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(1818 - 1898)
Im Februar 1863 wurde in Genf ein „Internationales Komitee der Hilfsgesellschaften für die Verwundetenpflege“ gegründet, um Henry Dunants Ideen zur Versorgung von Kriegsverletzten umzusetzen. Zu den Gründungsmitgliedern gehörte Louis Appia, ein reformierter Pfarrerssohn aus Frankfurt/M.
Bendix Balke, Pfarrer der Französisch-reformierte Gemeinde Frankfurt/M., erzählt von dem Sohn eines seiner Vorgängers:
Louis Paul Amédée Appia wurde am 13. Oktober 1818 in Hanau geboren. Schon in seinem ersten Lebensjahr zog seine Familie nach Frankfurt am Main. Sein Vater Paul Appia war Pfarrer und übernahm 1819 die Pfarrstelle der französisch-reformierten Gemeinde in Frankfurt. Kindheit und Jugend in diesem Frankfurter Pfarrhaus blieben für das weitere Leben von Louis Appia prägend.
Sein humanitäres Engagement hat tiefe religiöse Wurzeln. In seinen Publikationen machte er immer wieder deutlich, dass sein evangelisch-reformierter Glaube, angeregt von der damaligen Erweckungsbewegung, den Hintergrund für seinen rastlosen Einsatz für Kriegsverletzte darstellte. Sein Leben lang verstand er sich als Arzt, doch im Alter von 72 Jahren schloss er noch ein Theologiestudium in Paris ab. „Die Quelle meiner Erleuchtung war der Unterricht im Wort Gottes, als einziger unfehlbarer Offenbarung. Ich finde dort alles, was ich brauche, um mich aufzuklären über die Bedingungen des Heils“ schrieb er in einem Lebensrückblick 1897. Gelebte Nächstenliebe als Kern des Christentums, wie es Louis Appia als Grundüberzeugung mit den anderen, ebenfalls vom Calvinismus geprägten Vätern des Roten Kreuzes teilte, verbanden sie mit großer Toleranz gegenüber anderen Glaubensformen: So billigten sie bereits 1876 die Verwendung des Roten Halbmondes als muslimisches Äquivalent zum Roten Kreuz.
Louis Appia wuchs in zwei Sprachen und in Beziehung zu drei Kulturräumen auf: Sein Vater stammte aus Torre Pellice in Norditalien. Er gehörte zu den Waldensern, einer vorreformatorischen Kirche aus dem 12. Jahrhundert, die zahlreiche Verfolgungen nur in zwei Alpentälern überleben konnte. Zum Theologiestudium kam Paul Appia nach Genf und heiratete dort Charlotte Develey, die aus christlicher Frömmigkeit heraus mit großer Hingabe Arme und Kranke versorgte. In der Familie und in der Gemeinde sprach Louis Appia Französisch, in der Schule und mit Freunden Deutsch. Die zweisprachige Erziehung trug sicherlich dazu bei, dass er bald auch Englisch und Italienisch fließend beherrschte und bis ins hohe Lebensalter Sprachen wie Japanisch und Chinesisch lernte, um besser zum Aufbau der entstehenden nationalen Rotkreuz-Gesellschaften beitragen zu können.
Louis Appia begegnete von klein auf herausragenden Gestalten aus Wirtschaft, Politik und Kultur, die sich zur Französisch-reformierten Gemeinde in Frankfurt zählten. Die Gemeinde bestand aus Nachkommen von wallonischen und französischen Glaubensflüchtlingen, die als Kaufleute, Bankiers, Künstler und Gelehrte oft großen Erfolg hatten. Diplomaten der in Frankfurt residierenden Bundesversammlung des Deutschen Bundes gehörten zu den regelmäßigen Besuchern der Gottesdienste. Der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy wurde von Pfarrer Appia mit der Tochter eines früheren Pfarrers der Gemeinde getraut. In dieser illustren Umgebung erwarb Louis große Sicherheit im Umgang mit bekannten Persönlichkeiten, was ihm seine späteren Verhandlungen für das Rote Kreuz erleichterte.
Louis Appia schloss das Gymnasium Francofurtanum (damals Frankfurts einziges Gymnasium) mit dem Abitur ab und ging im Alter von 18 Jahren nach Genf, um dort die Hochschulreife zu erlangen. Zwei Jahre später begann er an der Universität in Bonn und Heidelberg ein Medizinstudium und promovierte 1842, um anschließend als Arzt nach Frankfurt zurückzukehren. Als politisch aufgeweckter Mensch hatte er sich in Heidelberg einer Studentenverbindung angeschlossen, die Demokratie und nationale Erneuerung forderte.
Die Unruhen in der Schweiz 1847 veranlassten Louis Appia nach Genf zu reisen. Ein Jahr später half er, Verwundete bei den Auseinandersetzungen der Februarrevolution in Paris und der Märzrevolution in Frankfurt zu versorgen. Da neben der Medizin auch militärische Auseinandersetzungen eine große Faszination auf ihn ausübten, galt sein spezielles Interesse fortan der Militärmedizin und der Verbesserung der Versorgung von Kriegsopfern.
Aus seinen Erfahrungen mit Schlachtfeldern entwickelte er unter anderem ein Gerät zur Ruhigstellung eines gebrochenen Arms oder Beines während des Transports. Darüber hinaus verfasste er Abhandlungen über die chirurgische Versorgung von Kriegsverletzungen.
1849, nach dem Tod des Vaters und nach der politischen Restauration, verließ Louis Appia mit seiner Mutter und anderen Verwandten Deutschland und ließ sich als praktischer Arzt und Militärarzt in Genf nieder, wo er später die Schweizer Staatsbürgerschaft annahm. 1853 heiratete er Anne Caroline Lassere und hatte mit ihr zwei Söhne und zwei Töchter. Sein Sohn Adolphe Appia wurde später als Architekt und Bühnenbildner bekannt.
In dem Arzt Theodor Maunoir fand Louis Appia in den ersten Genfer Jahren einen Mentor und väterlicher Freund. Sie verband die gleiche Sorge um die „modernen“ Formen der Kriegsführung (Krimkrieg 1853-56 mit hunderttausenden Verletzten und Toten), denen das überkommene Lazarettwesen nicht gewachsen war. Die Briefe seines Bruders Georg, der Pfarrer in Italien wurde, ließen Louis Appia 1859 im italienischen Befreiungskrieg ärztliche Hilfe leisten, so auch in der Schlacht von Solferino, deren Zeuge ebenfalls der zufällig anwesende Genfer Kaufmann Henry Dunant wurde. Dessen drei Jahre später erschienener Erlebnisbericht "Eine Erinnerung an Solferino" wurde zum Appell für die Pflege der Verwundeten und löste eine weltweite Bewegung aus.
Louis Appia und Henry Dunant gründeten, zusammen mit dem Rechtsanwalt Gustav Moynier, dem General Wilhelm Dufour und dem erwähnten Arzt Theodor Maunoir im Frühjahr 1863 das „Fünfer-Komitee“, den Vorläufer des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz.
Appia setzte sich bei der ersten Genfer Konferenz dafür ein, dass Mediziner und Pflegepersonal durch ein weißes Armband für alle Kriegsbeteiligte geschützt wurden. Historisch nicht eindeutig belegbar bleibt, ob nun Louis Appia oder General Dufour vorschlugen, das Rote Kreuz als Umkehrung der Schweizer Landesflagge zum Erkennungszeichen der neuen Bewegung zu machen.
Auf jeden Fall war Louis Appia der erste, der dieses Abzeichen trug: Im deutsch-dänischen Krieg von 1864 war Appia als Beobachter des Komitees auf Seiten von Preußen tätig, so wie sein niederländischer Kollege van de Velde auf dänischer Seite. Er brachte den Generälen und Offizieren die Beschlüsse der ersten Genfer Konferenz näher und leistete praktische ärztliche Hilfe. Seine Erfahrungen schrieb er in einem umfangreichen Bericht nieder. Noch im gleichen Jahr entstand die erste Genfer Konvention, der Grundpfeiler des humanitären Völkerrechts.
Zwei Jahre später, im Juni 1866, engagierte Appia sich erneut ohne Rücksicht auf die eigene Person im Rahmen der italienischen Befreiungskriege und behandelte auch Anführer Garibaldi nach einer Beinverletzung.
Ebenso war Appia im deutsch-französischen Krieg 1870/71 unter dem Schutz der Rotkreuz-Armbinde tätig. Nach dem Ausschluss Dunants 1867 wurde Appia bis 1870 sein Nachfolger als Sekretär des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. Er war ein unermüdlicher Förderer und Propagandist der Idee des Roten Kreuzes. Im Oktober 1872 reiste er nach Ägypten und verhandelte mit dem ägyptischen Vizekönig Ismail Pascha, um die Gründung einer ersten außereuropäischen Rotkreuz-Organisation zu ermöglichen. Er unterstützte darüber hinaus Clara Barton brieflich beim Aufbau des US-amerikanischen Roten Kreuzes.
Louis Appia verfasste zahlreiche Publikationen. Auf vielen Konferenzen engagierte er sich für die Prinzipien des Roten Kreuzes und verhalf ihnen zum Durchbruch. Appia trat dafür ein, dass über den Einsatz im Krieg hinaus die nationalen Hilfsgesellschaften bei Naturkatastrophen und Epidemien Beistand leisten sollten. In Kriegszeiten erwartete er vom Roten Kreuz auch Hilfe bei der Versorgung von Flüchtlingen und Gefangenen. Der sonst so ruhige und zurückhaltende Appia konnte bei diesen Themen leidenschaftliches Engagement zeigen, womit er auch im Leitungskreis des Roten Kreuzes manchmal aneckte.
Bis 1892 nahm Louis Appia an den Rotkreuz-Konferenzen teil. Er starb am 1. März 1898 im Alter von fast 80 Jahren in Genf. In seiner Geburtsstadt Hanau und seinem Sterbeort Genf sind Straßen nach ihm benannt.
Gedenkstein an den Düppeler Schanzen (Schleswig) zur Erinnerung an Louis Appia und Charles van de Velde als erste IKRK-Beobachter 1864
Die 1789 erbaute Französisch-reformierte Kirche am Frankfurter Goetheplatz, 1944 zerstört.
Pfr. Bendix Balke, Französisch-reformierte Gemeinde Frankfurt/M., Januar 2014
Nicht mit dem Strom geschwommen: Karl Barth als Lehrer der Versöhnung
Der Triumph Jesu Christi und der Tanzlehrer Heiliger Geist
Alle Dogmatik ist für Karl Barth Christologie, so auch die Versöhnungslehre, das sei vorweg gesagt. Das solus Christus durchzog das dritte internationale Barth Symposion in Emden, auch dort, wo das im Folgenden nicht gesagt ist. „Es gibt gottlose Menschen, aber: Es gibt keine Menschenlosigkeit Gottes“, erinnerte Matthias Zeindler, Professor in Bern, an ein Diktum Barths und sein konsequentes Verständnis des solus Christus.
Barth glaubte nicht an die „Allversöhnung“, wie es bei einem Theologen, der sich für „die souveräne Dominanz der göttlichen Gnade“ aussprach, vermutet werden könnte, sondern an den „Allversöhner“.
Den von Barth einst im Römerbrief selbst genannten „Triumph der Gnade“ deutete er später als „Triumph Jesu Christi“. Der Triumph eines Prinzips – und sei es der der sola gratia – galt es zu vermeiden.
22 Vorträge und zwei Podien von Theologie-Lehrenden aus der Schweiz, den Niederlanden, den USA und Deutschland widmeten sich einem Teil der Kirchlichen Dogmatik (IV), der gegenüber der kirchlichen Tradition keinen Stein auf dem anderen lässt und voller theologischer Entdeckungen steckt. Dies jedoch hat die Rezeptionsgeschichte bis heute kaum wahrgenommen. Das wurde gleich zur Eröffnung der Tagung festgehalten, als der Systematikprofessor Christian Link, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Karl Barth-Gesellschaft e.V., und Marius Lange van Ravenswaay, Direktor der Johannes a Lasco Bibliothek, das Symposion eröffneten.
Die Versöhnungslehre in KD IV schrieb Barth in den Jahren 1951-1968, während – anscheinend wenig versöhnlich – Ost und West sich gegenüberstanden im Kalten Krieg, der, so der Historiker George Harinck, besser Kalter Friede zu nennen sei.
Freiheit des Evangeliums und Engagement für diese Welt
Mit einer steilen These begann die Auseinandersetzung um Barths Stellungnahme zwischen den Fronten Ost und West nach dem Krieg. George Harinck, Professor in Amsterdam, urteilte: Barths Haltung im Kalten Krieg, zwischen den Fronten von West und Ost einen dritten Weg zu suchen, dem die Freiheit des Evangeliums vorangestellt sei, ohne zum Widerstand gegen die real existierenden kommunistischen Regime aufzurufen, verkenne, dass diese Theologie der Freiheit eine Frucht westlicher Kultur sei. Nicht Barths Haltung im Kalten Krieg bedürfe jedoch einer Erklärung, sondern sein Aufruf zum Widerstand gegen das NS-Regime. Diese sei nicht seiner Theologie, sondern den persönlichen Umständen zu verdanken, konstatierte der Historiker.
Barth habe die Freiheit der Theologie verteidigt für eine Kirche, die durch Totalitarismus bedrängt werde, aber auch für eine, die Existentialismus bedränge. Sein Ausgangspunkt sei nicht der Staat gewesen, sondern die Kirche, betonte Harinck. Der Kirche hinter dem „Eisernen Vorhang“ riet er zur Geduld. Öffentlich habe Barth nicht gegen kommunistische Diktaturen Stellung bezogen, sich in privaten Briefen aber sehr wohl kritisch geäußert. Außerdem setzte er sich für die Befreiung inhaftierter Pfarrer in der DDR ein - im Sinne seiner Überzeugung, die Kirche bekämpfe keine Systeme, sondern spreche in einer konkreten Situation, wo „Not am Mann“ sei. Befragt, warum er nicht zum Widerstand gegen Unrechtsregime im Osten aufriefe, war eine Antwort Barths, anders als zur Zeit des Nationalsozialismus habe er nicht vor dem Kommunismus zu warnen, da dieser im Westen schon allgemein abgelehnt werde.
Widerspruch und Widerstand
Harincks Ausführungen und seine These blieben nicht unwidersprochen.
Ihm persönlich habe Barth den Widerstand gelehrt, sagte Michael Beintker, der 1965 in Jena Abitur machte und seine Laufbahn noch vor der „Wende“ als Wissenschaftler in Halle begann.
Rinse Reeling Brouwer, Professor in Groningen und Amsterdam, rief in Erinnerung, Barth habe die Identifikation von Adenauers Politik - samt Wiederaufrüstung! - mit dem Christentum kritisiert und sei deshalb im Westen problematisch geworden. Barths eigene Haltung im Kalten Krieg erklärte Reeling Brouwer damit, wie Barth selbst beschrieb, „was unter dem dem Christen zum Tragen gegebenen Kreuz konkret zu verstehen“ sei:
„Sie werden den Einen als allzu asketisch erscheinen und den Anderen als allzu unbesorgte Lebensbejaher – hier als Individualisten und dort als Kollektivisten, hier als Autoritätsgläubige und dort als Freigeister, hier als Optimisten und dort als Pessimisten, hier als Bourgeois und dort als Anarchisten. Sie werden selten bei der in ihrer Umgebung herrschenden Mehrheit zu finden sein. Sie werden jedenfalls nicht mit dem Strom schwimmen.“ (KD IV/2,689f.)
In der Polemik gegen Barths vermeintliche Sympathie mit dem Kommunismus wurde ihm vorgeworfen, er habe die Untaten im Osten verschwiegen. Dies war jedoch nicht so, nur wurde die Kritik Barths nicht mitzitiert, so Peter Zocher, Leiter des Karl Barth-Archivs in Basel, über die heftigen Angriffe gegen Barths Äußerungen in der Schweiz referierte.
Das einzige, was man Barth in der damaligen Situation im Nachhinein vorhalten könne, sei, dass er nicht gesehen habe, wie erfolgreich das „Demokratieimplementieren“ im Westen Deutschlands dann doch gewesen sei.
Umkehr-Ökumene
Von den zahlreichen Themen, u.a. Predigt, Sakramentsverständnis (dazu später mehr auf reformiert-info), Mission und Sünde, war der Ökumene mit einem Podiumsgespräch ein besonderer Raum gewidmet.
Die Kirchenhistorikerin Andrea Strübind, Professorin in Oldenburg und selbst Baptistin, zeigte sich überrascht, keine nennenswerte Rezeption von Barths Tauflehre mit ihrer Kritik an der Kindertaufe und ihrem Verständnis der Wassertaufe als menschliche Antwort im Glauben auf Gottes Gnadengabe unter den weltweiten Baptisten gefunden zu haben, lediglich eine indirekte im US-Baptismus, in Deutschland gar keine. Letzteres führte sie zurück auf das „Unverhältnis“ zwischen Freikirchen und Landeskirchen und die Desolidarisierung der baptistischen Kirche mit der Bekennenden Kirche 1937. Außerdem gäbe es auch kein einheitliches Taufverständnis unter den Baptisten. Die einen sähen Taufe als Gehorsamsschritt, die anderen betonten das Handeln Gottes in der Taufe als Heilszuspruch.
Nach der zweiten ökumenischen Vollversammlung in Evanston 1954, wo Barth erfolglos versucht hatte, den ÖRK von der Relevanz Israels als ökumenische Frage zu überzeugen, wie Michael Weinrich, selbst Ökumene-Fachmann in Bochum, ausführte, habe er sich entschieden, seine Kraft in die Fortführung der KD zu stecken anstatt in ökumenische Verlautbarungen.
Das solus Christus als soteriologisches Leitkriterium
Als bleibender Impuls blieb Barths Ansatz, die Konzentration ökumenischer Gespräche auf die Ekklesiologie zu verschieben auf die Gemeinsamkeit des Gottesbekenntnisses sowie seine Bestimmung der Ökumene als eine Umkehrbewegung, als eigene Umkehr, wohlgemerkt. Dazu gehöre für sie aber auch die Traditionskritik, ergänzte Johanna Rahner, Dogmatik-Professorin an der katholischen-theologischen Fakultät in Tübingen.
Einen Beitrag zur konfessionellen Ökumene bot in diesem Sinne auch Michael Beintker in seinem Vortrag über Rechtfertigung – Heiligung – Berufung. Nicht mit der Rechtfertigung allein stehe und falle der Glaube. Das solus Christus sei Barth „soteriologisches Leitkriterium“. Der Glaube könne nicht um seiner selbst willen wichtig sein, das sei die Pointe bei Barth gewesen. Das Christusbekenntnis habe er in einer „Fixierung auf narzisstische Frömmigkeit“ bedroht gesehen.
Was heißt Rechtfertigung? In Abgrenzung zu Luthers Ausgangsfrage „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“, habe Barth gefragt: „Wie kommt Gott zu seinem Recht?“ Und: „Wie kommt der Mensch als Täter des Unrechts zu seinem Recht?“ Es handle sich also um das Problem Gottes mit dem Menschen.
Gottesfrage und Eschatologie
Wie es sich für eine Theologie geziemt, die beim Gott-Nach-Denken anfängt, entzündete sich eine erregte und aufregende Debatte an der Frage nach Gottes Unveränderlichkeit. Barth schrieb, so führte Bruce McCormack, Professor in Princeton, aus: „that a God who would remain unaffected in His being as God by the incarnation is a God who is ‚dead of sheer majesty‘.“ (KD IV/2,93).
Doch was heißt das für die Theologie heute? Die immanente Trinität von der Christologie her zu entfalten, sagt McCormack, der dafür plädiert, die Verbindung von der Unveränderlichkeit Gottes und der Unfähigkeit zu leiden innerhalb reformatorischer Theologie zu trennen: „severing the connection between immutability and impassibility might well be the most important contribution one could make to restoring theological health and vitality to the churches of the Reformation.“
Das Fragen ging weiter: Ist nicht auch das Gericht Gottes, ein Gericht, das Gott durchführt und eins, in dem er selbst vor Gericht steht und in Fragen der Theodizee zur Verantwortung gezogen wird? Wird der Gott, der sich in seinem vollendeten Reich dem Menschen zuwendet, anders sein, als der/die sich in Jesus Christus den Menschen zugewandt hat? Besteht Gottes Unveränderlichkeit in seiner Leidensfähigkeit? Oder kennzeichnen ihn/sie immerwährend gleich Liebe und Gnade? Hat sich Gott nicht längst als die sich Verändernde offenbart, in seiner Reue, in Jesus Christus, als Gott in Beziehung zum Menschen?
Kunst und Glaube: die Kathedrale Feinigers
Die Kunst sei ein Thema der Eschatologie bei Barth, sagte Michael Trowitzsch in einem Nebensatz, während ein paar Meter weiter die Emder Kunsthalle Holzschnitte Lyonel Feinigers zeigte. Im Mittelpunkt dieser Bilder steht eine Kathedrale als „sinnbildliche Darstellung“ des „Baus der Zukunft“, den das Bauhaus in Weimar erschaffen wollte. Sein Gründer, Walter Gropius, schrieb 1919: Architektur, Plastik und Malerei „aus Millionen Händen der Handwerker“ werde einst gen Himmel steigen „als kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens“.
Es gebe „mehr säkulare Soteriologie, als wir denken“, sagte Beintker zum Abschluss der Tagung und erinnerte aufmunternd an den Anfang von Barths Versöhnungslehre: das Immanuel. „Gott-mit-uns“, dieser Zuspruch sei auf den Koppelschlössern der in den Krieg ziehenden Soldaten pervers missbraucht worden, aber durch Jesus Christus werde er zu einem Wort, das wir gebrauchen können.
Kampf und Tanz
Karl Barth weiterzudenken und einen Weg „in zukünftige Theologie“ zu gehen, forderte nicht nur Michael Trowitzsch, Professor in Jena, mit einem Vortrag zur Eschatologie der Versöhnungslehre.
Doch dies ist ein steiniger Weg in die Fremde:
a) Auf ihm lauert die Sünde der Trägheit. Auch das TheologInnen-Ich ist ihr nicht gefeit, wenn es zu sich spricht:
„Gott, das hyperaktive Aktionsbündel, lass‘ ich einfach laufen.“ (Frei nach Stephan Schaede, Akademiedirektor in Loccum)
b) Und es gibt die Anfechtung. Auch dort, wo Theologie „als quicklebendiges, der bewegenden Beweglichkeit ihres Gegenstandes entsprechendes Ereignis“ geschieht, wie Magdalene L. Frettlöh, Professorin in Bern, sie sich wünscht, sei ihr gerade in der Anfechtung mit Barths geradezu kämpferisch hart formulierten Appell des Aushaltens und Ertragen allein nicht geholfen. Frettlöh vermisst in Barths „Einführung in die Evangelische Theologie“ das Kyrie eleison, das „an Gott gerichtete Fragen, Klagen und Anklagen“.
Selbst begeistert von Barths „Einführung“, die sie lese „als eine pneumatologisch fokussierte und doxologisch perspektivierte Rechenschaft einer als Weisheitslehre konzipierten durchgängig dialektischen Theologie“, stellte Frettlöh den Aufbau des kleinen Buches mit seiner dreifach viergliedrigen Struktur dar als Tanz der Quadrille, dem Kontratanz mit vier Personen, in dem sich der Geist „als der Tanzlehrer“ erweise.
Im Blick auf den Entwurf einer eigenen Theologie, benannte Frettlöh, was bei ihrem „Lehrer“ Karl Barth fehlt: Mit der Vermittlung theologischer Erkenntnis nach außen lasse Barth uns allein.
Stellvertretend für alle anwesenden Theologie Lernende und Lehrenden fragte sich Cornelis van der Kooi, Professor in Amsterdam:
Ist nun eine Einladung zum Kampf oder zum Tanz gesprochen?
Ende mit Zukunft
Am Ende der akademischen Vorträge, deren Pointen zu verstehen gute Vorkenntnisse in Dogmengeschichte voraussetzte, konnte ein renommierter Barth-Forscher wie Bruce McCormack seine eigene Arbeit an der Versöhnungslehre in die Frage fassen:
Wie kann ich Versöhnung leben mit einer Person, die sie nicht mit mir leben will?
Unter den golden schimmernden Kronleuchtern der Johannes a Lasco Bibliothek fanden die Herausforderungen, wie John G. Flett, Assistent in Wuppertal/Bethel, sie aus eigener Erfahrung erzählte, kaum Widerhall: Wenn er beim Besuch einer theologischen Fakultät feststellen müsse, ihre Bibliothek lasse sich auf einem Sechstel der Regalbretter seiner privaten Sammlung an Fachliteratur unterbringen; wenn Theologen an einem gemütlichen Ort in einem vom Bürgerkrieg gezeichneten Land ihr Bier tränken, während wenige Meter entfernt ein Unglück geschähe und sie wüssten: Es wird noch nicht einmal ausreichend ärztliche Versorgung für die Verletzten geben.
Die Vorträge des vom Seminar für Reformierte Theologie der westfälischen Wilhelms-Universität Münster, dem Seminar für evangelische Theologie der Universität Siegen, der Karl Barth-Gesellschaft e.V. und der Johannes-a-Lasco Bibliothek in Emden veranstalteten Symposions werden als Sammelband beim Theologischen Verlag Zürich (TVZ) erscheinen.
Die Bände „Emden I“ (2005): Karl Barth in Deutschland (1921-1935) und „Emden II“ (2010): Karl Barth im europäischen Zeitgeschehen (1935-1950) liegen bereits vor. Emden III wird folgen und die Hoffnung sagt: auch Emden IV.
Nachtrag:
Zu viel Verehrung des Kirchenvaters des 20. Jahrhundert? Die heutigen BarthianerInnen wissen, um die Anekdote, die Georg Plasger, Professor in Siegen, in einer Pause beim Tee erzählte:
Barth gab einem Theologen den Rat:
„Wenn Sie einen Barthianer treffen, sagen Sie ihm: Ich bin keiner!“
Barbara Schenck, 5. Mai 2014
Nicht der Rechtfertigungsartikel, sondern das solus christus, die Christologie sei der Artikel, mit dem die Kirche steht und fällt, davon war Karl Barth überzeugt. Allein diese Erkenntnis wäre es wert, aktuell im evangelisch-katholischen Gespräch zu leuchten, aber die Barthsche Rechtfertigungslehre biete noch mehr „Türen für weitergehende Einsichten“, so Professor Michael Beintker auf dem Barth-Symposion Anfang Mai in Emden.
„Jesus Christus ist das eine Sakrament“ sagt Karl Barth in der Kirchlichen Dogmatik (KD). Was bedeutet das für die menschliche Freiheit und Gottes Souveränität? Fragt Michael Weinrich in seinem Emder Vortrag 2014.
Emden. Kirchenpräsident Martin Heimbucher hat am Donnerstag, 1. Mai 2014, beim dritten Emder Karl-Barth-Symposium an die direkten Verbindungen Karl Barths nach Emden erinnert.
Zum Internationalen Symposion Karl Barth als Lehrer der Versöhnung: Vertiefung - Öffnung - Hoffnung laden ein: das Seminar für Reformierte Theologie der westfälischen Wilhelms-Universität Münster, das Seminar für evangelische Theologie der Universität Siegen, die Karl Barth-Gesellschaft e.V. und die Johannes-a-Lasco Bibliothek in Emden.
Zur Eröffnung des Symposions „Karl Barth als Lehrer der Versöhnung“, sprach Prof. Dr. Georg Plasger in der Johannes a Lasco Bibliothek.
Die Versöhnungslehre Karl Barths ist Thema eines internationalen Symposions Anfang Mai in Emden.