Von den bösen Weingärtnern

Predigt zu Mk 12,1-12


Wein in Israel © צילם צבי הרדוף, רחובות / Wikipedia

„Verwerft nicht voreilig und tollkühn die gute Nachricht von der grenzüberschreitenden Liebe Christi!“

Liebe Gemeinde,

der Text für diesen Sonntag hält viele herausfordernde, ja, steile Gedanken bereit, die einen erschrecken, aber auch erfreuen können. Als Gleichnis erzählt Mk 12,1-12 – wie die meisten Gleichnisse im Neuen Testament – von der Herrschaft Gottes, die in Christus schon jetzt unter uns angebrochen, aber noch nicht vollkommen verwirklicht ist. Diese Grundspannung ist ein wichtiges Kennzeichen neutestamentlicher Gleichnisse und wir dürfen Christi Gleichnisse als Hilfestellung Gottes begreifen, um unser beschränktes, schwerfälliges, mitunter unbeholfenes Verstehen, Fühlen, Reden und Tun auf Trab zu bringen. Gottes Kommen in Christus zeigt uns seine Bereitschaft sich unserer Schwachheit und Lethargie anzunehmen[2].

Im Vorbereitungstreffen zu diesem Gottesdienst wirkte das Gleichnis aus Mk 12,1-12 auf einige Geschwister „gespenstisch“. Will Gott uns etwa töten, weil wir seinen Sohn getötet haben? Ist er vielleicht ein Gott der Rache? Ich schlage vor, dass wir uns den Inhalt des Gleichnisses einmal genauer anschauen.

Ein Weinbergbesitzer verpachtet seinen Weinberg an Weingärtner inklusive Kelter, Turm und Zaun. Daraufhin geht er in die Fremde (V. 1). Er lässt die Pächter aber nicht allein. Er schickt ihnen viele Boten, die mit ihnen ein freundlich-bestimmtes Wörtchen reden sollen, doch statt Austausch und Gemeinschaft findet Mord und Totschlag statt (V. 2-5). Der Weinbergbesitzer sieht noch einen anderen, besseren (Aus-)Weg. Er sendet den eigenen Sohn zu den Pächtern. Der Sohn wird sich, so die Hoffnung, Gehör verschaffen (V.6). Doch statt Respekt planen die Pächter einen weiteren Mordanschlag. Um den Weinberg für sich haben zu können, töten sie auch den Sohn und werfen ihn zum Weinberg hinaus, setzen ihn, im Bilde gesprochen, eiskalt vor die Tür (V. 7-8). Dabei setzen sie ihr eigenes Leben aufs Spiel (V. 9), haben sie doch den Grundstein dieses Weinbergs an Zaun und Turm, der inmitten des Kelters liegt, weggeworfen. Was ist es mit diesem Sohn, über den sie sich derart gewundert und geärgert haben, dass sie ihm kurzerhand an die Gurgel gingen (V. 9-11)? Wie ist dieses Gleichnis zu verstehen?

Gleichnisse sind erzählte Bilder, die der Deutung bedürfen. Es stellt zuerst einmal die Frage: Wer sind die Pächter, die egoistisch, gierig und boshaft mit dem Sohn des Weinbergbesitzers umspringen? Sind hier bestimmte Menschen(gruppen) im Blick? Wer sind die Adressaten?

V. 12 hilft uns weiter. Die Pharisäer, also die, mit denen Jesus zuvor noch ein Streitgespräch führt (Mk 11,27-33), münzen diese Erzählung sofort auf sich. Sie fragen nach Jesu Vollmacht und sie fragen damit, ohne es zu wissen: Wer und wie ist eigentlich Gott? Müssten sie das aufgrund ihrer theologischen Vorbildung nicht eigentlich wissen?

In V. 12 hören wir auch, dass sie vor der Volksmenge, vor der Massenansammlung um Jesus herum, Angst haben, darum legen sie (noch) keine Hand an ihn an. Hört das Volk Jesus lieber als die Pharisäer? Hier ist Vorsicht geboten. Die Adressaten des Gleichnisses sind zuallererst Menschen des jüdischen Volkes. Und obwohl das Volk Israel Erstadressat des Evangeliums ist, sollen doch alle Völker und Menschen von dem in Christus angebrochenen Gottesreich erfahren.

Oft hört man: „Gott gibt jedem eine Chance!“ Ja, aber das ist hier zu wenig gesagt. Gott allein kennt sein Volk: die, die auf Ansehen und Ehre aus sind, ebenso wie das ‚gemeine Volk‘. Es ist darum wichtig, den größeren Zusammenhang, in den das Gleichnis eingebettet ist, zu beachten. Israel ist das je und je von Gott geliebte Volk des Bundes. Das ist mit dem Weinberg gemeint[3]. Das Gleichnis erzählt eine Geschichte, nämlich die Geschichte Gottes mit seinem Volk; eine spannende und spannungsvolle und darum bestimmt keine langweilige, sondern zuhöchst ereignisreiche Geschichte. Als Bundesvolk, das von Gottes erwählender und brennender Liebe herkommt, soll es Frucht bringen[4] (vgl. dazu Mk 11,12-14), dienen, soll für Recht eintreten, nicht Recht brechen, das heißt: seinem Gott treu und nicht untreu sein. Haben die Pächter, ja hat das erwählte Bundesvolk vergessen, dass wahrer Gottesdienst darin besteht, Gott und seinen Nächsten zu lieben, wie sich selbst[5]?

Es herrscht im ganzen Volk krasse Unkenntnis über den lebendigen Gott[6], darum wohl auch die zum Himmel schreiende Unrechtigkeit gegenüber den Knechten und dem Sohn Gottes. Im Gleichnis kommen alttestamentliche Verheißungen praktisch zum Tragen: die Propheten werden entweder geschlagen oder fortgeschickt, verprügelt oder umgebracht. Vor unserer Perikope können wir lesen, dass Jesus in Jerusalem eingezogen ist, um nachzuschauen, ob Gottes Volk die Tora JHWHs beachtet. Jesus geht in den Tempel, um der Weisung Gottes, die die Gemeinde um sich versammelt, nahe zu sein. Doch er hat viel Mühe damit, dem religiösen Unfug zu wehren und das geschäftige Treiben zu unterbinden – Christi Protest gegen den hier abgehaltenen ‚Kult‘ ist freilich unüberhörbar[7].

Der Höhepunkt der Gleichniserzählung besteht in der Sendung des Sohnes zu den Pächtern. Sie denken nur daran, möglichst schnell an das ihnen über alles wichtige Erbe zu gelangen: ‚Töten wir den Sohn, dann erben wir – bekommen wir, was uns zusteht, was wir verdient haben, schon immer wollten und was uns von niemanden  auf der Welt weggenommen oder vorgeschrieben werden kann, sollte er es auch noch so gut mit uns meinen.‘ Die Pächter sind nicht nur furchtlos und haben keine Angst davor, dass der Weinbergbesitzer sich dafür rächen könnte, dass sie seinen Sohn getötet haben, sie sind auch boshaft. Haben sie denn gar „kein Unrechtsbewusstsein“?, wurde im Vorbereitungstreffen gefragt. Und was hat das Gleichnis mit uns zu tun, wo wir doch in der Kirche und nicht in der Synagoge sind?

Das Gleichnis endet äußerst traurig. Der Sohn wird getötet und aus dem Weinberg geworfen. Ist damit alles aus? Mit Jesus, mit Israel? Wir befinden uns in der Passionszeit und gedenken in dieser besonderen Zeit des Kirchenjahres des Leidens und Sterbens Jesu Christi. Der Text ist mit gutem Grund gewählt worden. Wir sollen des Leidens des Gottessohnes vergewissert werden, aber nicht nur das. In V. 9 lesen wir, dass der Weinbergbesitzer diese Pächter töten und den Weinberg anderen Pächtern anvertrauen wird. Das heißt nun aber keinesfalls, dass Gott sein Volk verstoßen hat, noch heißt das, dass er es verstoßen wird – ganz im Gegenteil[8].

Es wurde im Vorfeld die Frage aufgeworfen, wie Gott die behandelt, denen er viel anvertraut hat und wie diese dann mit dem ihnen Anvertrauten umgehen sollen. Ist es etwa so, dass Gott die tötet, die nur noch um Erbe und Besitz, bessere Gebote und reineres Verhalten kreisen statt sich in seine gute Weisung zu vertiefen und auf seine gute Botschaft zu hören? Frei nach Motto: „Das is‘ Papi, der tut nix.“

Der Schlüssel zum Verstehen des Gleichnisses kann nicht das übermütige, mutwillige und zutiefst dumme Wüten und Morden der Pächter gegen die Knechte Gottes sein. Gewiss ist Mk 12,1-12 auch als Ausdruck dafür zu werten, dass Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus menschlichen Widerstand, ja Widerwillen herausfordert[9], doch ist dies weder das letzte Wort in unserem Gleichnis noch ist Gottes Treue durch menschliche Untreue infrage zu stellen, geschweige denn aufzuheben[10]. Die V. 10f. weisen uns in eine Richtung, die das Gleichnis in den Horizont der Versöhnung des Menschen mit Gott in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi rückt.

Ein Eckstein, auch Ortstein ist ein Stein, der an Natursteinmauerwerken in die Mauerecken eingebaut ist. Er gibt einem Haus eine ganz besondere Note. Er ist unserem im Gleichnis Mk 12,1-12 gleichsam die verborgen sichtbare Mitte im Weinberg: der Schlüssel für den Tempel in Jerusalem (Turm) und für die christliche Gemeinde. Jesus Christus ist dieser Eckstein, er ist unser Eckstein. V.11: „Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unseren Augen.“ Sehen wir etwas? Das Wunder besteht darin, dass die Bosheit der Pächter nicht das letzte Wort sein darf, sondern dass Gott in Christus die menschliche Hartherzigkeit aufbricht, indem Gott nicht länger seine Knechte leiden lässt, sondern selbst leidet. Gerade im Leiden unter uns leidet er auch mit uns. Wir sind im Leiden nicht allein. Im Mitleiden ist Gottes Sohn zugleich für uns[11], darum ist eine Sinndimension des Kreuzestodes Jesu das „für uns gestorben“.

Im Vorbereitungstreffen durften wir viel in diesem Gleichnis entdecken. Gottes Liebe in Jesus Christus ist stärker als menschlicher Hass, darum gilt: „Was ihr den Geringsten unter meinen Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,26). Nächstenliebe widersteht dem sinn-losen Wüten, dem Prügeln, Peitschen, Foltern und Totschlagen. Gottes Liebe zu seinem Volk ist derart groß, dass er sich aller annimmt und erbarmt: geduldig und fürsorglich, ermahnend und – wo es Not tut – richtend. Und genau in diesem Gericht ist er für uns, leidet er an unserer Bosheit, lässt sich aber von ihr – oh Wunder – nicht überwinden (vgl. V. 11).

Das ist das Schöne, das Besondere, das Wundervolle an den Gleichnissen des Neuen Testaments, dass Gott sich unserem schwerfälligen Verstand anpasst, dass er uns so ganz nahe kommt, näher als wir es uns vielleicht wünschen, es uns recht und lieb ist, vielleicht auch näher, als wir das wollen. Gott rückt uns in Jesus Christus derart auf die Pelle, dass er seinen geliebten Sohn ihn die Hände von Mördern fallen lässt. Aber nicht, damit die ihn kreuzigen und für immer los sind! Wir dürfen bei Markus, aber nicht nur bei ihm, lesen, dass Gott in Christus neues Leben inmitten der Gewaltherrschaft des Todes schenkt. Dieser Gott sucht Nachfolger. Er sucht sie in Israel, in seiner Gemeinde und unter uns in Gummersbach. Wo gibt es bei uns solche Wunder, dass der Tod nicht das Leben überwindet, sondern das Leben sich dem Tod entgegenstellt und sich behauptet gegenüber den Bedrängern, Gewalttätern und Mördern? Wo gibt es bei uns Vorkämpfer für das Wohl unserer Nächsten, vor allem der Menschen, die in Not, in Sorge, in Angst und in Gefahr leben?

Dass sich unsere Gemeinde auf den Weg gemacht hat, den angekommen Flüchtlingen aus Syrien mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, sei es durch Patenschaften, den Austausch mit der kommunalen Integrationsarbeit und besonders durch die Flüchtlingsberatungsstelle des Kirchenkreises –der einzige im Oberbergischen Kreis – usw. macht mir Mut, denn auf diese Weise zeigt die Gemeinde, dass sie Christus nachfolgt und wie er, ihr Kreuz auf sich nimmt, das heißt solidarisch ist mit denen, die bedrängt und verfolgt werden. Hier geschieht jetzt ein Hören auf die Weisung aus Lev 19,33f.: „Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst.“ Gewiss, dies Hören steht unter einem gewissen Vorbehalt: das Gottesreich ist noch nicht für alle sichtbar. Und doch dürfen wir dies aus dem Gleichnis Mk 12,1-12 lernen: Verwerft nicht voreilig und tollkühn die gute Nachricht von der grenzüberschreitenden Liebe Christi! Kommt in euren Zweifeln und Nöten zu dem, von dem hier als Eckstein die Rede ist, der ein „Wunder“ ist „vor aller Menschen Augen“ (V. 11), Christus, der Sohn des lebendigen Gottes[12].


[1] aus: Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers – Mit Apokryphen, Stuttgart 1999.

[2] Vgl. J. BALSERAK, Accommodatio Dei, in: Calvin Handbuch, hg. V. H. J. Selderhuis, Tübingen 2008, 370f.

[3] Vgl. Jes 5,1-7.

[4] J. GNILKA, Das Evangelium nach Markus (Mk 8,27-16,20), EKK II/2, Neukirchen-Vluyn 51999, 123.125 deutet die „Wundgeschichte“ Mk 11,12-14 („Der Fluch über den unfruchtbaren Feigenbaum“) „symbolisch auf Israel“, das aber aufgehört habe, seine „Rolle als erwähltes Gottesvolk zu spielen“, da dies sich nun im Leben Jesu abzeichne.

[5] Vgl. Lev 19,18.

[6] Vgl. Mk 11,12-14.15-19.27-33.

[7] Vgl. Mk 11,15-19; s. auch Jer 2,13f. Die Untreue Israels ist zweifach: neben einen ver-kehrten Kultus (Abgötterei) tritt ein JHWH den Rücken kehrendes Leben. Diese doppelte Ab- nicht Umkehr hat einen doppelten Rückschluss: Israel schneidet sich selbst vom Leben ab (von JHWH selbst) und verbringt sein neues ‚Leben‘ in unheilvoller Unfreiheit.

[8] Vgl. Röm 11,26.

[9] Vgl. K. BARTH: Kirchliche Dogmatik I/2, Zürich 41948, 67.

[10] Vgl. 2Tim 2,13.

[11] E. BUSCH: Unter dem Bogen des einen Bundes. Karl Barth und die Juden 1933-1945, Neukirchen-Vluyn 196, 444[-450].

[12] Vgl. Mt 16,16.

Gehalten zu Reminiscere, am 1. März 2015 März 2015 in der Evangelischen Kirche Gummersbach


Dr. Dennis Schönberger, Gummersbach