nicolai Emmelii, Ilvesheimensis, E. F. P. Et Lectissimae Urgns Margaretae, R. Et. C. V. D. Johannis Mylaei, Weinheimensis P. Et I. V. Filiae, Spnsrm Nuptias, 15. Iunii. 1613. [Druck:] Lancellotus Heidelberg, 1613 Einblattdruck
Praetorius, Anton: von Zauberey und Zauberern/ Gründlicher Bericht.
Kurtz und ordentlich gestellet: durch Antonium Praetorium Lippiano-Westphalum, Pfarherrn zu Lautenbach in der Bergstraß. Hiezu ist gesetzet Der Theologen zu Nürnberg gantz Christlich Bedencken/ und Warhafftig Urtheil von Zauberey und Hexenwerck. Gedruckt 1613 zu Heydelberg/ durch Johann Lancellot/ In verlegung Andreae Cambier. 313 Seiten (darin inklusive die Vorrede von 1613).
Praetorius, Anton: Vorrede zum Bericht über Zauberey und Zauberer, Heidelberg, 1613
Praetorius, Anton: Gründlicher Bericht Antonii Praetorii Lippiano-Westphali.
Von Zauberey und Zauberern/ deren Ursprung/ Unterscheid/ Vermögen und Handlungen/
Jetzo zum vierdtenmal in Truck gegeben/ sampt einem vollkommenen Register.
Getruckt 1629 zu Franckfurt am Mayn/ Durch Johann Niclas Stoltzenbergern/ In Verlag Johann Carl Unckels/ Buchhändlers daselbsten. Anno M.DC. XXIX. 174 Seiten
Wolf, Reinhard: Christliche Leichpredigt Bey der Begräbnuß deß Ehrwürdigen Wolgelehrten Herren Antonii Praetorii Lippiano-Westphali, gewesenen Pfarrers zu Laudenbach an der Bergstrassen gehalten den 8. Decembris Anno 1613 Durch Reinhardum Guolfium Lichensem, Pfarrern zu Hembspach, Druck: Heydelberg: Lancellot 1614, 22 Seiten.
Dazu sind verschiedene handschriftliche Briefe überliefert.
Hartmut Hegeler
Im Zusammenhang mit der Hexenverfolgung in der Reformationszeit wird gelegentlich mit einem Nebensatz auf den Genfer Reformator Jean Calvin verwiesen. Er soll in seinen Bibelauslegungen zur Verfolgung von Hexen aufgerufen und sich im Hexer- und Hexenprozess von Peney (1545) aktiv um ein scharfes Vorgehen der Justiz bemüht haben. Diese Vorwürfe datieren aus dem Jahr 1947 und wurden im Zusammenhang der Jubiläumsfeierlichkeiten zum 400. Todestag von Anton Praetorius (1560-1613) erneut vorgebracht.